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Tage im September

Gudrun Hunold11. September 2002

Die Ereignisse des 11. September haben sich tief in unseren Erinnerungen eingebrannt. Das gilt besonders für Augenzeugen des Schreckens wie Gudrun Hunold. Ein persönlicher Rückblick.

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11. September 2001

Flug LH 409 – so steht es auf meinem Rückflugticket. Ich habe noch einen freien Vormittag in dieser unvergleichlichen Stadt New York City, dem "Big Apple". Freunde haben mir den Besuch des World Trade Center empfohlen – wegen der Aussicht. Vorher will ich den Koffer im Büro abstellen, einem kleinen Journalistenbüro in der 42. Straße. Noch nicht mal neun Uhr, so früh sind nur Gerti und Volker da. Volker bastelt an der Fernsehantenne. "Bleib mal hier", ächzt er. "In einen der Twin Towers ist wohl ein Flugzeug gekracht." Und dann, ganz ruhig: "Wahrscheinlich eine kleine Maschine". Volker hat es geschafft – CNN spanisch, besser als nichts. Wir sehen, wie ein zweites Flugzeug in den Südturm rast – Flug United Airlines 175. Wir starren ungläubig auf die Mattscheibe – nah dran sein, heißt noch lange nicht, dass man klar sehen kann.

Collapse of the WTC 1

Im gleichen Moment klingeln alle Telefone im Büro - die Redaktionen aus Deutschland. Dazu heulen die Sirenen. Menschen stürzen aus dem World Trade Center. 9:38 Uhr – ein Flugzeug ist in einen Flügel des Pentagon in Washington gestürzt. Wie schnell überholen sich Nachrichten, wenn sich die Welt verändert! Die Twin Towers brechen in sich zusammen, jeder 420 m hoch, zweimal 110 Stockwerke. In den Zwillingstürmen arbeiten so viele Menschen wie in einer deutschen Kleinstadt leben. "Der Krisenstab hat 10.000 Leichensäcke geordert". Fakten sammeln – verstehen können wir später.

Auf den Straßen herrscht Chaos. Das Telefonnetz ist überlastet, das Funknetz sowieso – verzweifelte Menschen stürmen Geschäfte, wollen ihre Angehörigen und Freunde anrufen. Manhatten ist jetzt keine Insel, es ist ein Gefängnis: Brücken und Tunnel sind gesperrt. Nichts geht mehr: Autos bleiben am Straßenrand zurück, Tausende Menschen machen sich verzweifelt zu Fuß auf den Weg. Ich komme nur bis zur 14. Strasse. Ab da ist das Gebiet weiträumig gesperrt. Mit europäischem Presseausweis ist hier kein Durchkommen. Ich bekomme keine Luft – ein beißender Geruch, ein Gemisch aus geschmolzenem Plastik und pulverisiertem Beton. Dieser Geruch wird bis zur Abreise mein ständiger Begleiter bleiben – wie der Mundschutz.

12. September 2001

Manhattam am Tag danach
Bild: AP

Manhatten ist ausgestorben. Das sonst so pulsierende Herz der Weltwirtschaft hat ausgesetzt. Die Straßen bleiben auch am nächsten Tag für den Autoverkehr gesperrt – nur Rettungsdienste und Polizei haben freie Fahrt. Freiwillige Helfer an der Meldestelle am Kai werden weg geschickt. Sie campieren auf der Straße - in der Hoffnung, doch noch ihrem Land dienen zu können. Der Übergang von der Solidarität zum Patriotismus ist fließend. Die "Stars and Stripes" sind allgegenwärtig, auch in meiner Straße singen sie patriotische Hymnen – "God bless America". Doch dass Osama Bin Laden hinter den Attentaten steckt, interessiert in New York nur am Rande – die Stadt sucht nach Vermissten, verwaltet das Chaos. Vor der St. Patrick’s Cathedral treffe ich ein Ehepaar aus Israel. "Wir leiden mit", sagen sie, "wir kennen das." Aber auch: "Jetzt wissen die Amerikaner mal, wie das ist." Amerikanische Kriegsschauplätze waren immer weit weg – plötzlich ist Amerika verwundbar.