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Taktieren bis zum Schluss

Jannis Papadimitriou, Athen6. Juni 2015

Scheinbar Widersprüchliches von der griechischen Regierung: Tsipras lehnt die Reformliste der Geldgeber als absurd ab - und sieht dennoch ein Abkommen "näher als je zuvor". Jannis Papadimitriou aus Athen.

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Griechenland - Alexis Tsipras spricht im Parlament
Bild: REUTERS/Alkis Konstantinidis

"Wir sind auf den Zielgeraden" erklärte Ministerpräsident Alexis Tsipras bei einer Sondersitzung des Parlaments am späten Freitagabend. Er forderte allerdings die Kreditgeber zu weiterem Entgegenkommen auf und legte dabei großen Wert auf eine "Gesamtlösung" der Schuldenfrage. Zudem appellierte der Linkspolitiker an die Oppositionsparteien, seinen Kurs zu unterstützen.

Seit Februar verhandelt die Links-Rechts-Koalition in Athen über die Bedingungen, zu denen ausstehende Kredittranchen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro ausgezahlt werden. Am Vorabend der Parlamentsdebatte überraschte die Regierung Freund und Feind mit der Ankündigung, sie werde eine am Freitag fällige Kredittranche von 300 Millionen Euro beim Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht tilgen, dafür aber alle im Juni ausstehenden Raten gebündelt am Monatsende überweisen. Daraufhin waren Spekulationen über einen Bruch mit den Gläubigern und Neuwahlen laut geworden.

Mit seinem Auftritt im Parlament wollte Tsipras den Gerüchten ein Ende setzen, sagt Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Die Botschaft von Tsipras lautet: Wir verhandeln hart und liegen richtig, die Gespräche laufen weiter." Der Regierungschef habe die Tür nicht zugeschlagen, halte aber weiterhin alle Optionen offen. Der Kompromiss sei genauso gut möglich wie ein Eklat - und offenbar arbeite Tsipras an beiden Fronten, so Koussoulis.

Wachsende innerparteiliche Spannungen

Auch in den eigenen Reihen muss Tsipras Überzeugungsarbeit leisten. Sämtliche Abgeordnete seiner Syriza-Partei rufen zum Bruch mit den Gläubigern auf oder drohen offen mit einem Euro-Austritt. Arbeitsminister Panos Skourletis sieht Griechenland in einen "ungeklärten Krieg" verwickelt, der nicht mit Waffen, dafür aber "mit allen Mitteln des Kapitalismus" geführt werde.

Mit seinem kämpferischen Auftritt im Parlament habe Tsipras auch die eigene Fraktion hinter sich scharen wollen, meint Politikwissenschaftler Koussoulis. Der Analyst glaubt allerdings, dass die Chancen für Tsipras gut stünden, einen Kompromiss im Parlament durchzubringen. "In der Linksfraktion kommt es mit Sicherheit zu turbulenten Debatten, doch letzten Endes werden vermutlich nur wenige gegen ein Abkommen stimmen. Sollte der Regierungschef doch noch am Parlament scheitern, bliebe ihm nichts anderes übrig, als Neuwahlen auszurufen."

Griechenland Krise: Gemüesemarkt bei Athen (Foto: DW)
Kein Schuldenerlass in Aussicht: Athener beim EinkaufBild: DW/I. Anastassopoulou

Nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen wolle Tsipras in diesem Zusammenhang eine umfassende "Lösung" der Schuldenfrage erreichen, glaubt Kommentator Pavlos Tsimas. "In diesem Fall könnte die Regierung einen Kompromiss in den eigenen Reihen mit dem Argument rechtfertigen, er regele die Altschulden der griechischen Wirtschaft und böte ihr dadurch eine Zukunftsperspektive" sagte Tsimas im TV-Sender Skai.

Einen Schuldenerlass lehnen die Gläubiger Griechenlands bislang ab. Tsipras weist seinerseits eine Reformliste der Kreditgeber zurück, die ihm am Mittwoch in Brüssel bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem vorgelegt wurde und in Athen als "Juncker-Plan" bekannt ist. Das Angebot aus Brüssel nannte Tsipras im Parlament "absurd", da es die jüngsten Verhandlungsergebnisse überhaupt nicht berücksichtige. Eine "unangenehme Überraschung" seien die Juncker-Vorschläge gewesen, klagte der Regierungschef.

Für diese Verbalattacke gäbe es taktische Gründe, vermutet Kommentator Pavlos Tsimas. "Tsipras nutzt den Juncker-Plan als Druckmittel, um ein Abkommen zu erreichen, das vermutlich besser wäre als der Juncker-Plan selbst, aber weit hinter den eigenen Wahlversprechen zurückbleibt" so Tsimas. Für den Fall, dass kein Abkommen zustande kommt, hätte Tsipras auch gleich einen Schuldigen parat: Die bösen Verhandlungspartner, die angeblich wenig Kompromissbereitschaft an den Tag legen.

Ende 2014: Der damalige Premierminister Samaras und Finanzminister Hardouvelis (Foto: dpa/picture alliance)
Ende 2014: Der damalige Premierminister Samaras und Ex-Finanzminister HardouvelisBild: picture-alliance/dpa/Orestis Panagiotou

Beistandsappell an die Opposition

Im Parlament forderte Griechenlands Ministerpräsident mit allem Nachdruck die Oppositionsparteien auf, den Verhandlungskurs seiner Regierung zu unterstützen. Der konservative Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Antonis Samaras scheint nicht bereit, darauf einzugehen. Wiederholt erinnerte Samaras an die Blockade-Taktik der Linkspartei im Parlament zu Zeiten, als Tsipras noch an der Spitze der Opposition stand. Besonders umstritten waren damals die Sparvorschläge des Athener Finanzministers Gikas Hardouvelis, die nicht in Vergessenheit geraten sind. Sie haben auch am Freitag die Parlamentsdebatte in Athen beherrscht.

Rückblick: Ende 2014 verlangten die Geldgeber von Premier Samaras zusätzliche Einschnitte von über zwei Milliarden Euro. Finanzminister Hardouvelis erklärte sich per Email zu Steuererhöhungen und Rentenkürzungen bereit, bat aber um Entgegenkommen insofern, als er den Wählern nur noch Einschnitte in Höhe von 980 Millionen Euro zumuten wollte. Die Linksopposition unter Tsipras lief damals Sturm gegen "die Email von Hardouvelis" und reizte die Volkswut gegen die Koalitionsregierung. Als auch noch klar war, dass nicht einmal die milden Sparvorschläge von Hardouvelis angenommen würden, warf Samaras das Handtuch - er machte die Bahn frei für Tsipras.

Fünf Monate später hat Samaras, nun auf der Oppositionsbank, nichts vergessen: Die berühmt-berüchtigte "Email von Hardouvelis" sei eine Oase im Vergleich zu den Sparmaßnahmen, die der Linkspartei nun bevorstünden, mahnte er im Parlament. Das vermutet auch Kommentator Pavlos Tsimas: Ein neues Abkommen würde noch schmerzhafter als die damals geplanten Sparmaßnahmen - allein schon deshalb, weil sich der Zustand der griechischen Wirtschaft in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert habe.