Tanz der Karnevalskrieger in Rio
27. Februar 2017Die Botschaft des Karnevalslied ist Balsam auf die geschundenen Seelen von Brasiliens Ureinwohnern: "Ich bin der vergessene Sohn der Welt, meine Haut ist rot vor Schmerz. Ich bin der letzte unsterbliche Krieger, der wahre Besitzer dieses Landes."
Mit dem Karnevalshit "Xingu: Der Aufschrei, der aus dem Urwald kommt", dringt die Sambaschule "Imperatriz Leopoldinense" aus Rio nicht nur tief in die brasilianische Seele vor. Sie punktet auch politisch.
Zum ersten Mal macht sich eine Sambaschule für die Rechte von Indigenen stark und legte sich mit der mächtigen Agroindustrie im Land an. Im Song "Xingu", der auf den Namen Schutzgebietes für Indigene zurückgeht, geht es um die Konflikte zwischen Brasiliens Großgrundbesitzern und Ureinwohnern:
Denn während die einen ihre Anbauflächen für Soja, Reis und Getreide immer weiter ausdehnen, verlieren die anderen zunehmend ihre traditionellen Lebensräume. Monokulturen und Viehzucht machen häufig auch vor den Grenzen der Reservate für Indigene nicht halt.
Agroindustrie beschwert sich
Der karnevalistische Protest mit Bambus und Bastrock, imposantem Kopfschmuck und Kriegsbemalung riss das Publikum im Sambadromo in Rio in der Nacht von Sonntag auf Montag zu Begeisterungsstürmen hin. "Einzigartig, berührend", lobte Karnevalskritiker Thiago Barros das Desfile. "Imperatriz hat einen Volltreffer gelandet."
Der "Aufschrei aus dem Xingu" hatte schon im Vorfeld des Karnevals Aufsehen erregt. Insbesondere die Vertreter der Agroindustrie, also Sojaproduzenten, Rinderzüchter und Holzhändler, fühlten sich durch ihn in ein schlechtes Licht gerückt.
"Das Thema hat unter den Agrarproduzenten Unwohlsein hervorgerufen, weil es auf einer falschen Einschätzung der Branche beruht", heißt es in einer Stellungnahme der brasilianischen Gesellschaft für Landwirtschaft (SRB).
Polemik um Pestizide
"Falsch" fanden die Farmer die ihnen unterstellte massive Nutzung von Pflanzenschutzmitteln und Schädlingsbekämpfung. Nach einem Besuch von Verbandsvertetern im Schuppen der Sambaschule in Rio willigten die Karnevalisten schließlich ein, ihren Block mit den eifrig sprühenden Tänzern umzubenennen: Aus "Die Gutsherren und ihre Pestizide" wurde "Der Missbrauch von Pestiziden".
Brasiliens Ureinwohner hingegen freuen sich darüber, dass "Xingu" die Debatte über die Zerstörung des Amazonas und damit ihres Lebensraumes neu belebt. "Es ist gut, dass die Weißen sich an uns erinnert haben”, sagte Häuptling Raoni Metuktire der brasilianischen Presse.
Der Anführer des Indianervolkes Kayapó war mit 16 anderen Indigenen extra für den Umzug vom Amazonas nach Rio gereist. Er saß im letzten Wagen des Umzugs und sang den Samba mit. "Der Karneval ist eine gute Gelegenheit, um auf die drohende Zerstörung unserer Reservate hinzuweisen und Respekt einzufordern."
Ein "Monster" namens Belo Monte
Für die über 70.000 Zuschauer auf den Rängen des Sambadroms in Rio entwickelte sich der Auftritt der Sambaschule "Imperatriz Leopoldinense" zu einer Heimatkunde der besonderen Art. Die Geschichte des vor 55 Jahren gegründeten Nationalparks Xingu, das größte Schutzgebiet für indigene Völker im Amazonas, ist vielen Brasilianern unbekannt.
Der "Aufschrei aus dem Xingu" prangert auch das umstrittene Wasserkraftwerk an. Das weltweit viertgrößte Wasserkraftwerk liegt am Fluss Xingu und soll bis 2019 fertig gestellt werden. Seine Stauseen setzen tausende Quadratkilometer von Regenwald und Ackerland unter Wasser und zwingen zwischen 20.000 und 40.000 Einwohner der Region zur Umsiedelung.
Beim Umzug von "Imperatriz Leopoldinense" wird das Kraftwerk als "schönes Monster" besungen. Der Text lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Das Herz meines Landes blutet, ein schönes Monster raubt das Land seiner Söhne. Es verschlingt Büsche und Bäume und trocknet Flussbecken aus. Seine Gier zerstört den immensen Reichtum im heiligen Garten."