"Temperaturrekorde 2023 - ein Alarmsignal"
15. November 2023Der Monat Oktober war in diesem Jahr weltweit der wärmste jemals gemessene Oktober. Laut EU-Klimawandeldienst Copernicus lag die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur um 1,7 Grad über dem geschätzten Oktober-Durchschnitt vor Beginn der Industrialisierung (Referenzzeitraum 1850-1900).
Seit Juni meldet der Copernicus Climate Change Service (C3S) jeden Monat neue Rekordtemperaturen: es folgten der jeweils heißeste Juli, August, September und nun Oktober aller Zeiten. Viele Staaten Europas , aber auch Nordamerika hatten dieses Jahr wieder mit Rekordhitze und Waldbränden zu kämpfen.
Dass auch November und Dezember 2023 wieder Temperaturrekorde brechen werden, gilt als so gut wie sicher. Und nicht nur in der Luft, auch bei der Temperatur der Meeresoberflächen werden dieses Jahr Rekordwerte vermeldet.
"Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein wird und derzeit 1,43 Grad Celsius über dem vorindustriellen Durchschnitt liegt", so Samantha Burgess, stellvertretende C3S-Direktorin.
Zusammen mit den Daten des Weltklimarats IPCC zeige sich: Oktober 2023 sei der "wärmste Oktober in mehr als 125.000 Jahren" gewesen sei, schrieb Burgess auf der Internetplattform Linkedin. Der IPCC greift anders als der C3S auch auf Messwerte aus Eisbohrkernen, Baumringen und Korallenablagerungen zurück.
Treibhausgasemissionen auf Rekordhoch
Für Copernicus-Direktor Carlo Buontempo ist klar: "Die diesjährigen Temperaturrekorde senden ein Alarmsignal!" Um die Gefahren einer sich erhitzenden Welt abzumildern, müssten die Treibhausgase drastisch reduziert werden, "und zwar sehr, sehr schnell. Wir müssen das vorhandene Wissen besser nutzen, und die Politik, aber auch unsere eigenen Gewohnheiten und Verhaltensweisen an diese Notwendigkeit anpassen", so Buontempo im Gespräch mit der DW.
Als eine der Ursachen für das heiße Jahr 2023 gelten die hohen Treibhausgasemissionen durch das Verbrennen fossiler Energieträger. Sie erreichten 2022 laut der World Meteorological Organization (WMO) weltweit ein Rekordhoch. Allein die CO2-Emissionen lagen demnach um 50 Prozent über dem vorindustriellen Niveau.
Auch in diesem Jahr werden die Emissionen weiter ansteigen. So verlangsamen etwa große börsennotierte Unternehmen derzeit ihre Maßnahmen zur Dekarbonisierung, wie der Net-Zero-Tracker zeigt - eine Analyse des Datenunternehmens MSCI. Es bestehe die Gefahr, dass deswegen mehr Emissionen entstünden, als für das 1,5 Grad-Ziel zulässig seien, heißt es.
Und laut dem jüngsten Jahresbericht des UN-Umweltprogramms (UNEP) planen die 20 wichtigsten Förderländer, darunter die USA, China, Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate, bis 2030 noch so viel Öl, Gas und Kohle zu fördern, dass dadurch die Erderhitzung sogar über zwei Grad steigen könnte.
"El-Niño" nicht allein für Rekordtemperaturen verantwortlich
2023 ist zudem ein sogenanntes "El-Niño"-Jahr. Dieses wiederkehrende Wetterphänomen hat zum Beispiel das Oberflächenwasser im östlichen Pazifik erwärmt. Doch allein mit "El-Niño" ließen sich die diesjährigen Temperaturrekorde nicht erklären, sagte Copernicus-Direktor Buontempo im DW-Gespräch.
"Von den Temperatur-Signalen rührt lediglich ein Teil aus der "El-Niño"-Region, der Großteil stammt aber aus ganz anderen Regionen", erklärt Buontempo. "Was dieses Jahr in Kanada, den USA oder Europa passierte, hat nichts mit 'El-Niño', sondern mit dem menschengemachten Klimawandel zu tun."
Klimakrise: 1,5-Grad-Ziel vermutlich nicht zu halten
Zwar bedeute die für 2023 prognostizierte Erwärmung um 1,43 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit noch nicht, dass die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Grenze von 1,5 Grad schon bald überschritten werde, so Buontempo. Doch dass dies bis spätestens Mitte der 2030-er Jahre der Fall sein werde, sei so gut wie sicher. "Die Diskussion dreht sich mittlerweile vielmehr darum, wie wir es in der Zeit danach schaffen, wieder unter diesen Wert zu kommen."
Denn bei einer durchschnittlichen Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad drohen extreme Folgen in vielen Bereichen. So würde etwa die Zahl der Hitzetoten bis 2050 um 370 Prozent steigen - selbst wenn der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bei knapp unter zwei Grad bliebe. Darauf weisen internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem neuen Bericht im Fachmagazin "The Lancet" hin.
Mehr Opfer und Schäden durch Extremwetter
Weltweit sind die Menschen demnach schon heute an doppelt so vielen Tagen extremer Hitze ausgesetzt wie im Zeitraum 1986 bis 2005. Die zunehmende Hitze sorgt auch dafür, dass es immer weniger Stunden zum Arbeiten oder Trainieren im Freien gibt.
In Deutschland beispielsweise fielen 2022 durch die hohen Temperaturen rund 34 Millionen Arbeitsstunden aus. Zudem steigen durch die Hitze weltweit sowohl die Waldbrandgefahr als auch die Ausbreitung tropischer Infektionskrankheiten.
Aber auch extreme Regenfälle, die ebenfalls mit dem menschengemachten Klimawandel häufiger werden, verursachen viele Opfer und Schäden, etwa wenn sie zu Überflutungen führen, Infrastruktur und Landwirtschaft zerstören. Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geht vor allem in den reichen Industrieländern das Wirtschaftswachstum zurück, wenn die Zahl der Regentage und der Tage mit Extremregenfällen zunimmt.
Klimaanpassung auf lokaler Ebene
Neben der dringend erforderlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch das Verbrennen fossiler Energieträger muss laut C3S-Direktor Buontempo auch die Anpassung an den Klimawandel schneller vorangetrieben werden. Es gebe sehr viel, was man auf lokaler Ebene tun könne, um Staaten, Regionen und Städte auf die Veränderungen vorzubereiten, erklärt Buontempo.
"Denn auch wenn wir die Emissionen auf netto-null gebracht haben, werden wir schon in den kommenden Jahrzehnten in einem extremeren Klima leben - mit mehr Dürren, mehr Hitzewellen und mehr Überflutungen."
Redaktion: Jennifer Collins