Terror am Nil: Hintergründe eines Anschlags
6. August 2019Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi reagierte rasch. Bald nach der Explosion eines mit Sprengstoff beladenen PKW im Zentrum von Kairo sprach er auf Twitter von einem "feigen Terrorakt". Dem waren in der Nacht zum Montag mindestens 20 Menschen zum Opfer gefallen. 47 weitere wurden verletzt.
Der Fahrer des mit Sprengstoff beladenen Wagens war auf der Schnellstraße Corniche am Ufer des Nils nahe des Krebsforschungsinstituts NCI mit drei Autos zusammengestoßen, woraufhin sein Wagen explodierte. "Der ägyptische Staat und all seine Einrichtungen sind entschlossen, dem brutalen Terrorismus entgegenzutreten und ihn zu entwurzeln", schrieb Al-Sisi auf Twitter.
Steckt "Hasm" hinter dem Anschlag?
Nach ersten Ermittlungen machte die Regierung die islamistische Terrorgruppe "Hasm" für den Anschlag verantwortlich. Die den verbotenen, in Ägypten als Terrororganisation eingestuften Muslimbrüdern nahestehende Gruppe hatte sich zuvor mehrfach zu Anschlägen in Ägypten bekannt.
Hasm wurde 2015 gegründet, zwei Jahre nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi durch das Militär. Die Gruppe bekannte sich unter anderem zum Mord an einem Geheimdienstoffizier sowie zum versuchten Mord am ehemaligen Großmufti Ali Gomaa. Hasm übernahm auch die Verantwortung für einen Anschlag auf die Botschaft Myanmars in Kairo im Herbst 2017.
Explosion auf der Corniche: ein Versehen?
Nun also der Anschlag in Kairo, auf einer Corniche direkt am Ufer des Nils. Es könnte sein, dass der Anschlag dort tatsächlich stattfinden sollte, sagt der Sicherheitsexperte Mahmoud Khalaf, wissenschaftlicher Berater der der Nasser-Akademie für Militärwissenschaften in Kairo. "Allerdings könnte der Fahrer den Wagen auch versehentlich dorthin gesteuert und ursprünglich ein ganz anderes Ziel im Kopf gehabt haben".
Der Sozialgeograph Günter Meyer, Leiter des "Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt" an der Universität Mainz, hält das für eher unwahrscheinlich. "Das halte ich für ausgeschlossen angesichts der Verkehrsführung in diesem Bereich. Die gesamte Corniche ist nur in einer Richtung befahrbar. Ich gehe davon aus, dass es sich hier eindeutig um einen Terroranschlag handelt. Das ist ja auch die Lesart des ägyptischen Innenministeriums."
Fragwürdig sei allerdings die Behauptung, der Angriff gehe auf das Konto der Hasm-Gruppe. Die Anschläge dieser Gruppe hätten sich bislang immer nur gegen Sicherheitskräfte gerichtet, nicht gegen Zivilisten. "Darum liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Selbstmordanschlag des Islamischen Staates (IS) handelt", so Meyer.
Leben am Existenzminimum
Der Anschlag, ob nun vom IS oder von Hasm verantwortet, spielt sich für sehr viele Ägypter in einem äußerst schwierigen politischen und sozialen Hintergrund ab. Das Land ist hoch verschuldet. 2016 wandte es sich an den Internationalen Währungsfonds IWF. Der gewährte dem Land eine Anleihe von zwölf Milliarden Dollar, forderte im Gegenzug aber eine ökonomische Strukturanpassung. "Es wurden neue Steuern erhoben", so Günter Meyer im DW-Gespräch. "Die Folge waren höhere Preise, von denen vor allem aber die niedrigsten, aber auch mittlere Einkommen betroffen waren."
Zwar habe der Präsident Al-Sisi zum Ausgleich für die Sparpolitik eine Anhebung des Mindestllohns um 67 Prozent auf rund 100 Euro pro Monat verordnet. "Das gilt aber nur für den formellen Sektor", so Meyer. "Die meisten Arbeitnehmer - rund drei Viertel - arbeiten aber im informellen Sektor und profitieren überhaupt nicht von der Regelung." Die Frustration treibe einen Teil der Bevölkerung in die Arme radikaler Islamisten.
Schwierige Menschenrechtslage im Land der Pharaonen
Neben den wirtschaftlichen leiden viele Ägypter auch unter politischen Missständen, insbesondere der schwierigen Menschenrechtslage. "Die Behörden setzten Hunderte Personen und Organisationen auf die nationale Terrorismus-Liste und beschlagnahmten deren Besitz wegen angeblicher Verbindungen zum Terrorismus, ohne dass die Betroffenen angehört oder andere Standards für faire Verfahren eingehalten wurden", heißt es etwa im World Report 2019 der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
In diesem Umfeld verschwanden etwa im Zeitraum zwischen Juli 2013 - in jenem Monat wurde der den Reihen der Muslimbrüder entstammende Staatspräsident Mohammed Mursi gestürzt - und August 2018 rund 1530 Personen für einige Zeit spurlos. Das Schicksal von mindestens 32 Personen war bis zu diesem Datum ungeklärt. Auch sonst zeigt die Regierung sich selbstbewusst. Die ägyptische Ministerin für Immigration, Nabila Makram, gefiel sich vor wenigen Tagen in Kanada in einer ungeschminkten Drohgebärde gegenüber im Ausland lebenden Oppositionellen. Bis zu 60.000 politische Gefangene, schätzen Menschenrechtsorganisationen, könnte es derzeit in Ägypten geben.
Staatliche Kontrolle nimmt überhand
Die politische Verhärtung setze sich auch im Jahr 2019 fort, sagte Günter Meyer. "Der Höhepunkt war die Verfassungsänderung im April dieses Jahres. Durch sie kann der Präsident nun bis zum Jahr 2030 regieren. Verbunden ist damit auch die staatliche Kontrolle über die Justiz und ein wesentlich stärkerer politischer Einfluss des Militärs als Garant und Beschützer der Verfassung. Hinzu kommt die massive Einschränkung der Pressefreiheit."
23 Journalisten befänden sich derzeit in Haft, rund 500 Internet-Seiten seien blockiert. "Den Betreibern wird vorgeworfen, sie verbreiteten Lügen über die Regierung. Damit verstießen sie gegen das Verbot der Verbreitung falscher Nachrichten. Was falsche Nachrichten sind, bestimmt die Regierung."
Raum für Dialog statt für Gewalt
Ähnlich sieht es auch der Politologe Ahmed Ban, Autor zahlreicher Texte zu fundamentalistischen und extremistischen religiösen Gruppen. Das politische System verschließe sich dem politischen Prozess. Stattdessen setze es auf Sicherheitsmaßnahmen und verweigere den Dialog mit den Islamisten. Geschehen sollte das Gegenteil, so Ban. Wenn sich der Raum für politische Mitgestaltung öffnet, schließt sich zugleich der für Krieg und Gewalt." Dies sei der Weg, den Ägypten gehen müsse, soll das Land dauerhaft befriedet werden.