Terror-Ermittler melden weitere Verhaftung
15. November 2011Bei den Ermittlungen um die Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ist am Montagabend (14.11.2011) ein weiterer Verdächtiger in Haft genommen worden. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe erließ Haftbefehl gegen den bei Hannover gefassten Holger G. wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Mordserie und weitere Anschläge
Auf das Konto der Neonazi-Truppe gehen nach bisherigen Erkenntnissen Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006, ebenso der Mord an einer Heilbronner Polizistin im April 2007. Die rechtsextreme Terrorgruppe hat aber möglicherweise noch weitere schwere Anschläge verübt. Es gebe "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte", so der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH), dass die Zwickauer Gruppe auch für einen Sprengstoffanschlag am 9. Juni 2004 in Köln-Mülheim verantwortlich sei. Möglicherweise gehen auf ihr Konto noch weitere Anschläge in Köln und Düsseldorf, bei denen zwischen 2000 und 2004 mehr als 30 Menschen verletzt wurden, einige davon schwer.
Die neuen Erkenntnisse haben sich vor allem durch die Auswertung des bizarren Bekenner-Videos ergeben. So geht das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen nun davon aus, dass es auch eine Verbindung zu einem Sprengstoffanschlag auf ein Kölner Lebensmittelgeschäft im Januar 2001 geben könnte. Damals wurde eine junge Deutsch-Iranerin verletzt. Dass die Zwickauer Gruppe hinter dem schweren Anschlag 2004 in Köln-Mülheim stecken dürfte, nehmen die Ermittler inzwischen fest an. Dabei waren 22 Menschen verletzt worden.
Untersucht wird nun noch, ob die Gruppe auch hinter dem Bombenanschlag auf die S-Bahn-Station in Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 stecken könnte. Ein in einer Plastiktüte versteckter Sprengsatz war damals in einer Gruppe jüdischer Aussiedler explodiert, zehn Menschen wurden verletzt. Eine Frau verlor durch das Attentat ihr ungeborenes Kind. Schließlich prüft das bayerische Landeskriminalamt eine Verbindung zwischen der Terrorserie und dem Messerattentat auf den früheren Passauer Polizeichef Alois Mannichl vor fast drei Jahren.
Bundesinnenminister macht Thüringen Vorwürfe
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte, er setze auf rasche Aufklärung, ob hinter dem schon bekannten Täter-Trio ein größeres Netzwerk stehe. Friedrich forderte zugleich Aufklärung vom Thüringer Verfassungsschutz. Es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde", sagte Friedrich. Sein Sprecher schloss nach derzeitigem Erkenntnisstand aus, dass Mitglieder des Neonazi-Trios aus Thüringen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt geführt worden seien.
"Eine Schande für Deutschland"
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Taten "eine Schande für Deutschland". Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde "optimal organisiert" ist. Landesbehörden seien eventuell zusammenzulegen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, warf dem Verfassungsschutz Versagen vor. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, dass die Verdächtigen jahrelang abtauchen konnten. Oppermann ist zugleich Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, das für die Geheimdienste zuständig ist. Das Gremium will sich an diesem Dienstag in Berlin von Vertretern des Geheimdienstes informieren lassen.
Neue Debatte über NPD-Verbot
Die Mordserie der NSU gab der seit Jahren geführten Debatte über ein Verbot der rechtsextremen NPD neue Nahrung. Die CDU will die Erfolgsaussichten eines neuen Verbotsantrags beim Karlsruher Verfassungsgericht prüfen. Die Innenminister Bayerns und Baden-Württembergs signalisierten Unterstützung. SPD-Mann Oppermann sagte dem ZDF, die NPD gehöre ganz klar verboten. Auch wenn sie offenbar keinen Kontakt zu der Zwickauer Terrorzelle gehabt habe, schaffe sie doch "das geistige Umfeld".
Dagegen wandte sich Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gegen ein NPD-Verbot. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, warnte vor Übereifer, auch wenn ein NPD-Verbot auf den ersten Blick sympathisch klinge. Mit Verboten ändere sich jedoch nichts in den Köpfen von Neonazis, Rassisten und Antisemiten. Der erste Versuch, die NPD als verfassungswidrige Partei verbieten zu lassen, hatte für Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nämlich 2003 in einem Debakel geendet. Der Zweite Senat in Karlsruhe stellte das Verfahren ein, nachdem bekannt wurde, dass sich das Beweismaterial zu großen Teilen auf Aussagen von V-Leuten des Verfassungsschutzes stützte.
Autor: Marko Langer (mit dapd, rtr)
Redaktion: Gerd Winkelmann