Terrorexperte: Täter hatte soziale Probleme
16. Februar 2015Deutsche Welle: Was bewegt einen 22-jährigen ehemaligen Gymnasiasten, der vom Direktor seiner früheren Schule als "guter Schüler" und von Mitschülern als "freundlich" beschrieben wird, zu einer solchen Tat?
Lars Erslev Andersen: Dieser Frage müssen wir uns in den nächsten Wochen intensiv widmen. Wir haben einige Hinweise: Der mutmaßliche Täter war in der Vergangenheit bereits in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Das brachte ihn ins Gefängnis, nachdem er jemanden mit dem Messer attackiert und dabei fast umgebracht hätte. Gleichzeitig muß man betonen, dass der mutmaßliche Attentäter viele Probleme sozialer Art hatte. Er ließ sich von radikalen Ansichten über den Israel-Palästina-Konflikt und den vermeintlichen "Krieg" des Westens gegen den Islam beeinflussen. Das alles spielt meiner Meinung nach eine Rolle für die Erklärung seiner Motive.
Welchen Einfluss könnte sein Gefängnisaufenthalt auf die Radikalisierung des 22-jährigen Omar Abdel Hamid el-Hussein gehabt haben? Zwei Wochen vor der Tat war er nach einer zweijährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden.
In vielen anderen Fällen haben sich Inhaftierte im Gefängnis radikalisiert, weil sie dort Leute trafen, die sie manipulierten. Mag sein, dass dies auch auf diesen jungen Mann zutrifft. In jedem Fall fand er die Vorstellung, ein "Heiliger Krieger" zu sein offenbar faszinierend. Weniger im religiösen Sinne, als vielmehr als eine Rolle, in die er schlüpfen wollte.
Lassen Sie uns noch einmal auf die sozialen Probleme zurückkommen: Welche Bedeutung haben die konkret und welche Gegenmaßnahmen wären sinnvoll gewesen?
Ich bin kein Sozialarbeiter, ich forsche darüber, wie Terrorismus entsteht. Aber ich halte es für den falschen Ansatz, dass der Fokus von Anti-Radikalisierungsmaßnahmen und Gefahrenprävention so sehr auf den Aspekt der Ideologie gelegt wird. Demokratie und Radikalisierung werden als Gegensätze betrachtet. Verbunden mit der Annahme, man müsse den Menschen nur demokratische Werte vermitteln, dann wären sie besser integriert. Ich denke nicht, dass der Attentäter vom Wochenende empfänglich wäre für solche Maßnahmen. Ich denke, seine Probleme sind tiefgründiger. Wenn die dänische Gesellschaft damit wirklich umgehen will, muss sie selbstkritisch hinterfragen, ob sie mit dem Thema "Integration" richtig umgeht.
Inwiefern war denn der Attentäter nicht in die Gesellschaft integriert? Wo lebte er beispielsweise?
In Nörrebro. Das ist ein Stadtteil, im Norden Kopenhagens, in dem viele junge Menschen leben: Studenten, aber auch Immigranten. Genauer gesagt lebte der mutmaßliche Attentäter an der Grenze zwischen Nörrebro und dem Stadtteil Nordvest. Diese Gegend ist wie ein Ghetto. In den Wohnhäusern leben vor allem Immigranten aus dem Mittleren Osten. Wenn man sich dorthin begibt, hat man auch das Gefühl, im Mittleren Osten zu sein: Viele Frauen sind verschleiert, es gibt arabische Geschäfte. Der Stadtteil wird auch "Klein-Kairo" genannt.
Denken Sie, dass der Doppelanschlag weitere potentielle Attentäter zu ähnlichen Taten inspirieren könnte?
Ich vermute, dass der Attentäter selbst in irgendeiner Art von der Anschlagsserie in Paris vom Januar dieses Jahres beeinflusst war. Ich sehe ihn als Trittbrettfahrer. Muslimische Verbände in Dänemark haben seine Tat zwar als unislamisch verurteilt, trotzdem können wir nicht ausschließen, dass Einzelpersonen ihm nacheifern wollen.
Seit im Jahr 2005 die dänische Zeitung "Jyllands Posten" Mohammed-Karikaturen des Zeichners Kurt Westergaard veröffentlicht hatte, war das Land in Alarmbereitschaft. Inwiefern haben die Behörden mit einem solchen Anschlag möglicherweise gerechnet?
Alles hat sich seit 9/11, den Anschlägen in New York, geändert - auch in Dänemark. Die dänische Regierung hat die US-Luftwaffe bei ihrem Einsatz gegen den Terror unterstützt, etwa in Afghanistan und im Irak. Das Ziel war, einen von Außen kommenden terroristischen Angriff zu verhindern. Doch nach den islamistisch motivierten Attentaten in London im Jahre 2005 wurde klar, dass Terrorismus auch aus dem Inneren des Landes kommen kann, der so genannte "homegrown terrorism". Seit Anfang 2006 die Mohammed-Karikaturen Unruhen in der islamischen Welt auslösten, steht Dänemark nach meiner Einschätzung weit oben auf der Liste von Dschihadisten. Eine Reihe von Anschlägen konnten verhindert werden, am vergangenen Wochenende ist das leider nicht gelungen.
Wie konnte der Attentäter trotz Sicherheitsmaßnahmen seine tödlichen Schüsse bei der Veranstaltung in dem Kulturcafé abfeuern und Stunden später noch einmal angreifen?
Das ist eine der Fragen, die die Ermittler nun klären müssen: Wie waren die Sicherheitsmaßnahmen bei der Veranstaltung? Wie groß war die Anschlagsgefahr bei so einem Treffen? Wie kommt es, dass der Mann sich dem Veranstaltungsgebäude nähern konnte und schießen konnte? Wieso gelang ihm zunächst die Flucht?
Sie haben eben beschrieben, was Dänemark bereits tut, um terroristische Anschläge zu verhindern. Reichen diese Maßnahmen aus?
Die Beispiele in Paris oder nun in Kopenhagen zeigen, dass sich die Täter auch in westlichen Ländern radikalisieren. Wir müssen den Angriff in Kopenhagen als einen begreifen, der von Innen kommt und für den es entsprechend Gründe gibt, die auch mit der sozial-politischen Dynamik des Landes zu tun haben. Das ist für viele ein schwieriges Thema. Niemand will zugeben, dass auch wir Teil dieses Konflikts sind. Vor allem für Politiker ist es leichter, zu sagen: 'Wir werden von Außen angegriffen.' Ich hoffe, dass das Ereignis vom Wochenende dazu führt, dass wir das überdenken.
Lars Erslev Andersen forscht am "Danish Institute for International Studies" (DIIS) vor allem zu den Themen Terrorismus und Internationale Sicherheit.
Das Gespräch führte Najima El Moussaoui.