Weihnachtsgeschichte im Kino
14. Dezember 2006Maria (Keisha Castle-Hughes) scheint ein ziemlich normales Mädchen zu sein. Etwa vierzehn Jahre alt, fleißig und ein wenig albern. Hübsch, aber nicht makellos - pubertär eben. Sie tobt mit ihren Freundinnen über galiläische Felder, flirtet mit einem gleichaltrigen Jungen und verkauft frischen Ziegenkäse. Als der Vater sie nach jüdischem Ritus dem Tischler Joseph (Oscar Isaac) zur Frau gibt, reagiert Maria verstört und läuft weg. Die Enttäuschung steht ihr ins Gesicht geschrieben, bockig funkeln ihre dunklen Augen. Man kann das junge Mädchen aus Nazareth gut verstehen. Vielleicht sollte man sich diese Szene zweimal anschauen, denn dichter kommt man an die Person der Maria nicht heran. Ab diesem Zeitpunkt verschwindet die gerade lieb gewonnene Maria im Nebel demütiger Entrückung.
Was Catherine Hardwicke in "Es begab sich aber zu der Zeit" (The Nativity Story) inszeniert hat, sollte wohl so etwas wie das Meisterstück aller Krippenspiele werden. Für viele Menschen bilden diese Aufführungen der christlichen Urgeschichte immer noch den Kern des trubeligen Weihnachtsfestes. Erst, wenn in der prall gefüllten Kirche das Jesuskind geboren ist, wenn Ochs und Esel, Hirten und Könige ihren Spruch aufgesagt haben, ist wirklich Weihnachten. Ohne dieses wiederkehrende Spiel mit der alten Geschichte schmeckt die beste Weihnachtsgans nur halb so gut, will die schönste Nordmann-Tanne nicht so recht strahlen.
Weihnachtsstimmung und heilige Andacht
Dass diese Krippenspiele oft naiv, dramaturgisch katastrophal und akustisch kaum zu verstehen sind, tut dabei nichts zur Sache. Denn das Arrangement aus Weihnachtsstimmung, Jesusgeschichte und heiliger Andacht ist über jede Kritik erhaben - es funktioniert einfach. Wenn Hardwicke jetzt diesen Schutzraum emotional aufgeladener Kirchenräume verlassen hat, ist ihr der dazugehörige Mut hoch anzurechnen.
Das Drehbuch folgt dem traditionellen Motivkanon aus dem Lukas- und Matthäus-Evangelium. Der Engel Gabriel verheißt Maria die Geburt des Messias, sie reist zur ebenfalls schwangeren Elisabeth, kehrt zurück und bricht mit Josef nach Bethlehem zur Volkszählung auf. Währenddessen entdecken die drei Weisen im fernen Persien einen verheißungsvollen Stern, der sie zur Reise nach Bethlehem bewegt. König Herodes lässt derweil seine Soldaten durch das Land vagabundieren, um auf brutale Weise die Steuern einzutreiben. Seine Angst vor dem in der Heiligen Schrift prophezeiten Messias, der König über Israel sein soll, entlädt sich in der Tötung aller erstgeborenen Kinder. Treffen tut dieser hasserfüllte Massenmord natürlich die falschen.
Die Nacherzählung der zweitausend Jahre alten Geburtsgeschichte Jesu hat immer wieder eindrückliche Momente. Dann, wenn in der Tradition vernachlässigte Randfiguren ein Gesicht bekommen: Der gütige Vater von Maria, die auf Gott vertrauende Elisabeth, der zweifelnde Zacharias – Bilder, die verkümmerten Vorstellungen Futter geben. Oder die drei Weisen, die fast humorvoll ihre Kamele für die weite Reise nach Bethlehem satteln.
Leblose Heiligkeit
Und dennoch, der Film bleibt blass, die Figuren agieren, als wenn sie an der Leine gehalten würden. Maria verliert nach und nach ihre letzten menschlichen Züge, ihr Gesicht erstarrt in lebloser Heiligkeit. Als ihr Kind endlich in einer stallartigen Grotte in Bethlehem geboren ist und das Licht des Kometen auf die Krippe gleißt, ist die Verwandlung vom lebenslustigen Mädchen zur selbstlos strahlenden Gottesmutter abgeschlossen. Den Hirten sagt sie über ihr Jesuskind: "Es ist für uns alle da." Kaum ist Maria Mutter geworden, ist sie schon Ikone.
Der Film könnte ein Werbefilm sowohl für die evangelikal-protestantische als auch die katholische Kirche sein. Kardinal John Patrick Foley, Vorsitzender des päpstlichen Rats für Kommunikation, soll bei der Premiere im Vatikan vor 7000 geladenen Gästen gesagt haben, man erhoffe sich einen "fruchtbaren Dialog zwischen Glaube und Kultur". Was der Film jedoch mit gegenwärtiger Kultur zu tun haben mag, hat er nicht verraten.
Rom scheint erstmals bewusst auf die Kraft bewegter Hollywood-Bilder zu setzen. Das Kino könne ein "authentisches Instrument der Kommunikation für alle Menschen guten Willens sein", sagte Foley bei der Premiere. Menschen guten Willens scheint es vor allem in der USA zu geben - 3000 Kopien sollen eine neue und zahlungskräftige Zielgruppe in die Kinos locken. Seitdem Mel Gibsons "Passion Christi" 600 Millionen Dollar eingespielt hat, setzt Hollywood auf diejenigen zumeist konservativen Christen, die besonders gern ins Kino gehen, wenn ihre eigene Glaubenswelt in Szene gesetzt wird.
Stille Nacht, Heilige Nacht
Dass der deutsche Titel des Films die Eingangsworte des zweiten Kapitels aus dem Lukas-Evangeliums trägt, ist passend. Die Geschichte bleibt in der angenommenen Lebenswirklichkeit der damaligen Zeit stecken und ist zu sauber, um etwas von der Brüchigkeit der biblisch überlieferten Geburtsgeschichte zu zeigen. Wenn dann in orchestralem Breitwand-Sound "Stille Nacht, Heilige Nacht" auf die Stallromantik von Bethlehem donnert, ertrinkt die Geschichte endgültig im Kitsch und wird zur Folklore.
Zeit also für ein zünftiges Krippenspiel in einer überfüllten und fußkalten Kirche. Nicht, weil es in der Kirche statt im Kino spielt, sondern weil es in jedem Fall authentischer ist. Mit Stallgeruch und rotznasigen Kindern, denen die Jeans unter dem Hirtenmantel vorgucken und die ihren Text nicht gelernt haben. Mit dem unwiderstehlichen Charme des Unvollkommenen eben.
Keisha Castle-Hughes, die Darstellerin der Maria, ist übrigens seit drei Monaten schwanger. Sie ist sechzehn und unverheiratet. Ihr Freund arbeitet auf dem Bau, ist also so etwas wie ein Zimmermann. Bei der Premiere im Vatikan war sie nicht dabei. Gesprochen hat man darüber nicht. Zuhause in Neuseeland wird sie in Ruhe ihr Kind gebären. Und vielleicht zu Weihnachten irgendwo die schwangere Maria spielen - was ja eine ziemlich perfekte Besetzung wäre.