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Theaterintendantin Bettina Jahnke will "Zeichen setzen"

1. September 2019

Sie kennt sie das Kulturklima im Westen wie im Osten. Bettina Jahnke sieht eine politische Verantwortung für das Theater. Die Regisseurin setzt auf Dialog - auch mit AfD-Wählern, erzählt sie im DW-Interview.

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Bettina Jahnke
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger

Bettina Jahnke gehört zu den federführenden Initiatoren der Brandenburger "Erklärung der Vielen", die klar Position bezogen haben gegen rechte Stimmungsmache in Ost-Deutschland. Die Regisseurin und Intendantin des Hans-Otto-Theaters in Potsdam setzt auf Denkanstöße - ihre erste Spielzeit in Potsdam stand unter dem Motto "Haltung". Vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sieht sie die Kulturszene und die Theater in Deutschland in einer besonderen historischen Verantwortung: Im Interview mit der Deutschen Welle wirft sie einen professionell-kritischen Blick auf diese - auch für das Kulturklima entscheidenden - Wahlen.

DW: Frau Jahnke, haben Sie als Intendantin derzeit viel mit der Anspannung und Aufregung im Land vor den Wahlen zu tun? Inwieweit hat das Auswirkungen auf Ihren laufenden Theaterbetrieb?

Bettina Jahnke: Meine Person hat im Moment viel zu tun, weil ich sehr viele Interview-Anfragen von überall her bekomme. Und es gibt hier derzeit viele Veranstaltungen, wo ich auf dem Podium sitze oder wo man eben Präsenz zeigen möchte, um zu zeigen: Ja, das Hans-Otto-Theater bekennt Farbe und positioniert sich.

Bei uns im Haus geht allerdings zur Zeit die Kunst vor. Wir hatten gerade die Eröffnung der zweiten Spielzeit. Und eine Premiere steht nächste Woche an. Das ist so der normale Theateralltag. Aber die Mitarbeiter sind angespannt. Und natürlich geht jeden Morgen die Frage um: Habt ihr schon die Zeitung gelesen? Da ist schon wieder was passiert. Oder die neuen Umfragewerte der Parteien werden kommentiert. Das ist schon eine große Nervosität bei uns allen.

Das neue Hans-Otto-Theater in Potsdam
Arbeitsplatz mit guter Aussicht: Das Hans-Otto-Theater in PotsdamBild: picture alliance/Arco Images GmbH/J. Hildebrandt

Für Ihre erste Spielzeit als neue Intendantin in Potsdam hatten Sie das Motto "Haltung" gewählt . Jetzt sind Sie schon in Ihre zweite Spielzeit eingetaucht. Was haben Sie an Haltung entwickeln müssen, um mit Ihrem Haus, ihrem Schauspiel-Ensemble und allen Mitarbeitern an einem Ort wie Potsdam - immerhin die Landeshauptstadt von Brandenburg - auch politisch Position zu beziehen?

Mir war das wichtig, als ich in Potsdam begonnen habe, mich zu dem Namensgeber meines Theaters zu verhalten. Hans Otto war ein Kommunist, aber er war auch Schauspieler. Und er ist von den Nazis 1933 als einer der ersten Künstler in einem Verhör getötet worden - für seine politische Auffassung. Damals hat Gustav Gründgens sein Begräbnis bezahlt.

Otto ist in der DDR als kommunistischer Widerstandskämpfer sehr gefeiert worden. Und es war nach der Wende nicht klar, ob der Name des Hans-Otto-Theaters erhalten bleiben kann, es gab da auch große Widerstände. Und das war für mich wichtig als Intendantin dieses Hauses: Es gibt nur ein Hans-Otto-Theater. Und sich dazu politisch zu verhalten, dass wir uns als Künstler und Schauspieler auch politisch engagieren, diese Verpflichtung, die ich diesem Mann gegenüber gespürt habe - die wollte ich auch in meinem Programm für das Theater sichtbar machen.#

Deshalb hat mich die Abkürzung "HOT" für "Hans-Otto-Theater" auf den Dreiklang "Haltung Offenheit, Toleranz" gebracht. Und jetzt sind wir in der Spielzeit "Offenheit". Zum Thema "Haltung" ist Hans Otto für mich das Vorbild par excellence: Obwohl ihm das zugeraten wurde, hat er schon 1933 gesagt: "Ich gehe nicht ins Exil". Er ist in Deutschland geblieben und hat in Berlin aus seiner Position heraus den Widerstand organisiert.

Position zu beziehen als Künstler in diesen politisch aufgemischten Zeiten ist gar nicht so einfach. Die AfD hat inzwischen Einfluss genommen auf die Kulturpolitik in den ostdeutschen Bundesländern (die DW berichtete): Theater wurden mit ihrem Spielplan in Frage gestellt, Kulturförderungen angezweifelt, Theaterstücke angefeindet. Wie haben Sie das in Potsdam erlebt?

Man muss dazu sagen, Potsdam ist da irgendwie noch die Insel der Glückseligen. Wir sind bis jetzt verschont geblieben von öffentlichen Anfeindungen. Die AfD sitzt auch hier in Potsdam im Stadtparlament und ich selber habe als Intendantin des Theaters einen Aufsichtsrat, weil wir eine GmbH sind. Und wir haben dort auch ein AfD-Mitglied. Aber von direkten Eingriffen, von politischen Anfragen, Spielplaninterventionen oder sogar Vorstellungsstörungen, wie sie am Deutschen Theater in Berlin stattgefunden haben, sind wir bis jetzt noch nicht betroffen gewesen.

Aber es gibt in anderen Städten die berühmten Anfragen: "Wie viele ausländische Schauspieler sind denn an dem Theater beschäftigt?" Passierte in Baden-Württemberg. Oder es gab Störungen während einer Vorstellung, die der Meinung von AfD-Mitgliedern nicht entsprach. Und wo mitten in der Vorstellung einige Zuschauer - gekaufte Zuschauer - lautstark aufgesprungen sind. So werden kulturpolitische Weichen gestellt.

Potsdam Brandenburger Tor | "Pulse of Europe" Susan Stürmer Präsidentin Filmuni-Babelsberg mit Bettina Jahnke
Setzt sich ein: Bettina Jahnke (r.) beim "Pulse of Europe" am Brandenburger Tor zusammen mit Susan Stürmer, Präsidentin der Filmuni-BabelsbergBild: picture-alliance/Tagesspiegel/M. Thomas

Inwieweit verspüren Sie als Theaterintendantin in Deutschland auch politische Verantwortung in Hinblick auf die deutsche Geschichte?

Für uns ist das natürlich ein Schock, dass eine rechtspopulistische Partei 20, 24 Prozent der Stimmen in einem Bundesland bekommt (in Umfragen vor der Wahl, Anm.d.Red.). Es wird keine Koalitionspartner geben, aber das macht einen, gerade wenn man den Blick auf die deutsche Geschichte hat, sehr unruhig.

Ich komme aus dem Osten und habe fast die Hälfte meines Lebens in der DDR verbracht. Und gerade mich persönlich erschüttert, dass man sich 30 Jahre nach der Wende wieder mit Fragen nach Diktatur, Meinungsfreiheit und Angst vor offenen Grenzen beschäftigen muss. Dass diese Themen wieder so aufploppen und politisch auch Gewicht haben, das erschüttert mich. Es sind ja nicht einige wenige, sondern es sind viele, die plötzlich die Zeit wieder zurückdrehen wollen.

Als Theaterregisseurin und Intendantin zeigen Sie sich tatkräftig. Sie sind federführend unter anderem bei der Brandenburger Erklärung "Wir sind Viele", die sich den Bündnissen in anderen Bundesländern angeschlossen hat. Inwieweit ist das Forum breiter geworden vor den Wahlen? Hat sich da in den letzten Wochen noch etwas verändert?

Ja, das ist das, was mich derzeit ganz glücklich macht, muss ich wirklich sagen. "Die Vielen" hatten jetzt in Dresden eine Demonstration organisiert, da waren 40.000 auf der Straße. Das war beglückend, weil ich spürte, dass sich viele Menschen, die vorher die Demokratie und unser Land und wie wir leben als selbstverständlich hingenommen haben, jetzt engagieren. Plötzlich ist man gezwungen, ganz persönlich wieder ein Zeichen zu setzen und sich zu beteiligen, zu Demonstrationen zu gehen, Aufrufe mit zu unterschreiben, bei Kundgebungen dabei zu sein, Veranstaltungen zu organisieren. Und da passiert gerade unheimlich viel. 

Ich habe das Gefühl - und das ist ja auch so - dass wir alle wieder politischer werden. Im Freundeskreis oder in den Kultureinrichtungen und auch in der Öffentlichkeit. Und das finde ich ein sehr gutes Signal.

Brandenburg | Bettina Jahn - Neue Intendantin des Hans-Otto-Theaters
Leitete aus der Abkürzung "HOT" für "Hans-Otto-Theater" den Dreiklang "Haltung Offenheit, Toleranz" ab: Bettina JahnBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

In einem anderen Interview haben Sie gesagt, man müsse die Lebenswirklichkeit der AfD-Wähler ernst nehmen. Wie stark setzen Sie in Potsdam darauf, den Theaterzuschauerinnen und -zuschauern den Puls zu fühlen und mehr in Dialog und direkten Kontakt zu kommen, etwa in Form von Publikumsgesprächen?

Das ist auf alle Fälle wichtig. Das ist etwas, was ich entdecke, wenn wir das Stück von Sybille Berg "Viel gut essen" zeigen. Das ist ein Monolog von einem Wutbürger und das ist unerträglich, wenn man das hört. Wie der sich auf der Bühne echauffiert und aus seinen privaten Demütigungen heraus in eine politische Suada (Redeschwall, Anm.d.Red.) gerät. Wir haben das hier in Potsdam nicht als Monolog gezeigt, sondern in einem Chorstück.

Und das hat so gut funktioniert, dass die Zuschauer nach dem Stück noch 60, 70 Minuten lang zu einem Nachgespräch dableiben. Und man sehr heiß und innig darüber diskutiert. Und natürlich auch der Vorwurf ans Theater kommt: "Sowas darf man doch eigentlich nicht öffentlich auf der Bühne zeigen! Das geht doch nicht, das kann man nicht so unkommentiert lassen!" Also so eine Angst und Wut auch beim Publikum entsteht. Und wir als Theaterleute dann sagen: "Die Kunst muss das zeigen, weil wir dadurch auch ins Gespräch kommen, weil einen das provoziert."

Ich finde nichts langweiliger, als wenn wir uns alle gegenseitig auf die Schultern klopfen und sagen: Ja richtig, dass das mal gesagt wurde. Und dann geht man nach Hause und hat sich bestätigt gefühlt. Ich langweile mich ganz schnell bei solchen Veranstaltungen.