Der Brexit im Unterhaus: Angebot und Absage
22. November 2018Die britische Premierministerin Theresa May war in letzter Minute noch nach Brüssel gereist, um der EU ein paar Zugeständnisse abzuringen, mit denen die politische Erklärung zur Zukunft der Wirtschaftsbeziehungen für ihre Abgeordneten leichter verdaulich würde. Aber viel konnte sie nicht mitbringen, und ein erkennbarer Meinungsumschwung war am Donnerstag bei ihrem Auftritt in Westminster nicht zu beobachten, bei dem sie ihre politischen Waren anpries.
Es ist dieser Deal, oder keiner
Die Premierministerin brachte keine neuen Argumente mit, um die politische Erklärung an die Menschen auf den eigenen und den Oppositionsbänke im Unterhaus zu verkaufen. "Das ist der richtige Deal für Großbritannien" ist seit Wochen eines ihrer Leitmotive. Aber so oft sie diese Behauptung auch wiederholt, die Begeisterung bei den Abgeordneten wächst nicht. "Wir schützen damit Jobs und die Sicherheit [unseres Landes], wir beenden die Freizügigkeit", erklärt May, die stattdessen ein System will, das auf Qualifikation beruht. Im Prinzip plant die Regierung, nur noch höher qualifizierte Bewerber aus der EU zum Arbeitsmarkt zuzulassen.
"Wir beenden die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes", führt die Premierministerin weiter aus, übernehmen die Kontrolle über das eigene Geld und so weiter. May klammert sich an die Behauptung, dass dies der Brexit sei, für den die Wähler 2016 gestimmt hätten, und dass sie vor allem von den Themen Immigration und Souveränität motiviert gewesen seien. Außerdem sei es gelungen, eine harte Grenze in Nordirland zu vermeiden.
Und dann entwirft Theresa May auf der Basis der sogenannten politischen Erklärung noch das Bild einer goldenen politischen Zukunft: Es werde neue Vereinbarungen für freien Handel geben, für die Fischerei, für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, eine Sicherheitspartnerschaft, und das alles werde den Weg ebnen für "eine hellere Zukunft für unser Land. Dieser Deal ist in Reichweite, und ich werde ihn umsetzen".
Einhörner und ein Brexit mit verbundenen Augen
Oppositionsführer Jeremy Corbyn, sonst oft eher schwach und unkonzentriert in seinen Attacken auf Theresa May, konnte an diesem Nachmittag einen Treffer nach dem anderen landen: "Was hat die Regierung in den letzten zwei Jahren getan? Sie haben seit dem Referendum weniger als eine Seite pro Monat geschafft. Das ist ein Brexit mit verbundenen Augen, ein Sprung ins Dunkel." Denn die Abgeordneten in Westminster haben inzwischen verstanden, dass zwar der 586 Seiten lange Scheidungsvertrag rechtlich bindend ist, die nur 26 Seiten starke politische Erklärung, fertiggestellt am Donnerstag von Unterhändlern beider Seiten, aber lediglich ein diplomatischer Blumenstrauß mit begrenzter Haftung. Darin wird ein politischer Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die Verhandlungen bewegen können, aber nicht müssen, nachdem der Brexit Ende März 2019 vollzogen ist.
Der Labour-Abgeordnete Hillary Benn wies auf eine andere große Schwachstelle der Einigung mit Brüssel hin. Theresa May hatte dutzende Male "reibungslosen Handel mit der EU" nach dem Brexit versprochen. "Muss erst die Ablehnung ihres Deals die Premierministerin davon überzeugen, dass sie keinen reibungslosen Handel erreichen kann, wenn sie die Zollunion und den Binnenmarkt verlässt?"
Das ist der Finger in der Wunde, denn entgegen Mays Wunsch erwähnt die Erklärung den Begriff nicht, sondern weist ausdrücklich auf künftige Kontrollen und Überprüfungen hin. Damit endet die Vision, die im Mittelpunkt der Versprechungen durch die Brexit-Befürworter gestanden hatte, dass es nach dem Brexit weiter gehen könne wie vorher. "Eine Menge Einhörner ersetzen bei den künftigen Beziehung die Fakten. Das alles bedeutet einen blinden Brexit", sagt Nicola Sturgeon, die schottische Ministerpräsidentin. Ihre SNP werde dagegen stimmen.
Kritik aus den eigenen Reihen
Boris Johnson, einer der bissigsten Kritiker der Premierministerin, feuert eine Breitseite gegen May wegen des sogenannten "Backstop" für Irland ab: "Dieser Deal gibt der EU ein dauerhaftes Veto gegen Großbritanniens Fähigkeit, Handelsabkommen abzuschließen." Die vorübergehende Zollvereinbarung in der Austrittsvereinbarung ist für ihn und seine Gesinnungsgenossen beinahe der größte Verrat, den die Premierministerin an der Idee eines unbelasteten, freien Brexit begangen habe.
Und Co-Brexiteer Ian Duncan Smith kündigt an, dass er und seine Kollegen gegen den Deal in dieser Form stimmen würde. Wie viele Abgeordnete sich wirklich auf die Seite dieser Gruppe schlagen, ist ungewiss. Aber es könnte eine höhere zweistellige Zahl sein.
Zählt man die nordirischen Unionisten von der DUP hinzu und nimmt man die Drohungen der schottischen Tories ernst, die wegen der "künftigen Fischereiabkommen mit Zugang zu UK-Gewässern" in der politischen Erklärung ebenfalls "Verrat" schreien, dann ist Theresa May derzeit meilenweit davon entfernt, den Deal durch das Parlament zu bringen. Die Abstimmung soll in der ersten Dezemberhälfte stattfinden, und es ist unklar, was Theresa May bis dahin noch tun kann, um das Blatt zu wenden und ausreichend viele Abgeordnete umzustimmen.
Was bleibt, ist die Drohung mit dem No-Deal, dem harten Brexit ohne Einigung. Die Opposition setzt darauf, dass das Parlament dies nicht zulassen werde. Der Schritt aus dieser Sackgasse wäre dann ein zweites Referendum. Der Kampf um den Brexit wird jetzt zwischen der Premierministerin und ihren Gegnern im Unterhaus ausgetragen. Und der Ausgang ist völlig offen.