Der Taktiker auf dem IOC-Thron
10. März 2021Er versprüht in etwa so viel Charisma wie eine Litfaßsäule. Nicht dass Thomas Bach nichts zu verkünden hätte. Nicht dass der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) inkompetent wäre oder unverbindlich, dass er unsympathisch herüber käme oder humorlos. Doch in der Öffentlichkeit Funken sprühen zu lassen und damit Begeisterung oder gar Euphorie zu wecken, gehört nicht unbedingt zum Repertoire des 67-Jährigen. An guten Tagen wirkt der ehemalige Florettfechter staatsmännisch, an weniger guten wie ein verbeamteter Sportfunktionär, wenn es so etwas gäbe. Nichtsdestotrotz steht Bach seit siebeneinhalb Jahren an der Spitze des IOC. Jetzt kommen vier weitere Jahre dazu. Die IOC-Vollversammlung wählte bei einem virtuellen Treffen den Deutschen bis 2025 wieder. 93 IOC-Mitglieder stimmten für Bach, es gab eine Gegenstimme und vier Enthaltungen. Die Abstimmung galt als Formsache, da sich kein Gegenkandidat hatte aufstellen lassen.
Ist das nun gut für das IOC? "Ja, weil ich im Moment niemanden sehe, der es sonst machen sollte", sagt Sylvia Schenk der DW. Die 68 Jahre alte Juristin ist im Sport bestens vernetzt. Als Leichtathletin startete sie bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Von 2001 bis 2004 war sie Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer. Seit 2006 arbeitet sie bei der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International Deutschland und leitet dort die Arbeitsgruppe Sport. "Bei Bach weiß man, was man hat", findet Schenk. "Ich sage nicht, dass er der Beste ist, den ich mir jemals vorstellen kann. Aber ich kann mir ja keinen IOC-Präsidenten backen."
Boykott-Trauma trieb ihn in die Sportpolitik
Thomas Bach hat sich eher selbst zum mächtigsten Mann des Weltsports gebacken. 1976 wurde er in Montreal mit der deutschen Florettmannschaft Olympiasieger. Vier Jahre später erlebte er sein olympisches Trauma: den westlichen Boykott der Spiele 1980 in Moskau. Als Athletensprecher kämpfte Bach vergeblich dagegen. "Ohne diesen Boykott säße ich nicht im Internationalen Olympischen Komitee", sagte der IOC-Präsident später. Der Sport sei damals "zum bloßen Spielball der Politik" geworden.
Damit sich dies nicht wiederholte, strebte Bach selbst in das olympische Machtgefüge. 1981 gehörte er zu den Initiatoren der IOC-Athletenkommission. Zehn Jahre später, inzwischen promovierter Jurist, wurde Bach IOC-Mitglied und arbeitete sich die Karriereleiter hinauf: Mitglied des Exekutivkomitees, Vizepräsident und schließlich im September 2013 IOC-Präsident. Der Strippenzieher bestieg den Thron.
Vorwurf der Nähe zu Putin
"Bach ist halt Bach. Er war schon immer der gewiefte Taktierer", beschreibt Sylvia Schenk, wie sie den IOC-Chef in seinen ersten beiden Amtszeiten erlebt hat. "Aus meiner Sicht war er häufig zu realpolitisch. Ich hätte mir sehr oft deutlichere Worte von ihm gewünscht und einen viel früheren Einstieg in das Thema Menschenrechte." Gleich seine ersten Olympischen Spiele als IOC-Präsident, die Winterspiele 2014 in Sotschi, hätten dazu Gelegenheit geboten. Der Ukraine-Konflikt kochte, Russland bereitete die Annexion der Halbinsel Krim vor. Doch Bach umschiffte das Thema in Sotschi. Stattdessen blieb ein anderes Bild in Erinnerung: der IOC-Chef, der mit dem russischen Präsident Wladimir Putin Champagner trank.
Seitdem wird Thomas Bach den Vorwurf nicht los, Russland und Putin zu nahe zu sein. "Diesen Vorwurf kann ich nicht unterstreichen", verteidigt Schenk den IOC-Präsidenten. "Wenn er neben dem Präsidenten auf der Tribüne sitzt, muss er sich diplomatisch verhalten. Das ist wie bei den Vereinten Nationen: Unter Umständen muss man auch mit Diktatoren reden. Anders lässt sich internationale Politik nicht bewerkstelligen."
Dopingaffäre nicht gut gemanagt
Doch Sotschi verhagelte Bachs Start als IOC-Chef auch noch in anderer Hinsicht. Nach den Spielen wurde systematisches, staatlich unterstütztes Doping russischer Athleten aufgedeckt. "Das IOC hat beim Thema Doping immer nur auf die Athleten geguckt, von den 'clean athletes' gesprochen. Dabei wusste man seit langem, dass man auch 'clean government' benötigt, also saubere Regierungen und saubere internationale Verbände", sagt Schenk. "In Sotschi hätte man frühzeitig sagen müssen: 'Wir brauchen ein sehr spezielles Risikomanagement. Wir können weder dem Labor dort trauen noch der Regierung.' Das hat die WADA [Welt-Anti-Doping-Agentur, Anm. d. Red.] nicht gemacht, das hat das IOC nicht gemacht. Da liegt eine Mitverantwortung auch bei Bach. Er war ja schon vor der Wahl zum Präsidenten im IOC einflussreich."
Über Jahre seien Bach und das IOC damit beschäftigt gewesen, nach den Spielen von Sotschi aufzuräumen, so Schenk. "Das hat er nicht immer gut gemanagt." So überließ das IOC nach den Dopingenthüllungen den internationalen Sportfachverbänden die Entscheidung darüber, ob russische Athletinnen und Athleten bei den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro starten durften oder nicht. Rund 300 Sportler nahmen schließlich unter russischer Flagge teil. Einer der wenigen Verbände, die russische Athleten sperrten, war der Leichtathletikweltverband IAAF. Dieser rief das IOC dazu auf, die Whistleblowerin Julija Stepanowa unter neutraler Flagge starten zu lassen, weil sie mit ihren Aussagen geholfen habe, den Skandal aufzuklären. Doch Bach und das IOC blieben hart. Es hagelte Kritik. "Aus meiner Sicht ist seine Amtszeit insbesondere geprägt von bemerkenswerter Nachsicht gegenüber Staaten, die die Werte des Sports wie Good Governance, Fairness und Respekt geradezu demonstrativ mit Füßen treten", sagt Dagmar Freitag, Vorsitzende des Bundestags-Sportausschuss. "Wie anders soll man ansonsten sein Verhalten in der unendlichen russischen Doping-Causa werten?"
Agenda 2020 wird fortgesetzt
Kritik musste sich Bach auch in seiner Rolle als Krisenmanager während der Corona-Pandemie gefallen lassen. Viel zu spät seien die für 2020 geplanten Sommerspiele in Tokio um ein Jahr auf 2021 verschoben worden, hieß es. Und auch jetzt wird dem IOC-Präsidenten vorgeworfen, fast krampfhaft an den Spielen festzuhalten. "Bach kann im Grunde gar nicht anders, als alles dafür zu tun, die Olympischen Spiele in Tokio zu retten", zeigt Sylvia Schenk Verständnis. "Ob ihm das gelingt, weiß ich nicht. Ich denke, dass Bach auch einkalkuliert, dass die Spiele unter Umständen ausfallen."
Mit seiner 2014 beschlossenen "Agenda 2020" hatte Thomas Bach dem olympischen Gigantismus den Kampf angesagt. Die Spiele sollten wieder bescheidener, vor allem nachhaltiger werden. Die Realität sieht noch anders aus: So sind die Kosten für die Spiele in Tokio explodiert und liegen mit rund 12,6 Milliarden Euro schon jetzt mehr als viermal so hoch wie ursprünglich geplant. Dennoch habe Bach mit seiner Agenda wichtige Themen aufgegriffen, sagt Sylvia Schenk. "Da hat er mich positiv überrascht. Ich hätte mir allerdings sehr viel klarere Aussagen gewünscht und dann auch eine klarere Umsetzung." Bei der digitalen Vollversammlung von Mittwoch bis Freitag werden die IOC-Mitglieder aller Voraussicht nach die Fortsetzung des Programms abnicken, die "Agenda 2020+5".
"Auch darin stehen wieder wichtige Sachen wie Compliance und erstmals deutlich auch Menschenrechte", sagt Schenk. Da Bach 2025 nicht wiedergewählt werden könne, gehe es für ihn nur noch um sein Vermächtnis. Das sei "eine Riesenchance", sagt die Anti-Korruptions-Expertin und gibt dem IOC-Chef diesen Wunsch mit auf den Weg in seine letzte Amtszeit: "Walk the talk [Lasse den Worten Taten folgen]! Setze die 'Agenda 2020+5' um, gerade in den Bereichen Menschen- und Athletenrechte, Compliance und Good Governance! Da kann man in vier Jahren eine Menge erreichen." Thomas Bach, so Sylvia Schenk, habe nichts zu verlieren, "nur einen guten Ruf als Ex-IOC-Präsident zu gewinnen. Und daran sollte er jetzt systematisch arbeiten." Vielleicht attestiert man ihm dann eines Tages doch noch Charisma.