Tiefer Riss zwischen Den Haag und Ankara
13. März 2017Bereits den dritten Tag in Folge hat die Regierung in Ankara den niederländischen Gesandten für die Türkei einbestellt. Man habe offiziell über die Behandlung türkischer Minister in den Niederlanden am Wochenende sowie das "unangemessene" Vorgehen gegen Demonstranten protestiert, teilte das Außenministerium in Ankara mit. Der niederländische Botschafter ist derzeit außer Landes. Ihm hatte das Außenministerium in Ankara am Wochenende die Rückkehr untersagt.
Proteste in Amsterdam
In den Niederlanden war am Wochenende der Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker eskaliert. Die niederländischen Behörden verweigerten Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Einreise mit dem Flugzeug und wiesen die türkische Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya auf dem Landweg wieder in Richtung Deutschland aus. Die niederländische Regierung hatte zuvor Auftritte beider Minister für unerwünscht erklärt.
Am Samstagabend demonstrierten daraufhin rund 1000 Menschen mit türkischen Flaggen vor dem türkischen Konsulat in Rotterdam. In der Nacht trieb die Polizei die Menge mit Wasserwerfern und berittenen Beamten auseinander. Mehrere Menschen wurden festgenommen. Am Sonntagabend gingen mehrere hundert türkisch-stämmige Niederländer in Amsterdam auf die Straße und protestierten zunächst friedlich. Gegen 23 Uhr hätten sich rund 250 Demonstranten auf einem Platz im Westen der Stadt versammelt und dort randaliert, teilte die Polizei mit. Einige Demonstranten hätten die Beamten mit Steinen beworfen. Daraufhin habe die Polizei mit Wasserwerfern und Schlagstöcken eingegriffen. Sechs Personen seien festgenommen worden. In anderen niederländischen Städten blieb es dagegen ruhig.
Niederlande fordern offizielle Entschuldigung
Die niederländische Regierung hat unterdessen eine neue Reisewarnung für die Türkei ausgegeben. Das Außenministerium rät darin den in der Türkei lebenden Niederländern zur "Vorsicht". Sie sollten im gesamten Land Menschenansammlungen sowie belebte Plätze meiden, heißt es.
Den Haag pocht außerdem auf eine offizielle Entschuldigung Ankaras. Vor allem die Beschuldigungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der die Niederländer faschistisch und Nazis genannt hatte, müssten vom Tisch, sagte der sozialdemokratische Vizepremier, Lodewijk Asscher, im niederländischen Radio.
Mahnungen von Merkel und Stoltenberg
"Es ist äußerst widerlich, dass ausgerechnet wir - mit unserer Geschichte - als Nazis beschimpft werden." Die neutralen Niederlande waren im Zweiten Weltkrieg von 1940 bis 1945 von den Deutschen besetzt. Das Land hatte sehr unter der Besatzung und Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten gelitten. Etwa 104.000 jüdische Niederländer waren deportiert und von den deutschen Nazis ermordet worden. Erdogan hatte über die Niederländer am Samstag gesagt: "Sie sind so befangen, so ängstlich. Das sind Überbleibsel der Nazis, das sind Faschisten."
Unterdessen stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Seite des deutschen Nachbarlandes. Die Niederlande hätten ihre "volle Unterstützung und Solidarität", sagte Merkel in München. Die Kanzlerin kritisierte in diesem Zusammenhang erneut die Nazi-Vergleiche Erdogans, die "völlig in die Irre" führten. Auch die NATO rief die Türkei und die anderen Bündnispartner zur Mäßigung auf. Ziel müsse es sein, "Spannungen zu entschärfen und die Lage zu deeskalieren", erklärte Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel.
Unfaire Kampagne vor Referendum
Der oberste Wahlbeobachter der OSZE, Michael Georg Link, warnte vor einer unfairen Kampagne zum Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April. Schon vor der Parlamentswahl 2015 habe es eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit gegeben. Die Behinderungen seien vor dem Referendum "noch massiver" geworden, sagte Link der "Heilbronner Stimme".
Bei dem Referendum sollen die Türken über die Einführung eines Präsidialsystems entscheiden, das Präsident Erdogan mehr Macht geben würde. Die Kampagne finde in einer "Atmosphäre großer Verunsicherung" statt, sagte Link. "Die Einschüchterung Oppositioneller hat deutlich zugenommen."
Die OSZE beobachtet Link zufolge das Referendum. Es würden zehn Experten nach Ankara sowie 26 Langzeitwahlbeobachter in die Regionen gesandt, um die Lage im Land verfolgen zu können. Das entspreche der Größenordnung früherer Wahlbeobachtungen.
cr/rb (dpa, ap, afp)