Berlins wilde Tierwelt
8. Juli 2016DW: Frau Koch, beunruhigte Bürger rufen Sie an, wenn sie auf ein wildes Tier in Berlin treffen. Zu welchen Tierarten geben Sie den Berliner Bürgern Ratschläge?
Füchse und Waschbären sind überall in Berlin - an Gebäuden, in Kleingartenanlagen, in Siedlungsgärten, sogar neben dicht befahrenen Straßen. Die ganze Stadt Berlin ist zu einem Lebensraum für Füchse geworden. Studien haben gezeigt, dass es weniger Fuchsbaue in den Wäldern gibt als in der besiedelten Stadt. Es gibt außerdem viele Wildschweine, Marder und Hasen, die durch die Straßen laufen.
Nicht zu vergessen die Vögel. Berlin ist die Stadt mit der größten Zahl und Vielfalt an Vögeln. Wir haben Singvögel und Raubvögel, wie den Seeadler - und in den letzten Jahren sind auch viele Seemöwen dazugekommen. Es gibt eine große Kolonie von wilden Graureihern im Berliner Tierpark, die es da super finden, weil sie das Futter der Zootiere essen können.
Was macht Berlin so attraktiv für diese Tiere?
Ich denke der Hauptgrund ist, dass die Tiere hier offensichtlich sehr gut an Nahrung kommen. In Berlin leben Füchse von den Abfällen oder Picknickresten der Menschen und fressen aus Hundefutter- und Katzenfutternäpfen. Sie sind von Jägern zu Sammlern geworden.
Sie fangen aber auch noch jede Menge Mäuse und Ratten, von denen es viele in Berlin gibt. Ein anderer Grund, warum sie gerne in der Stadt leben, ist, dass sie hier nicht gejagt werden. Sie sind hier relativ sicher.
Wer sich eine Stadtkarte von Berlin anschaut, sieht, wie durchgrünt die Stadt ist. Wir haben die Stadtwälder, wir haben große Parkanlagen, viele Wasserstraßen und verlassene Bahntrassen. Entlang dieser Wanderkorridore wandern sie einfach in die städtischen Gebiete ein.
Außerdem ist es einfach für die Tiere Schutz zu finden. Waschbären leben zum Beispiel in Höhlen - und in der Stadt finden sie mehr "Höhlen" als auf dem Land - seien es Dächer, Schornsteine oder Bäume mit Hohlräumen.
Normalerweise rufen Leute Sie an, wenn Sie besorgt sind, weil sie plötzlich einem Fuchs begegnen. Vor welchen wilden Tieren haben die Menschen am meisten Angst, und warum?
Die häufigsten Anrufe bekommen wir wegen Waschbären und Füchsen. Dann kommen Marder und Wildschweine. Der Grund für die Anrufe ist weniger die Angst, sondern eher eine Unsicherheit, weil die Tiere sich anders verhalten, als man es so kennt.
Zum Beispiel beim Fuchs. Wir wissen, dass der Fuchs, wenn er einen Menschen sieht, um sein Leben rennt, weil er intensiv bejagt wird. Das ist in Berlin eben nicht so. Hier gibt es diese sogenannten Fluchtdistanzen nicht mehr. Sie kommen ganz nah an die Menschen heran. Deswegen haben Bürger oft die Sorge, dass möglicherweise mit dem Fuchs etwas nicht in Ordnung ist oder dieser Tollwut hat.
Gibt es bekannte Fälle von Tollwut bei Füchsen in Berlin?
Nein, gar keine. Deutschlandweit gibt es Impfköder, weswegen es diese Fuchstollwut nicht mehr gibt. Die geringe Fluchtdistanz hat auch nichts mit der Krankheit zu tun, sondern damit, dass der Fuchs sich an das Stadtleben angepasst hat. Wenn er immer noch eine große Fluchtdistanz hätte, könnte er in der Stadt nicht mehr überleben, denn er würde ja ständig auf Menschen und ihre Haustiere treffen.
Angst muss man also vor Füchsen nicht haben. Mir ist auch kein Fall bekannt, dass sie Menschen angegriffen haben - und auch von keinem anderen wilden Tier in Berlin.
Respekt sollte man aber trotzdem haben. Man sollte eine gewisse Distanz einhalten, weil es nun mal auch wilde Tiere sind. Sie können natürlich auch beißen und Warngeräusche von sich geben, wenn man sie in die Enge treibt.
Teil Ihrer Arbeit ist der Naturschutz. Warum ist es so wichtig, wilde Tiere in Städten zu schützen?
Das Naturerleben spielt eine ganz entscheidende Rolle. Zum Wohlfühlen in Berlin gehört das mit dazu. Würde es die Tiere nicht geben, hätten wir nämlich nur Flugzeuge, Autos und die Straßenbahnen, die Krach machen.
Für die Bürger dieser Stadt sind die Tiere was ganz tolles. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen sich freuen, wenn sie das erste Mal Mauersegler durch ihre Straße fliegen sehen. Oder wenn der Turmfalke oben auf dem Dach sitzt und seine Balzrufe zu hören sind. Oder wenn eine Fledermaus in der Nacht ihre Runden im Vorgarten dreht. Wäre das nicht traurig, wenn es in Berlin plötzlich keine frechen Spatzen mehr gibt, die einem versuchen, aus der Hand zu fressen? Ohne diese Tiere würden wir komplett den Bezug zur Natur verlieren.
Was können wir tun, um sie zu schützen?
Wir brauchen unversiegelte Flächen, die nicht nur die Funktion haben Abstandsgrün zu sein, sondern die auch eine Biotopfunktion übernehmen können. Man muss großzügiger und grüner bauen, damit die Tiere genug Raum zum Leben haben. Gerade die Populationen der Kleinvögel wie die der Kohlmeise nehmen dramatisch ab - weil wir unsere Grünflächen übernutzen und somit viele Nahrungsflächen verloren gehen.
Und wenn eine Art ausstirbt, wie der Spatz zum Beispiel, dann werden auch andere Tiere sterben, wie der Turmfalke, der sich von Spatzen ernährt. Das ist eine Kettenreaktion. Und das kann dann auch den Menschen treffen. Naturschutz ist nichts anderes als Menschenschutz. Das scheinen die Leute oft nicht zu verstehen.
Katrin Koch arbeitet für Berlins Wildtierberatungsservice des Naturschutzbundes (NABU). Das Interview führte Anne-Sophie Brändlin.