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Tierische Erotik in der Werbung

Constantin Fritz8. Dezember 2003

Was ist normal? Diese Frage lässt sich immer schon schwierig beantworten. Wer Tabus bricht, ist angesagt. Auch die Werbung nimmt sich Tabuthemen an, um ihre Produkte zu verkaufen.

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Macht Werbung Sodomie salonfähig?

Besonders die 1968er-Generation hat ehemals stigmatisierte Lebensweisen wie freie Liebe gesellschaftsfähig gemacht. Seitdem wurden die Grenzen der Moral kontinuierlich aufgeweicht. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch Tabus gibt, die gebrochen werden können. Sodomie, so Franz Liebl, Professor für Strategisches Marketing an der Universität Witten-Herdecke, sei eines dieser Tabus.

Tabus werden gesellschaftsfähig

Die "psychologische Kategorie Perversion" werde laut Professor Liebl zur marktgerechten Vorliebe. Die Werbewirtschaft suche also gezielt nach gesellschaftlichen Tabus, mit denen sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreichen kann. Das Anormale zu normalisieren sei dabei ein wichtiger Effekt von provokativer Werbung. "Anhand tabuisierter Zonen wie Homosexualität oder Fetischismus kann man deutlich ablesen, wie einst stigmatisierte Verhaltensweisen mittlerweile zum attraktiven Lebensstilangebot geworden sind", erklärt Liebl und weist darauf hin, dass gerade die Werbung ihren Beitrag dazu geleistet habe.

Tierisch hohe Dunkelziffern

Die "Zoophilie", wie Sodomie korrekt genannt wird, sei das Tabu der Stunde, das es zu brechen gilt: Obwohl allgemein verboten, ist die Dunkelziffer derjenigen, die regelmäßig sexuellen Kontakt mit Tieren haben, nach Angaben der schweizerischen "Stiftung für das Tier im Recht" ziemlich hoch: In den USA sollen rund acht Prozent der Männer und mehr als drei Prozent der Frauen zumindest schon einmal geschlechtlichen Umgang mit Tieren gehabt haben, wobei sich die Zahl der Männer in ländlichen Gegenden auf 17 Prozent erhöht. Andere Quellen gehen sogar davon aus, dass die Hälfte der Männer auf dem Land der sexuellen Tierliebe fröne.

Sisleys Werbekampagne

Sisley-Werbung
Das liebe Sisley-Schwein

Die Theorie von Professor Liebl wird von der Modemarke Sisley untermauert, Tochter des italienischen Benetton-Konzerns: Werbung mit Erotik, aber diesmal mit Tieren, lautet das Motto. Dabei geht Sisley auch bewusst in Richtung Kunst: Bis zum 23. November 2003 zeigte die Berliner Avantgardegalerie "Kunstwerke" in einer Ausstellung alle, auch nicht veröffentlichte Bilder der Werbekampagne des Fotografen Terry Richardson. Darauf spritzen sich laszive junge Damen im Sisley-Outfit die Kuhmilch direkt aus dem Euter ins Gesicht oder berühren sanft ein Schwein im Schweinestall.

Werbung als gesellschaftliche Triebfeder?

Hat die Werbung aber wirklich die Kraft, gesellschaftliche Wertvorstellungen zu verändern? Ist Sodomie in ein paar Jahrzehnten an der Tagesordnung, nur weil heute mit ihr geworben wird? Nils John, Senior Planner im Bereich Markenstrategie bei der Hamburger Werbeagentur "Grabarz und Partner", bezweifelt dies. "Die Werbung verändert Sichtweisen nur kurzfristig", sagt er und verweist auf Kunst und Kultur, die viel eher als die Werbung gesellschaftliche Umbrüche auslösten. Die Werbung greife gesellschaftliche Themen zwar auf, sei aber in erster Linie dazu da, Produkte zu vermarkten. "Die kurzfristige Schockaufmerksamkeit ist ein Mittel, aber nicht Ziel von guten Werbekampagnen", macht John deutlich.

Schon passiert

Die Grenzen von Werbung und Kunst verfließen aber, wie man am Beispiel Sisley sieht. Möglicherweise geht der Trend in die Richtung, das neue Tabu zu akzeptieren. Dazu schrieb Holger Liebs bereits 2002 in der Süddeutschen Zeitung: "Die Pornographie ist das Mode-Tool der Stunde (…) Sodomie und Sadomasochismus, Masturbation und alle Spiele des Fetischismus liegen im Trend."

Die Werbemotive von Sisley wurden nicht verboten. Daran sieht Professor Liebs ein klares Zeichen dafür, dass "die pornographische Normalitätszone sich mittlerweile massiv ausgeweitet hat". Und er fügt hinzu: "Der Trend zur Tierliebe kann als eine zentrale Trieb-Kraft für das Konsumverhalten angesehen werden."

Liebesprodukte

Oh My Dog
Ein Parfüm für Frau und Hund gleichermaßen.

Die Kampagne von Sisley, der Fressnapf von Gucci, der zeitgleich mit Handschellen verkauft wurde, das Unisex-Parfum "Oh my dog!" und ein "Voice Converter" aus Japan, der Hundelaute in Menschensprache verwandelt – diese Produkte seien weitere Beispiele dafür, dass Unternehmen immer öfter mit der Tierliebe experimentierten. Allein deshalb werde die Gesellschaft in Zukunft immer mehr mit ihr konfrontiert sein.