Tim und Struppi: Zeichnung erzielt Rekordpreis
14. Januar 2021Jean-Paul Casterman war sieben Jahre alt, als er ein Blatt Papier mit einer Zeichnung geschenkt bekam. Für den kleinen Jungen war es nicht weiter von Nutzen. Er faltete es und verstaute es für Jahrzehnte in der Schublade. Der Schenker war kein geringerer als der Künstler Hergé, der eigentlich Georges Remi hieß. Der Belgier wurde von Jean-Pauls Vater Louis Casterman im gleichnamigen Verlag vertreten. Dass es sich bei diesem kleinen Aquarell, in dem sich Tim und Struppi vor einem Drachen in einer gigantischen chinesischen Vase verstecken, Jahrzehnte später um einen millionenschweren Schatz handeln würde, war wohl keinem der Beteiligten klar. Es handelt sich um die erste Version des Umschlagbildes von "Der Blaue Lotos". Sie war dem Verleger für die Reproduktion zu aufwendig, deshalb wurde sie verworfen und landete im Kinderzimmer. Am 14. Januar ging dieses 34 x 34 Zentimeter große Blatt mit einem Schätzpreis von zwei bis drei Millionen Euro in die Auktion in Paris, der Erlös lag am Ende nach einer Bieterschlacht sogar noch höher. 3,2 Millionen Euro: Das ist der höchste Preis, der bei einer Versteigerung je für ein Werk von Hergé bezahlt wurde. Gleichzeitig ist es auch ein Rekord für ein Original-Comic-Werk bei einer Auktion. Der Name des privaten Käufers wurde nicht bekanntgegeben.
Tim & Struppi in China
Hergé (1907-1983) ist der geistige Vater der Reihe "Les Aventures de Tintin" (auf Deutsch: "Tim und Struppi"). Die Comics erzählen von den Abenteuern eines jungen Reporters namens Tintin und seines treuen Hundes. Ihr Schöpfer Hergé war ein Perfektionist und ein Visionär. Der Band von 1936 der Tintin-Serie hat einen besonderen Stellenwert im künstlerischen Kosmos Hergés. Es markiert eine Öffnung hin zu fremden Kulturen. In diesem Fall der chinesischen. Im Gegensatz zu den vier vorangegangenen Alben sei Hergé bei der Erstellung von "Le Lotus bleu" darauf bedacht gewesen, sich über die Kultur und Geschichte des Landes zu informieren, um einen größeren Sinn für Realismus zu schaffen, sagt Eric Leroy, Comic-Experte beim Auktionshaus Artcurial in Paris im DW-Interview. "Farbstark fesselt uns der Blickkontakt zwischen Tim und dem Drachen. Und auch Struppi ist im Bild zu sehen. Hergé wollte uns die geheimnisvolle Seite der Handlung spüren lassen, die durch China als kulturelle Rahmenhandlung bestimmt wird."
"Le Lotus bleu": ein bahnbrechendes Werk
Dieses Werk sei ein ikonisches Bild des Comics, "eines der berühmtesten des 20. Jahrhunderts", so Leroy. Artcurial, das Auktionshaus des Comic-Experten, versteigerte bereits zum zweiten Mal ein Werk aus dem Tintin-Universum. Hergés Titelblatt von "Tim und Struppi in Amerika" (1932) kam 2012 für 1,2 Millionen Euro unter den Hammer. Damals eine Rekordsumme für einen frankophonen Comic-Künstler. Doch schon wenige Jahre später, im Sommer 2020, erzielten weitere Hergé-Titelblätter Höchstpreise.
Wo viel Geld im Spiel ist, entstehen Begehrlichkeiten und Streit. So behauptet Hergés Witwe, dass ihr damaliger Ehemann das kostbare Bild, das jetzt unter den Hammer kam, auf keinen Fall verschenkt habe. Deshalb forderte sie die Familie Casterman dazu auf, ihr das Blatt zurückzugeben. "Die Verkäufer sind die rechtmäßigen Eigentümer des Werkes. Sie sind die Erben von Jean-Paul Casterman", wiegelte Leroy ab. Bei den Besitzansprüchen der Witwe handele es sich um bloße Behauptungen, die jeder Rechtsgrundlage entbehren.
Rekordergebnisse für Comic-Kunst
Die Künstler der Comic- und auch der Fantasy Art haben es schon lange aus der Unterhaltungsecke heraus geschafft. Ihre Originale erzielen inzwischen genauso hohe Auktionserlöse wie die gefragter Maler oder Bildhauer. So werden Originalvorlagen für Cover der Fantasy-Hefte eines Künstlers wie Frank Frazetta neuerdings auch für mehrere Millionen Dollar gehandelt. 2019 wechselte ein Umschlagbild, das eine ägyptische Königin zeigt, für diese Summe in einer Auktion in Chicago den Besitzer. "Das Interesse der Käufer hängt von der Qualität der Stücke ab. Der Markt ist stark, besonders für immer seltenere Exemplare", erklärt Comic-Experte Leroy die Entwicklung.
In den Museen haben diese grafisch aufwendig gestalteten Blätter eher selten einen Platz. Nick Rodwell, Direktor des Hergé-Museums in Belgien, bedauert in einem Interview mit der französischen Tageszeitung "Le Monde", dass sein Haus nun wohl leer ausgeht. "Der wahre Platz des Blatts 'Der blaue Lotos' ist das Musée Hergé", sagt Nick Rodwell. Doch öffentliche Sammlungen können bei solch astronomischen Summen nicht mithalten.