"Europas Jugend denkt europäischer als Öffentlichkeit denkt"
21. Januar 2019DW: Sie treten zum 1. März ihr Amt als neuer Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks an, während Europa in einer tiefen Krise steckt. Hat denn auch die Jugend in Frankreich und Deutschland die Lust am europäischen Einigungsprojekt verloren?
Tobias Bütow: Ganz im Gegenteil. Europas Jugend ist europäischer, als die Öffentlichkeit es häufig denkt. Ich habe in den vergangenen Jahren mit Schülern wie Studierenden zusammengearbeitet und kenne eine breite Schar an jungen Menschen, die begeisterte Europäerinnen und Europäer sind und die ihren Berufsweg enthusiastisch pro-europäisch ausrichten. Leider wird in Deutschland wie in Frankreich zu wenig auf die Biographien dieser jungen Leute geachtet, die heute selbstverständlich in Deutschland wie Frankreich studieren, für die es im Zweifel spannender ist, als Franzose in Leipzig oder als Deutscher in Lyon zu arbeiten. Diese Gruppe von jungen Leuten wächst. Denn ohne europäischen Weitblick, verfangen im nationalen Denken, verpasst man die Chancen, die das 21. Jahrhundert bietet. Umso wichtiger ist es, dass verstärkt jene jungen Menschen erreicht werden, die die Vorteile Europas etwa aufgrund sozialer oder finanzieller Schwierigkeiten nicht alltäglich in ihrem Leben erfahren können. Wir dürfen dabei nicht aus den Augen verlieren, dass es gesamtgesellschaftlich in Deutschland wie Frankreich auch unter jungen Leuten tiefe Risse gibt. Auch ein Teil der Jugendlichen lässt sich von nationalistischen oder neo-nationalistischen Tendenzen in verschiedenen europäischen Ländern ansprechen. Im Südosten Frankreichs, wo der rechtsradikale Rassemblement National nahezu absolute Mehrheiten in den Kommunen erreicht, genauso wie in ostdeutschen Kommunen, wo eine anti-europäische Partei die Europa- oder Landtagswahlen gewinnen könnte.
Bedeutet das denn, dass die Politik an den jungen Leuten vorbei regiert?
Meines Erachtens sind sich die politisch Verantwortlichen in Deutschland und Frankreich der historischen Dimension der aktuellen europäischen Krise bewusst. Aus diesem Grunde wird auch am 22. Januar der Aachener Vertrag unterzeichnet, also eine Neuauflage des deutsch-französischen Elysée-Vertrages und damit des Gründungsdokumentes des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Mit dem neuen Vertrag sollen Menschen in Deutschland und Frankreich immer mehr zusammenfinden: Durch Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft oder Städtepartnerschaften, wie sie schon am Beginn der deutsch-französischen Versöhnung standen. Ein historischer Schritt.
Dennoch bieten französische Schulen immer seltener Deutsch-Unterricht an. Hat das Deutsch-Französische Jugendwerk da seinen Zweck verfehlt?
Das Deutsch-Französische Jugendwerk ist nicht mit einem Bildungsministerium oder der Schule zu verwechseln. Ganz im Gegenteil. Historisches Verdienst des Deutsch-Französischen Jugendwerks ist, dass es neun Millionen jungen Menschen zwischen Deutschland und Frankreich Begegnungen ermöglichte und sie mit der Kultur der jeweils anderen Gesellschaft vertraut gemacht hat. Eine internationale Organisation wie das Deutsch-Französische Jugendwerk soll die Arbeit von Bildungsministerien und Schulverwaltungen, von Lehrern und von Eltern begleiten, um die Schülerinnen und Schüler dabei zu motivieren, Sprachkompetenz als weichenstellenden Schlüssel für das Berufsleben und für Europa-Kompetenz zu verstehen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte zu Beginn seiner Amtszeit Deutschland aufgefordert, viel mehr für die Integration Europas zu unternehmen. Diese Chance scheint derzeit wieder vertan. Woran liegt es?
Demokratie in Deutschland und Frankreich ist wieder einmal in einem Selbstfindungsprozess. Ich denke, dass mit der Informations-Revolution politische Entscheidungsträger und Intellektuelle, aber auch die Bevölkerung immer wieder überfordert sind. Unsere Gesellschaften sollten aus den europäischen Erfolgen viel mehr Selbstbewusstsein generieren. Die Europäische Union gleicht einem politischen Wunder, welches insbesondere nach der Überwindung der europäischen Teilung seine Wirkungsmacht entfaltete. Und zwar auf allen Ebenen: Von Regierungen bis hin zu Bürgermeistern, Lehrerinnen und Zeitungsverkäufern. Was wir schon alles geschafft haben, ist historisch einzigartig in der Welt. Wir sind alle Teil eines politischen Projektes, das uns seit Jahrzehnten Frieden bringt.
Im Deutschen Bundestag sitzen seit der vergangenen Wahl kaum noch Frankreich-Kenner. Sind Sie mit Ihrem Amtsantritt als neuer Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks am 1. März Teil einer immer kleiner werdenden Minderheit, die Deutschlands Freundschaft mit Frankreich pflegt?
Nein, ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. In meinen Augen wächst das deutsch-französische Milieu in Deutschland wie in Frankreich stetig. Wir sind heutzutage auf der Ebene von Familien mit der besonderen Situation konfrontiert, dass Enkelkinder ihren Großeltern die Sprache des jeweiligen Nachbarlandes beibringen. Unsere Länder sind dabei, immer stärker zu verwachsen. Und das betrifft innerhalb der EU nicht nur Deutschland und Frankreich. Vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte ist mir kein politisches Projekt bekannt, das bei all den Jahrhunderten von Kriegen und Frieden so erfolgreich, so eng miteinander zusammenarbeitete, und ich hoffe, dass hier ein gemeinsames Land, im Sinne eines gemeinsamen Europas, entsteht.
Das Gespräch führte Frank Hofmann.
Tobias Bütow soll vom 1. März 2019 an deutscher Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) werden. Der 41-Jährige wurde in Magdeburg geboren und ist der erste Ostdeutsche, der für dieses Amt berufen wurde. Von französischer Seite ist Béatrice Angrand seit Januar 2009 an die Spitze der Organisation entsandt. Die Generalsekretäre werden für sechs Jahre von ihren jeweiligen Regierungen berufen. Das DFJW wurde auf Grundlage des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages von 1963 gegründet und organisiert seither Austauschprogramme für junge Deutsche und Franzosen. Tobias Bütow sitzt im Vorstand der Berliner Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa. Er hat das deutsch-französische Kulturzentrum in Nizza mitgegründet, wo er auch lebt. Bütow hat Zeitgeschichte und Politik an der Berliner Humboldt-Universität studiert. Er hat zuletzt für das von der EU-Kommission finanzierte Centre International de Formation Européenne (CIFE) gearbeitet, das Master-Studiengänge unter anderem in Europäischer Politik anbietet.