Tod eines Jahrhundertzeugen
Im Alter von 93 Jahren ist der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki gestorben. Er galt in Deutschland als "Literaturpapst".
Trauer um einen großen Intellektuellen
Marcel Reich-Ranicki war einer der bekanntesten und provokantesten deutschsprachigen Literaturkritiker. In Erinnerung sind vor allem seine Auseinandersetzungen mit Martin Walser und Nobelpreisträger Günter Grass. Am Mittwoch (18.09.2013) ist der brillante Denker und Publizist in Frankfurt am Main im Alter von 93 Jahren gestorben.
Verlust für Deutschland
Auch Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort: Reich-Ranicki habe mit seiner Begeisterung Millionen Menschen zum Lesen verführt und für die Buchkultur Hervorragendes geleistet. Die Deutsche Verlags-Anstalt trauert ebenfalls um ihren Autoren: "Die Welt der Literatur verliert den bedeutendsten und einflussreichsten Kritiker und Vermittler von Literatur nach 1945."
Vertreibung aus dem Land der Dichter und Denker
Marcel Reich-Ranicki wurde am 2. Juni 1920 im polnischen Wloclawek geboren. Als Neunjähriger kam er nach Berlin und besuchte dort das Gymnasium. Später machte er Abitur, allerdings durfte er als Jude nicht das angestrebte Literaturstudium beginnen. 1938 wurde er nach Polen ausgewiesen. 1940 zog er zwangsweise ins Warschauer Ghetto, wo er 1943 am Aufstand der Jüdischen Kampforganisation teilnahm.
Dramatische Lebensgeschichte
Im Februar 1943, kurz vor der Auflösung des Ghettos, gelang ihm mit seiner Frau Teofila - genannt Tosia - die Flucht. Sie hatten ein Jahr zuvor im Ghetto geheiratet. Beide überlebten den Holocaust im Untergrund. 1958 kehrte das Ehepaar nach Deutschland zurück.
Messerscharfe Urteile
In Deutschland sorgte Marcel Reich-Ranicki mit der Fernseh-Talkshow "Das literarische Quartett" für Furore. Bis zu zwei Millionen Zuschauer sahen zu, wenn er seine vernichtenden Kritiken oder hymnischen Lobeslieder zu Neuerscheinungen live zum Besten gab. Mitstreiter waren unter anderen die österreichische Publizistin Sigrid Löffler und der Journalist Hellmuth Karasek.
Erinnerung an den Holocaust
In einer Gedenkstunde für Opfer des Nationalsozialismus vor einem Jahr im Bundestag berichtete der damals 91-Jährige von seinen eigenen Erfahrungen mit den Schrecken des NS-Regimes. Mit brüchiger Stimme beschrieb er die Deportation der Juden aus dem Warschauer Ghetto ins Vernichtungslager Treblinka im Jahr 1942.
Verfilmung der Lebensgeschichte
Über 1,2 Millionen Mal hat sich seine Autobiographie "Mein Leben" verkauft. Sie wurde unter anderem ins Hebräische übersetzt. Zehn Jahre nach der Buchveröffentlichung wurde der Stoff mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle verfilmt (auf dem Bild im Hintergrund). Der Film konzentriert sich auf die ersten 38 Jahre in seinem Leben und erzählt vom Leben und Sterben im Warschauer Ghetto.
Reich-Ranicki-Lehrstuhl in Tel Aviv
Als Jude wurde Marcel Reich-Ranicki 1938 nicht zum Germanistik-Studium in Deutschland zugelassen. Später verliehen ihm mehrere deutsche Universitäten Ehrendoktortitel. 2006 erhielt der Literaturkritiker die Ehrendoktorwürde der Universität Tel Aviv. Damit sollen Reich-Ranickis "außergewöhnliche Leistungen" als Literaturkritiker und sein Einsatz für die Universität Tel Aviv gewürdigt werden.
Museumsreifes Wohnzimmer
"Sieht tatsächlich aus wie bei mir zu Hause", kommentierte Reich-Ranicki den Anblick seiner eigenen vier Wände, die während einer Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main zu sehen waren. Der Kritiker sammelte seit den 60er Jahren Porträts von bekannten Schriftstellern und Kritikern. Mit seiner Frau lebte er im Frankfurter Dichterviertel.