Tod in der Wüste
19. Dezember 2002Jamie Doran ist ein vielgefragter und umstrittener Mann in diesen Tagen, auch in Berlin. Keine Fernsehanstalt, keine Zeitung, die nicht versucht, Doran zu interviewen. Denn der Dokumentarfilmer irisch-schottischer Herkunft hat einen Film produziert, der weltweit für Aufsehen sorgt und den er am Mittwoch (18.12.02) dem Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestages vorführte. Sein Film "Das Massaker in Afghanistan – haben die Amerikaner zugesehen?" fördert unglaubliches zutage: US-amerikanische Einsatzkräfte in Afghanistan sollen im November 2001 tatenlos zugesehen haben, wie Kämpfer der Nordallianz unter dem Kommando von General Raschid Dostum Taliban-Kämpfer ermordeten. Etwa 8.000 entwaffnete Gotteskrieger, die in Kunduz damals kapitulierten, befanden sich auf einem Gefangenentransport, als etwa 3000 in der Nähe der afghanischen Stadt Masar-i-Scharif verschwanden.
Verscharrt und verschwunden
Zu Tode gefoltert, in Container gepfercht und einfach in einem Massengrab in der afghanischen Wüste bei Dasht Leili im Norden Afghanistans verscharrt, so berichten Zeugen dem prämierten Dokumentarfilmer Doran kurze Zeit später. Der filmte die Orte und ließ Zeugen vor seiner Kamera zu Wort kommen.
Diplomatische Minenfelder
Doran begibt sich auf ein diplomatisch-politisches Minenfeld: Die anti-afghanischen Gemüter der US-amerikanischen Behörden sind längst erhitzt. Auch die ARD, die Dorans Film am Mittwochabend (18.12.02) erstmals in Deutschland ausstrahlte, wird kritisiert: "Uns ist rätselhaft, warum eine angesehene Fernsehanstalt eine Dokumentation zeigen will, deren Fakten vollständig falsch sind und die US-Mission in Afghanistan auf unfaire Weise charakterisiert", kritisierte der Sprecher des State Department, Larry Schwartz.
Auch auf Nachfrage von DW-WORLD bestritt ein Sprecher der amerikanischen Botschaft in Berlin die Anwesenheit der Soldaten: "Diese Behauptungen sind völlig falsch. Es waren keine amerikanischen Kräfte vor Ort. Erst im Januar, als die Massengräber entdeckt wurden." heißt es. Und schließlich seien die Soldaten "intern" nach Menschenrechtsverletzungen im Einsatz befragt worden. Keine Meldungen. Alles Lüge also?
Gefährliche Zeugen
Anscheinend nicht, denn Doran und seine Zeugen leben nun gefährlich. Der Journalist präsentierte Teile seines Filmmaterials bereits im Sommer diesen Jahres vor Menschenrechtsausschüssen und im Europaparlament: Als er zu weiteren Dreharbeiten zurückkehrte, rief der afghanische General Dostum zu seiner öffentlichen Verfolgung auf. Doran und Kollegen konnten sich dank der UNO nach Kabul retten.
Seine Ausrüstung musste er zurücklassen, beschlagnahmt von General Dostum. "Wenn ich die Ausrüstung persönlich abholen komme, dann könnte ich sie wiederbekommen", so Doran im Gespräch mit DW-WORLD. Doch was dann passiere, könne man sich denken. Doch Doran sorgt sich nicht um sein eigenes Leben, sondern um das seiner Zeugen. Zwei von ihnen wurden bereits in Afghanistan ermordet. Einen seiner Informanten nahm er mit nach London. Das seien ganz fantastische und mutige Leute, beschreibt der Journalist, die sich ohne Geld und freiwillig der gefährlichen Wahrheit verpflichtet fühlen.
Ihre Beobachtungen wollen die afghanischen Zeugen auch vor einem UN-Ausschuss wiederholen. Dorans nun wichtigstes Anliegen: ein Zeugenschutzprogramm, für das auch im Bundestag warb. Und das wird er demnächst auch im englischen Parlament wiederholen.
Weltweites Medieninteresse
Der Film wird - ganz zum Missfallen der amerikanischen Regierung - weitere Medienwellen schlagen: Der Film ist in in elf Ländern verkauft, das 45-minütige Feature wurde bereits im britischen Channel 5 gezeigt. Jamie Doran rechnet mit einer Ausstrahlung in 35 Ländern, inklusive der USA.
Seit 22 Jahren arbeitet Jamie Doran als Dokumentarfilmer, davon mehrere Jahre bei der BBC. Für seine Dokumentationen erhielt er mehrere Preise. "Ich habe eine Pflicht, die Wahrheit ans Licht zu bringen", so Doran. Vielleicht mag das in seinem Blut liegen: Jamie Dorans Vater war irischer Freiheitskämpfer.