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Tor zum Milliardenmarkt

Kerstin Lohse, Shanghai1. Juli 2002

Shanghai läuft Hongkong den Rang als Drehscheibe für den chinesischen Markt ab. Während in der ehemaligen Kronkolonie die wirtschaftliche Lage schlecht ist, boomt die ostchinesische Hafenmetropole.

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Wolkenkratzer in ShanghaiBild: AP

Die Stimmung in Hongkong ist gedrückt. Zwar ist die Skyline der ehemaligen Kronkolonie noch immer weitaus beeindruckender als die von Shanghai. Doch die Alarmglocken haben längst zu läuten begonnen. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Touristen bleiben aus, immer mehr Firmen gehen bankrott. Geschäftsleute klagen, dass kein Geld mehr ausgegeben wird, und der Immobilienmarkt hat sich von der Asienkrise bis heute nicht erholt. In Shanghai und dem südchinesischen Pearl-River-Delta dagegen ist noch lange kein Ende des Wirtschaftsbooms abzusehen.

Shanghai holt auf

Mit der Öffnung des Landes und dem Beitritt zur Welthandelsorganisation im Dezember letzten Jahres holt Shanghai immer weiter auf. Während Airlines Flüge nach Hongkong streichen, bauen sie ihre Verbindungen in die ostchinesische Hafenmetropole aus. Die Lufthansa beispielsweise fliegt seit April zehn Mal pro Woche Shanghai an.

Man habe sich für Shanghai entschieden, weil man im Yangtze-Delta rund um die Hafenstadt wegen Chinas Beitritt zur WTO mit einer weiteren Zunahme der Geschäftstätigkeit rechne, so Vorstandsmitglied Ralf Teckentrup: "Wir haben in unseren Planungen unterstellt, dass Shanghai die bessere Option für uns ist, weil insgesamt das Wachstum in Shanghai viel größer ist ."

Ohne Umweg nach China

Schon heute werden im Großraum Shanghai 40 Prozent des chinesischen Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Lange galt Hongkong als das Tor zum Milliardenmarkt China. Doch der Umweg über das teure Pflaster ist nicht mehr nötig. Ausländische Investoren können sich direkt in China niederlassen - und das tun sie auch.

Zahlreiche Unternehmen haben ihren Asiensitz nach Shanghai verlegt, darunter die Citibank, Lufthansa, Cargo, Metro und Bertelsmann. Die rapide wirtschaftliche Entwicklung hat die Hafenmetropole zum Anziehungspunkt Nummer 1 in Asien für ausländisches Kapital gemacht. In den letzten Jahren flossen knapp 60 Milliarden Euro ausländische Direktinvestitionen in die Stadt.

Reservoir an Arbeitskräften

Shanghai bietet Steuervergünstigungen, niedrige Zollsätze und langfristige Landnutzungsrechte. Doch was vor allem lockt, ist die strategisch günstige Lage an der Ostküste und zugleich an der Mündung des Yangzi-Flusses, sowie das schier unerschöpfliche Reservoir an gut ausgebildeten und billigen Arbeitskräften.

Auch als Drehscheibe für das Exportgeschäft beginnt Shanghai der Sonderverwaltungszone Hongkong den Rang abzulaufen. Bis zum Jahr 2015 werde Shanghais Containerhafen größer sein als der von Hongkong, schätzen Beobachter. Dennoch blieben der ehemaligen Kronkolonie zumindest als internationaler Finanzplatz einige Joker, sagt der Chefökonom der Deutschen Bank in Hongkong, Ma Jun: "Hongkong hat noch immer einige Vorteile – beispielsweise die Tatsache, dass hier mit einer konvertiblen Währung gehandelt wird. Das ist etwas, was China in den nächsten fünf Jahren sicher nicht bieten kann."

Zurück aufs Festland

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Hongkong, einst einer der größten Investoren auf dem Festland, heute zum Bittsteller geworden ist. Während früher die Menschen ihr Leben riskiert haben, um von China nach Hongkong zu flüchten und dort ihr Glück zu suchen, treten heute viele den Rückweg an. Allein im letzten Jahr zogen rund 40.000 Hongkonger aufs Festland, weil die Aussichten dort mittlerweile besser sind.