Blutbad in Tripolis
15. November 2013Sie waren einem Aufruf muslimischer Imame gefolgt, und hatten sich nach dem Freitagsgebet zu einer Kundgebung zusammengeschlossen, um gegen die mächtigen Milizen in Libyen zu protestieren. Hunderte Menschen gingen mit weißen Flaggen als Zeichen ihrer Friedfertigkeit sowie mit Landesflaggen auf die Straße und sangen die Nationalhymne.
Kämpfer sollen die Stadt verlassen
Gemeinsam zogen sie vor das Hauptquartier der aus Misrata stammenden Kampfbrigaden und verlangten von ihnen, Tripolis zu verlassen. Bewaffnete im Inneren des Gebäudes antworteten zunächst mit Warnschüssen. Als sich die Menschen dennoch weiter näherten, wurden sie von den Milizionären beschossen, unter anderem mit einem Luftabwehr-Geschütz.
Bürger bewaffnen sich
Die Demonstranten zogen sich zwar zunächst zurück, ein Teil von ihnen kam jedoch bewaffnet wieder, um die Anlage zu stürmen. In der Folge steckten Bewaffnete das Gebäude in Brand. Später rückte die Armee an und versuchte, die Gruppen zu trennen. Nach jüngsten Angaben der Behörden wurden mindestens 40 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt. Beobachter sprachen von den schwersten Straßenkämpfen seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar Gaddafi.
Das Gesundheitsministerium rief die Menschen auf, Blut zu spenden. Wie viele der Toten und Verletzten aus den Reihen der Demonstranten kamen und wie viele von den Milizionären, blieb zunächst offen.
Inzwischen erhielten die Misrata-Milizionäre Verstärkung aus ihrer 200 Kilometer entfernten Heimatstadt und eroberten ihr Hauptquartier zurück. Als die Kämpfer aus Misrata in Tripolis eintrafen, kam es im Vorort Tadschura zu neuen Kämpfen. Die Vereinten Nationen und die Bundesregierung riefen alle Beteiligten dazu auf, die Waffen ruhen zu lassen. Die UN-Mission in Libyen UNSMIL, bezeichnete die Angriffe auf Zivilisten als "absolut verwerflich".
Regierungschef entführt
Erst vor einer Woche hatten sich in Tripolis rivalisierende Milizionäre heftige Gefechte geliefert. Dabei war ein Mann getötet worden. Viele der "Revolutionsbrigaden", die im Kampf gegen den langjährigen Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 stark wurden, wollen sich bis heute weder entwaffnen noch in den staatlichen Sicherheitsapparat eingliedern lassen. Sie bekämpfen sich gegenseitig und widersetzen sich der Aufforderung der schwachen Zentralregierung, Tripolis zu verlassen. Im Oktober hatten Milizionäre sogar Regierungschef Ali Seidan entführt und einige Stunden lang festgehalten, bevor sie ihn freiließen.
Nach Einschätzung westlicher Diplomaten ist die Lage in dem nordafrikanischen Land "zunehmend kritisch". Die Botschaften der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Libyer aufforderten, ihre "Differenzen beizulegen".
uh/dh (afp, dpa, rtr)