Toxische Männlichkeit: Acht Tage "Männerpower" für 1990 Euro
29. Dezember 2024Auf dem Beistelltisch liegt ein Messer. Daneben eine einzelne, freistehende blaue Rose, vermutlich aus Plastik. Andrew Tate sitzt breitbeinig auf einem Lederstuhl, seine Augen versteckt er hinter einer dunklen, rechteckigen Sonnenbrille.
Mit erhabener Stimme, als wolle er etwas verkünden, sagt er: "Ich habe die gesamte Erde analysiert". Dabei fuchtelt er mit einem Schwert in der Luft herum. Der Grund für alle Probleme dieser Welt, erklärt Tate, sei, dass nicht genügend Männer mit einem Schwert durch die Gegend liefen. Dass nicht genug Männer einfach machen, was sie wollen, so wie er.
"Ich bin der Kerl, der macht, was er will. Und jetzt möchte ich eine Zigarre rauchen - es ist nur schwer, meine Zigarren zwischen dem ganzen Geld in meiner Jackentasche zu finden". Die Zigarre brennt noch nicht, aber Tate kommt bereits zum Kern seiner "Analyse". Zu denen, die eigentlich an allem Schuld sind: Frauen.
Tate nennt sie "Weibchen". Sie würden Männer manipulieren und die gesamte Gesellschaft kontrollieren. "Weibchen sind kaum empfindungsfähig. Sie sind nur leere Container, die darauf warten, dass jemand das Programm installiert, und dann werden sie konservativ, liberal, feministisch, oder sonst was", sagt er.
Das Youtube-Video aus dem Jahr 2022 - von einem Fan-Account gepostet, da Tate mittlerweile auf sämtlichen Plattformen gesperrt ist - trägt den Namen "Die Wahrheit über Frauen". Es wurde über 41.000-mal geklickt, vergleichsweise wenig für den selbsternannten Frauenfeind, dem allein auf X über zehn Millionen Menschen folgen. In seinen zwei Telegram-Kanälen lesen insgesamt über eine halbe Million User mit.
Markenzeichen: Geld, schnelle Autos und Frauenhass
Für viele gilt der misogyne, also frauenfeindliche Influencer als Inbegriff toxischer Männlichkeit. Aktuelle Beispiele toxischer Männlichkeit finden sich neben Tate in der Popkultur viele. Man denke nur an Schauspieler Justin Baldoni, der gerade von Co-Star Blake Lively wegen sexueller Belästigung verklagt wurde, an Amber Heard und Johnny Depp, die sich gegenseitig vor Gericht schleppten, oder auch an den deutschen Satiriker und Autoren Sebastian Hotz ("El Hotzo"), der kürzlich zu seinem eigenen toxischen Verhalten Stellung nahm.
Eine einheitliche Definition für toxische Männlichkeit gibt es nicht, der Begriff sei auch kein wissenschaftlicher, erklärt der Autor und Philosoph Ole Liebl. "Toxisch bedeutet giftig, der Begriff beschreibt Männer, die sich wie Arschlöcher verhalten -also ein schädliches, zerstörendes oder verletzendes Verhalten, das geschlechterkodiert ist", erklärt Liebl. Frauenrechtlerinnen hatten den Begriff bereits in den 1980er Jahren geprägt, als Ausdruck eines männlichen Verhaltens, das sich durch Dominanz und Gefühlslosigkeit auszeichnet.
Viele stören sich an diesem Begriff. Er trage wenig zu einer wissenschaftlichen Analyse von patriarchalen Strukturen bei, so Liebl. Kritiker mahnen außerdem, er stelle Männlichkeit unter Generalverdacht und schade der mentalen Gesundheit von Männern. Das ergab auch eine Umfragemit 255 Teilnehmenden der saudi-arabischen Qassim Universität und des Londoner Zentrums für männliche Psychologie.
Andrew Tate: mit Frauenhass reich geworden
Tate spricht zwar viel über Frauen, um die geht es ihm aber eigentlich nicht. Über seine Social-Media-Kanäle lockt er seine Anhänger auf seine Webseite und verkauft ihnen Online-Kurse. Das Versprechen: im Handumdrehen reich und erfolgreich, zu einem Jahrespreis von 500 US-Dollar.
Ironischerweise zieht Tate ausgerechnet denen das Geld aus der Tasche, die er "aus der Matrix" befreien möchte. Von seiner Community wird er dafür als "Retter des modernen Mannes" gefeiert. Nicht nur von Männern.
Ein Phänomen, dass Liebl geläufig ist. "Männlichkeiten inszenieren sich immer wieder als krisenhaft, um daraus zu legitimieren, dass sie jetzt besonders stark und mit neuem Schwung auftreten müssen", sagt Liebl.
Die Epidemie der Männlichkeitsretter
Das Modell Tate hat mittlerweile unzählige Nachahmer gefunden. Auf X und Youtube finden sich tausende andere, die ihre Ratgeber und Online-Kurse an den Mann bringen wollen. Sie nennen sich zum Beispiel "Alphamen" und begründen Pick-up-Communities, in denen Männer in frauenfeindlichem Jargon darüber diskutieren, wie sie Frauen aufreißen und ihre Männlichkeit wieder entdecken können.
Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die virtuelle Welt. Wochenend-Workshops wie "Authentisch Mannsein" oder "Männlichkeit leben" lassen sich mit wenigen Klicks buchen. Die Veranstalter labeln sich als Coaches und Motivations-Trainer und verkaufen "8 Tage Männerpower für 1990€ - Ratenzahlung möglich". Die Workshops führen die Teilnehmer nach Eigenbeschreibung in die Archetypen des "wilden Mannes, des inneren Jungen, des Kriegers, des Verführers..." ein.
Wie problematisch der Einfluss der Tate-Ideologie mittlerweile ist, sieht man auf Reddit. Dort finden sich hunderte Frauen, deren Partner Tate-Fans geworden sind, oder Mütter, deren junge Söhne sich radikalisiert haben.
"Was soll ich tun?"
Eine von ihnen ist die 27-jährige Userin "Mystic_Falls36". Sie beschreibt in einem hilfesuchenden Post, wie ihr langjähriger Partner seit einiger Zeit Tates Content konsumiert. Seitdem habe er sich verändert.
Erst habe er sie gebeten, ihren Job aufzugeben und Hausfrau zu werden. Mittlerweile sei sie seit einem Jahr zuhause und schwanger mit Zwillingen. Dann habe ihr Partner angefangen, übergriffige Kommentare zu machen: "Du bist den ganzen Tag zuhause und das Haus ist trotzdem nicht sauber" oder "Du hast jetzt Zeit ins Fitnessstudio zu gehen, also tu es."
Irgendwann brüllte er ihr entgegen, sie sei bloß eine dumme Frau, die niemals in der Lage wäre, zu leisten, was ein Mann leiste. Andrew Tate sei einer der wenigen Männer, die das verstünden. Auf übergriffige Kommentare folgten bald auch Taten. Vor den Augen seiner Familie schlug der Tate-Sympathisant seine langjährige Partnerin ins Gesicht. "Was soll ich tun?", fragt sie auf Reddit anonym.
"Unfähig, sinnstiftende Beziehungen einzugehen"
Mit diesem "toxischem" Verhalten schaden Männer langfristig aber nicht nur Frauen, sondern auch sich selbst. In verschiedenen Studien wird ihnen geringere emotionale Intelligenzund mehr Aggressivitätals Frauen zugeschrieben. Ihnen wurden zudem höhere Suizidratennachgewiesen, sie haben weniger enge Freundeund suchen seltener ärztlichen Rat. Das, so Liebl, führe auch zu einer Unfähigkeit, sinnstiftende, intime Beziehungen einzugehen.
2022 wurden Andrew und sein Bruder Tristan Tate wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, des Menschenhandels und der Bildung einer kriminellen Organisation in Bukarest festgenommen. Hinzu kommen Vorwürfe der britischen Justiz wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Die Tate-Brüder bestreiten alles.
Wenige Tage nach den Urteilsverkündungen in den Vergewaltigungsfällen um Gisèle Pelicot und der Aufdeckung eines globalen Vergewaltigernetzwerks auf Telegramerklärte ein rumänisches Gericht das Strafverfahren gegen die Tate-Brüder nun für regelwidrig. Damit sind sie vorerst wieder auf freiem Fuß.