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PolitikEuropa

Transidente Abgeordnete Nyke Slawik "Haben Respekt verdient"

Katarzyna Domagala-Pereira
30. März 2023

"Statt in der Opferrolle gefangen zu bleiben, können wir zu Handelnden in der Gesellschaft werden, etwas aktiv verändern", sagt die transidente Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik (Bündnis 90/Die Grünen) im DW-Interview.

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Die Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik spricht im Deutschen Bundestag
Die Grünen-Abgeordnete Nyke Slawik im Deutschen BundestagBild: Political-Moments/IMAGO

DW: Frau Slawik, Sie haben zusammen mit Ihrer Kollegin Tessa Ganserer Geschichte geschrieben: Sie sind die ersten bekennenden Transfrauen im Deutschen Bundestag. Macht Sie das stolz?

Nyke Slawik: Mich freut das für alle queeren Menschen in Deutschland, vor allem für alle Transmenschen, weil es diese Art der Repräsentation nie zuvor gegeben hat. In meiner Jugend hatte ich keine Vorbilder in den Medien oder in der Politik. Das war etwas, was ich damals sehr gebraucht hätte, um das Gefühl zu haben, dass wir ein normaler Teil der Gesellschaft sind und dass es uns überall gibt. Wir können auch zu Handelnden in dieser Gesellschaft werden, etwas aktiv verändern und nicht nur in dieser Opferrolle gefangen bleiben. Das ist ein wichtiger Schritt für uns und unsere Rechte.

Die Transidentität ist nur ein Teil von Ihnen, auf den Sie oft angesprochen werden. Sie sind in den Bundestag auch mit anderen Themen gegangen: Verkehrspolitik, moderne Gesellschaftspolitik, Klimaschutz. Ist die Transidentität für Sie ein Segen oder ein Fluch?

Mir war es immer wichtig, offen mit meiner eigenen Geschichte und Identität umzugehen, weil ich weiß, dass sich Leute davon empowert fühlen, dass es ihnen Kraft gibt und dass sie sich gesehen fühlen.

Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer ist neben Nyke Slawik die zweite Transfrau im Bundestag
Die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer ist neben Nyke Slawik die zweite Transfrau im BundestagBild: Dwi Anoraganingrum/Geisler/picture alliance

Sie und Tessa Ganserer erleben verbale Angriffe auch im Bundestag, meistens von Seiten der AfD. Sie müssen ein dickes Fell haben…

Man muss als Politikerin immer ein dickes Fell haben, weil wir auch Kritik einstecken müssen, und ein Teil davon ist gut und richtig in einer Demokratie. Aber es gibt viele Angriffe, die die Linie überschreiten und transfeindlich sind. Ich werde sehr oft im Internet angegriffen, und natürlich bleibt es auch irgendwie hängen, aber ich will diesen Leuten nicht die Genugtuung geben, mich einschüchtern zu lassen und setze mich weiter für eine Gesellschaft ein, in der man sich nicht verstecken muss.

Sie haben sich mit 17 geoutet. Wann wussten Sie, dass Sie sich nicht mit dem männlichen Geschlecht identifizieren?

Für mich war das immer klar. Ich habe das schon als Kind sehr stark gespürt. Es gab das starke Bestreben aus meinem Umfeld, dass ich die männliche Rolle erfüllen soll. Ich weiß noch sehr gut, wie ich zum Fußball und zu allen Hobbys, die man von einem vermeintlichen Jungen im Kindesalter erwartet hat, hingeschleppt wurde. Das alles hat für mich nicht gepasst. Und als ich in die Pubertät gekommen bin, ist es für mich auch sehr stark körperlich geworden, dass sich mein Körper in eine Richtung entwickelt, mit der ich mich gar nicht identifizieren kann.

Nachdem Sie das schon für sich wussten, wem haben Sie es als nächstes erzählt? Den Eltern, dem Freundeskreis?

Ich habe damals eine gute Freundin eingeweiht, die mich leider nicht unterstützt hat. Sie hat gesagt, ich würde nie eine Frau sein. Der Kontakt ist zerbrochen. Meine Eltern haben sich in den ersten Wochen und Monaten sehr schwergetan, aber dann haben sie mich unterstützt, meine Familie und die Schule auch.

Ihr Vater kommt aus Polen, aus einer konservativen katholischen Familie. Wie hat er reagiert?

Als ich ihm davon erzählt habe, hat er mit der Frage reagiert: "Soll ich Dich jetzt schlagen, oder was?". Er meinte das nicht ernst. Er war erstmal überfordert, hat dann aber sehr schnell angefangen, sich mit der Situation von Transpersonen zu beschäftigen und mich auch unterstützt, was mich überrascht hat. Ich hatte damals sehr große Angst.

Der polnische Politiker und Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit, Jaroslaw Kaczynski, Polens graue Eminenz, macht sich oft über Trans-Personen lustig oder behauptet, trans zu sein, sei eine Mode aus dem Westen. Was würden Sie ihm entgegnen?

Egal, ob wir männlich oder weiblich sind, ob schwul, lesbisch, transgender - wir sind alle Teil dieser Gesellschaft. Transpersonen bringen nun mal seit ihrer Geburt oder seit frühester Kindheit die Identität mit sich. Und auch der Westen hat trans-Sein nicht erfunden. Lesbisch, schwul, bi- oder trans gibt es überall auf der Welt und hat es immer schon gegeben.

Würden Sie ihm auch sagen, dass transidente Personen oft einen qualvollen Prozess durchmachen, den keiner freiwillig machen würde?

Jeden Tag erhalten Transpersonen Beleidigungen im Internet oder auf der Straße, auch Drohbriefe. Es ist nachgewiesen, dass Transpersonen ein viel höheres Risiko haben, ihren Job zu verlieren, in der Karriere schlechter abzuschneiden oder sogar obdachlos zu werden. Trans zu sein, kommt eben nicht mit Vorteilen einher, sondern ganz im Gegenteil - ist mit großen Herausforderungen verbunden. Auch wer in die Transition hineingeht, um medizinische Behandlung bekommen zu können, den Zugang zu Hormonen, zu möglichen Operationen, all das ist nach wie vor nicht einfach.

Porträtaufnahme von Nyke Slawik bei einem Wahlkampf-Auftritt für die Kölner Grünen auf dem Heumarkt in Köln am 22.09.2021
Nyke Slawik bei einem Wahlkampf-Auftritt für die Kölner Grünen am 22.09.2021Bild: Christoph Hardt/Geisler/picture alliance

Die Ampelkoalition möchte das Transsexuellengesetz von 1980 abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Wann kommt das Gesetz?

Das deutsche Transsexuellengesetz ist in vielen Punkten verfassungswidrig. Bis vor wenigen Jahren hat es vorgesehen, dass Menschen, die Namen und Personenstand ändern wollten, sich scheiden lassen mussten. Es gab auch Sterilisationszwang. Das ist vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft worden.

Obwohl die Weltgesundheitsorganisation sagt, Transidentität sei keine psychische Störung, zwingt der deutsche Staat Transpersonen immer noch, in längere Therapien zu gehen und sich zweimal unabhängig von verschiedenen Psycholog*innen attestieren zu lassen, dass eine Transidentität vorliegt. Das wollen wir revidieren, damit die Betroffenen selbst einen Antrag stellen können. Das Gesetz soll noch dieses Jahr durch den Bundestag gehen.

Das Selbstbestimmungsgesetz betrifft erstmal die Namens- und Personenstandsänderung, soll aber auch die medizinische Transition erleichtern. Inwiefern?

Wir wollen einen Rechtsanspruch auf Leistungskostenübernahme für geschlechtsangleichende Operationen verankern. Transpersonen leiden psychisch darunter, wenn sie keinen Zugang zu medizinischen Leistungen haben, ihre Krankenkasse immer wieder anschreiben müssen, Monate oder Jahre lang auf die Leistungen warten.

Zum siebten Jahr nach der Transition haben Sie geschrieben: "Früher habe ich mir oft selbst die Schuld gegeben, nicht reinzupassen in diese Welt und habe alles gegeben, so wenig wie möglich aufzufallen. Heute sieht das anders aus. Ich bin stolz darauf, zu sein, wer ich bin und ich werde weiterhin alles dafür geben, dass das kein gesellschaftlicher Kampf mehr ist, sondern das Natürlichste der Welt." Ein berührendes Statement…

Ich möchte Türöffner sein. Wir sind über 700 Abgeordnete im Deutschen Bundestag, darunter zwei Transfrauen. Es gibt in der Welt der Geschlechtervielfalt noch viel mehr. Es gibt intergeschlechtliche Menschen, die mit ihrer Körperlichkeit in eine Welt, die nur männlich-weiblich denkt, nicht reinpassen. Es gibt Transmänner und ganz viele Menschen, die sich mit den Kategorien männlich/weiblich nicht identifizieren.

Was kann man machen, damit die Gesellschaft offener mit Minderheiten umgeht?

Repräsentation ist ganz wichtig. Es gibt vielleicht viele, die keinen Kontakt mit Transpersonen haben, die Vorurteile oder Ängste haben. Und ich glaube, wenn sie uns sehen und auch sehen, dass wir ganz normale Menschen sind, dann können diese Ängste genommen werden.

Selbst wenn wir nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sind, haben wir es verdient, anerkannt und respektiert zu werden. Das betrifft auch andere Minderheiten, ob das im Bereich der Religion ist oder ob es um Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte geht: Wir alle haben ein Recht darauf, nicht angegriffen zu werden und unser Leben möglichst frei und selbstbestimmt zu leben.

Das Gespräch führte Katarzyna Domagala-Pereira

Kommentarbild Katarzyna Domagala-Pereira
Katarzyna Domagala-Pereira Journalistin und Publizistin, stellvertretende Leiterin von DW-Polnisch.