ASEAN-Gipfeltreffen Territorialstreit
20. November 2012Der südostasiatische Staatenbund ASEAN befasst sich während seines Gipfeltreffens und weiterer Treffen mit Dialogpartnern in Phnom Penh (18.-20.11. 2012) einmal mehr mit weitreichenden Plänen für Freihandel und regionale wirtschaftliche Integration. So stehen die Vorbereitungen für eine gigantische asiatische Freihandelszone auf dem Programm. Das Vorhaben lautet auf den Namen "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP) und soll die zehn ASEAN-Länder sowie ihre Nachbarn Japan, China, Südkorea, Indien, Australien und Neuseeland einschließen.
ASEAN-Mitgliedsstaaten wie Thailand werben vor dem Gipfeltreffen nachdrücklich für das Projekt und erhoffen sich davon neue Wachstumsimpulse. Die Rede ist von einem "integrierten Markt" mit 3,5 Milliarden Konsumenten und einem Drittel der globalen Wirtschaftsleistung. Bereits 2015 sollen die Verhandlungen über die Gründung dieser "umfassenden regionalen Wirtschaftspartnerschaft" abgeschlossen sein. Erleichtert wird das Vorhaben durch verschiedene bereits bestehende Freihandelsabkommen der ASEAN mit den sechs Partnerländern. Diese Abkommen sollen in einem Gesamtpaket zusammengeschnürt werden.
Wirtschaftsgemeinschaft soll Wirklichkeit werden
Ebenfalls 2015 soll die Wirtschaftsgemeinschaft der ASEAN (ASEAN Economic Community, kurz AEC) Wirklichkeit werden. Angestrebt wird ein weitgehend ungehinderter Waren- und Dienstleistungsverkehr. Das ist ein Ziel, das die ASEAN mit unterschiedlicher Intensität seit Ende der 1970er Jahre verfolgt. Dem Vorhaben stehen die sehr unterschiedlichen Entwicklungsstufen, Gesellschafts- und Regierungssysteme der inzwischen zehn ASEAN-Länder entgegen, zu denen das arme Myanmar ebenso gehört wie das reiche Singapur. Ein ASEAN-Infrastruktur-Fonds, der bislang mit 500 Millionen US-Dollar ausgestattet ist, könnte nach den Vorstellungen Thailands Kapitalzufuhr aus Südkorea, China und Japan im Rahmen der bestehenden "ASEAN-plus-3"-Partnerschaft erhalten.
Territorialstreit mit China
Die harmonischen Visionen von freiem Handel und allgemeinem Streben nach Wohlstand werden durch territoriale Streitigkeiten im Südchinesischen Meer überschattet. Im vergangenen Sommer hatte China seinen Anspruch auf praktisch das gesamte Meeresgebiet erneut bekräftigt. Es kam zu Spannungen mit anderen Anrainern, die ihrerseits Ansprüche auf Inseln und entsprechende exklusive Wirtschaftszonen geltend machen. Hauptkontrahenten des Konflikts sind China auf der einen und die ASEAN-Länder Philippinen und Vietnam auf der anderen Seite. In geringerem Ausmaß sind auch Malaysia und Brunei betroffen.
Innerhalb der ASEAN gibt es schon seit längerem die Vorstellung, mittels eines sogenannten "Code of Conduct" (Verhaltenskodex) zwischen dem Staatenbund und China zu einem Konfliktmanagement im Südchinesischen Meer zu kommen. Ein solcher Verhaltenkodex war zwar schon 2002 in einer gemeinsamen Erklärung zwischen ASEAN und China als Fernziel genannt worden. Bislang ist daraus aber nichts geworden, ebenso wenig wie aus gemeinsamen zivilen Aktivitäten im Südchinesischen Meer.
Lösungsansätze
Nicht nur China blockiert einen kooperativen, multilateralen Lösungsansatz für das Problemfeld Südchinesisches Meer. Beim ASEAN-Außenministertreffen im vergangenen Juli stellte sich Kambodscha quer, das derzeit den ASEAN-Vorsitz innehat, und verhinderte die Erwähnung des Territorialstreits in der Abschlusserklärung, auf die schließlich ganz verzichtet wurde.
Trotzdem wurden in der Folge Arbeitsgespräche zwischen ASEAN und China über einen Verhaltenskodex in Thailand geführt. Und bei den Vorbereitungen unter Kambodschas Federführung zum aktuellen ASEAN-Gipfel kam "der erste Entwurf eines regionalen Verhaltenskodex im Südchinesischen Meer zur Sprache", wie die ASEAN mitteilte. Der philippinische Präsident Benigno Aquino bekräftigte kurz vor dem Gipfeltreffen, dass die ASEAN im Territorialkonflikt gegenüber China mit einer Stimme sprechen müsse.
Wie auch immer das diplomatische Tauziehen ausgeht, der grundlegende Konflikt würde dadurch nicht gelöst werden. Denn selbst wenn China einem solchen Kodex zustimmt, der letztlich nur eine Liste von Verhaltensregeln wäre, würde Peking damit seinen Souveränitätsanspruch auf das Südchinesische Meer nicht aufgeben.
"Menschenrechte unter Vorbehalt"
Ein weiteres heikles politisches Thema beim ASEAN-Gipfel ist die Menschenrechtserklärung des Staatenbundes, die am Sonntag (18.11.2012) unterzeichnet wurde. Der Text der Erklärung wurde zunächst noch nicht veröffentlicht. Dem Thema Menschenrechte hat sich die ASEAN als traditioneller Verfechter des Prinzips der "Nichteinmischung" nur zögernd genähert. Erst 2009 wurde eine Menschenrechtskommission ins Leben gerufen, die jedoch kein Mandat zur Aufklärung oder gar Verfolgung von Verstößen hat.
Die jetzige Erklärung richtet sich unter anderem gegen Folter, illegale Inhaftierungen und Menschenhandel. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP sollen allerdings die Menschen- und Grundrechte unter den Vorbehalt "berechtigter Ansprüche der nationalen Sicherheit, öffentlichen Ordnung, sowie der Gesundheit, Sicherheit und Moralvorstellungen der Bevölkerung" gestellt werden.
Aufgrund solcher Einschränkungen hat die geplante Menschenrechtserklärung der ASEAN Kritik von internationalen Menschenrechtsorganisationen und des UN-Menschenrechtskommissars auf sich gezogen. Während ASEAN-Politiker auf dem Gipfel die Erklärung als "Meilenstein" für den Schutz der Menschenrechte in ihren Ländern bezeichneten, sah etwa Human Rights Watch "seine schlimmsten Befürchtungen" bestätigt. Der indonesische Außenminister Marty Natalegawa sagte, man habe ein "zusätzliches Sicherheitsnetz" gespannt, um zu gewährleisten, dass die Umsetzung der Menschenrechtserklärung der ASEAN in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und mit der Erklärung und dem Aktionsprogramm von Wien von 1993 geschehe.