Trump, Syrien und der Preis der Freiheit
7. April 2017Der militärische Erfolg war nahe, vielleicht sogar schon errungen. Stadt um Stadt, Region um Region hatte das syrische Regime, unterstützt von Russland, Iran und der Hisbollah, in den letzten Monaten die Macht zurückerobert, die von den säkularen und islamistischen Rebellen besetzten Gebiete wieder unter seine Kontrolle gebracht. "Es gibt keine andere Option als den Sieg", hatte Assad noch in der vergangenen Woche in einem Interview mit der kroatischen Zeitung "Vecernji List" erklärt. Den Sieg stellte er als politische Verpflichtung dar. "Wenn wir den Krieg nicht gewinnen, wird Syrien von der Landkarte verschwinden", erklärte der Staatschef. Darum habe seine Regierung gar keine andere Wahl, als sich dem Krieg zu stellen.
Das Interview fand in der vergangenen Woche statt. Warum Assads Regime nur wenige Tage später einen Giftgasangriff auf ein von Zivilisten bewohntes Viertel der Stadt Chan Scheichun startete, wie zahlreiche Indizien nahelegen, ist angesichts des zum Greifen nahen militärischen Triumphs schwer erklärbar. Assad seien grundsätzlich alle Mittel recht, vermutet die Zeitung Al-Araby al-jadeed. Die Opfer des Giftgasangriffes reihten sich zu Millionen anderer Syrer, die das Regime vertrieben, verwundet oder getötet habe.
Dennoch dürfte das Regime gewusst haben, dass es mit dem Einsatz von Giftgas eine rote Linie überschreitet. Dies umso mehr, als das Regime im Jahre 2013 schon einmal einen Chemiewaffenangriff gegen die eigene Bevölkerung gestartet hatte. Der damalige US-Präsident Barack Obama hatte zwar erklärt, diesen sanktionieren zu wollen, seine Ankündigung dann aber nicht wahr gemacht.
Der Giftgasangriff – ein politischer Testballon?
Unter solchen Umständen, vermutet der Politikanalyst Abdelrahman al-Raschid in der Zeitung Sharq al-Awsat, erkläre wohl nur ein Motiv den Giftgaseinsatz: "Syriens Verbündete, entweder die Russen oder die Iraner, wollen Trumps Handlungsspielraum und Entschlusskraft testen. Womöglich wollen sie auch versuchen, ihn zu schwächen. Schließlich hatte Trump selbst die Obama-Administration für ihre Schwäche während des ersten Giftgas-Einsatzes korrigiert."
Russen und Iraner weisen die These eines Angriffs mit Chemiewaffen durch das Assad-Regime zwar zurück. Doch fest steht nun, dass die Regierung Trump entschlossen ist, in den Konflikt einzugreifen. Der von Trump angeordnete Einsatz in der vergangenen Nacht lässt sich als Signal an Assad und seine beiden Schutzmächte verstehen, dass die USA nicht mehr gewillt sind, ihnen weiterhin die alleinige Handlungsmacht in Syrien und der Region zu überlassen. Diese Entwicklung zeichnete sich auch diplomatisch bereits ab: Die US-amerikanische Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, bezeichnete den syrischen Präsidenten als "Kriegsverbrecher".
Vertreter der syrischen Opposition werten das als ermutigendes Zeichen. "Wir sehen plötzlich, dass Assad von Trump ernsthafter angegangen wird, als dies Obama getan hat", sagt der syrische Oppositionelle Firas Qassas, Gründer der syrischen „Partei der Modernität und Demokratie" und derzeit in Deutschland im Exil lebend. Er möchte nicht ausschließen, dass der US-Angriff den bisherigen Kriegsverlauf doch noch wenden und damit die Interessen der säkularen Opposition durchsetzen könnte. "Vielleicht finden wir in Trump tatsächlich einen echten Partner, um Syrien zu einem wahrhaft freien und demokratischen Land zu machen", so Qassas.
Schiitische Expansionspläne
Andere Stimmen sind weniger optimistisch. Es könnte durchaus zu einer militärischen Eskalation kommen, fürchtet Abdel Bari Atwan, der einflussreiche Kolumnist des Internet-Magazins "Rai al-youm". Er schließt eine gefährliche Konfrontation zwischen den USA und Russland nicht aus. Diese könnte sich über Jahre hinziehen und einen unvorhersehbaren Verlauf nehmen."
Fest steht, dass die Einsätze in Nahost hoch sind. Syrien ist das Zentrum einer Auseinandersetzung, in die nationale, regionale und internationale Akteure verstrickt sind. Nun könnten die USA einen Schritt getan haben, der den bislang verdeckt geführten Konflikt mit Russland in einen offenen umschlagen lässt. Trump könnte erkannt haben, vermutet die Politik-Analystin Raghida Dergham in der Zeitung "Al Hayat", dass mit Russland auf Grundlage der gegenwärtigen Situation nicht zu verhandeln sei. Das habe neben diversen innenpolitischen Gründen – Trump braucht nach einer Reihe innenpolitischer Niederlagen dringend Erfolge – vor allem auch außenpolitische: Der Ausgang des Syrienkrieges könnte die Region grundlegend neu ordnen, und zwar zu Ungunsten der USA.
Würde nämlich Assad siegen, dann sei der Iran seinem Ziel eines von Iran bis zum Libanon reichenden schiitisch dominierten Landstreifens einen erheblichen Schritt näher gekommen. "Die Trump-Administration kann Moskaus enge Verbindung zu Syrien und Iran nicht hinnehmen", so Dergham. "Denn Iran wird für seinen Einsatz an der Seite Moskaus verlangen, dass Russland dem Projekt des schiitischen Halbmonds zustimmt."
Formen der Eskalation
Genau das aber können die USA, die traditionell den sunnitischen Staaten verbunden sind, nicht zulassen. Hatte Amerika vor allem während der Obama-Jahre bereits erheblich an politischem Gewicht verloren, dürfte dieses noch weiter fallen, wenn die USA weiterhin einen zurückhaltenden Kurs fahren. Eben dies könnte der ägyptische Präsident Al-Sisi während seines Besuchs im Weißen Haus Anfang der nun zu Ende gehenden Woche Trump zu verstehen gegeben haben.
Der hat nun reagiert - durch eine Aktion mit offenem Ausgang. Vieles sei möglich, schreibt Abdelrahman al-Raschid in Sharq al-Awsat. Es könnte zu direkten Zusammenstößen zwischen den USA und Syrien sowie dessen Verbündeten kommen, ebenso aber auch zu einem verstärkten schiitischen Terrorismus: Neue Angriffe auf US-amerikanische Ziele im Irak oder Geiselnahmen von US-Bürgern im Libanon seien nicht auszuschließen.