Tschechien: Ex-Premier Babis vor Gericht
15. September 2022In der Tschechischen Republik nennt man ihn den Prozess des Jahrzehnts. Das Interesse an der Gerichtsverhandlung war so groß, dass Eintrittskarten für den Gerichtssaal vergeben werden mussten. In dem Prozess, der am Montag (12.09.2022) begann, geht es zwar weder um eine spektakuläre Mordserie noch um Milliardensummen, sondern "nur" um zwei Millionen Euro. Dafür aber um einen in Tschechien ebenso prominenten wie umstrittenen Angeklagten: den Ex-Premier und Multimilliardär Andrej Babis.
Der 68-Jährige amtierte bis Ende 2021 als Regierungschef. Er ist der zweitreichste Mann in Tschechien, Besitzer des Agrofert-Konsortiums und gilt als Favorit bei der Präsidentschaftswahl im Januar 2023. Der Fall, wegen dem er nun vor Gericht steht, trägt den idyllischen Namen "Storchennest". Und tatsächlich geht es auch um ein Idyll: um den Landsitz und das Wellness-Resort Storchennest, etwa 50 Kilometer westlich von Prag, für dessen Bau Babis im Jahr 2008 zu Unrecht rund zwei Millionen Euro Subventionen aus EU-Fördermitteln kassiert haben soll.
"Schwindel-Premier"
Der Fall Storchennest hält die tschechische Öffentlichkeit seit vielen Jahren in Atem: Immer wieder kam es zu Verzögerungen bei den Ermittlungen und der Anklageerhebung. Ebenso führte er immer wieder zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Tschechien und der EU. Und: Er sorgte dafür, dass hunderttausende Tschechen wiederholt auf die Straße gingen und gegen den "Schwindel-Premier" Babis demonstrierten. Denn Storchennest steht für die intransparente Weise und die trickreichen Schummeleien, mit denen Babis zu seinem Milliarden-Vermögen gekommen ist.
Nun also der Prozess: Der Anklageschrift zufolge hat Babis' einstige Geschäftsbeauftragte Jana Nagyova das Unternehmen Storchennest formell aus dem Agrofert-Konzern herausgelöst, damit sie 2008 EU-Fördermittel beantragen konnte, die für mittlere und kleine Unternehmen bestimmt waren. Das wäre unter dem Schirm des riesigen Agrofert-Konsortiums nicht möglich gewesen. Die beiden erwachsenen Kinder und der Schwager von Babis wurden die offiziellen Storchennest-Eigentümer. Im Jahr 2014 wurde das Ressort wieder Teil des Agrofert-Konzerns.
Bei Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft
Babis und Nagyova drohen bei einer Verurteilung im Prozess bis zu zehn Jahre Haft. Beide haben jedoch einen mildernden Umstand erreicht, weil Agrofert 2018 die zwei Millionen Euro Subventionen zurückerstattete. Allerdings warnte der Richter im Prozess, Jan Sott, bereits, dass die Anklage auf einen weiteren Straftatbestand ausgeweitet werden könnte, nämlich den der Schädigung der Interessen der Europäischen Union, auf den ebenfalls bis zu zehn Jahre Haft stehen.
Babis behauptet, es handele sich um eine Verschwörung gegen ihn. "Dies ist der erste politische Prozess seit der Revolution von 1989", sagte Babis vergangene Woche im Parlament. Kurz bevor er am Montag den Gerichtssaal betrat, twitterte er: "Heute sitze ich vor Gericht und bin bereit, meine Unschuld zu beweisen." Im Gerichtssaal hielt er dem Staatsanwalt entgegen: "In der Anklageschrift ist alles falsch. Sie ist absurd, skandalös, und ich lehne sie grundsätzlich ab. Ich fühle mich nicht schuldig, und ich bin unschuldig. Ich stehe hier, weil ich in die Politik gegangen bin."
Auf Babis zugeschnittene Partei
Es ist ein Narrativ, dass Babis immer wieder bemüht und mit dem er in der Öffentlichkeit versucht, sich vom Establishment abzugrenzen - obwohl er selbst Teil von ihm ist. Der Milliardär, der ursprünglich aus der Slowakei stammt und in der Tschechoslowakei schon zu kommunistischen Zeiten zur ökonomischen Elite gehörte, stieg 2011 mit der Gründung der Partei ANO (Aktion unzufriedener Bürger) in die Politik ein. Das Akronym ANO bedeutet auf Tschechisch auch Ja; die Partei ist rechtsliberal-populistisch ausgerichtet und vor allem auf die Person von Babis zugeschnitten.
Politisch gibt der Milliardär immer wieder EU-skeptische Töne von sich, einen Austritt Tschechiens aus der EU strebt er aber nicht an, da das den wirtschaftlichen Interessen seines in Europa weit verzweigten Konzerns Agrofert widersprechen würde. Beispielsweise ist Agrofert auch in Deutschland stark vertreten, unter anderem als Eigentümer des Düngemittelwerks Piesteritz und der Großbäckerei Lieken.
Harte populistische Kampagne
Derzeit versucht Babis, die tschechische Politik mit einer harten populistischen Kampagne gegen die liberale Mitte-Rechts-Koalitionsregierung unter dem Premier Petr Fiala aufzumischen. Es geht dabei um den Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl im Januar 2023. Babis gilt als Favorit, obwohl unklar ist, ob er überhaupt antritt.
Eines der Hauptkampagnenthemen ist derzeit die laut Babis "übermäßige Hilfe für die Ukrainer". Tschechien ist eines der EU-Länder, das am meisten Solidarität mit der Ukraine zeigt, unter anderem bei Waffenlieferungen und der Aufnahme von Flüchtlingen. Babis hingegen wirbt bei seinen Veranstaltungen immer wieder mit dem Slogan: "Die Regierung sollte sich in erster Linie um unsere Bürger kümmern."
Parallelen zum Fall Berlusconi
Der Prozess gegen Babis könnte sich nach Ansicht des Politologen Lubomir Kopecek entscheidend auf die Präsidentschaftswahl auswirken - zum Nachteil des Milliardärs, egal, ob er selbst kandidiert oder seine Partei einen anderen Kandidaten auswählt. "Es wäre sehr unangenehm für Babis, wenn kurz vor den Präsidentschaftswahlen ein ungünstiges Urteil für ihn fallen würde", sagt Kopecek der DW.
"Wir haben hier einen Politiker, der in Tschechien nicht nur wegen seiner geschäftlichen Sünden sehr umstritten ist, sondern auch allgemein wegen seiner Vergangenheit", so Kopecek. Er spielt unter anderem darauf an, dass Babis laut eines Gerichtsurteils Informant der früheren tschechoslowakischen Staatssicherheit StB gewesen sein soll - er selbst bestreitet das. "Der Fall Babis wird uns in Tschechien ähnlich verfolgen, wie der Fall Berlusconi die italienische Politik seit mehr als 20 Jahren verfolgt", sagt Kopecek.
Nach Ansicht von Petr Honzejk, einem prominenten Kommentator der Zeitung Hospodarske noviny (Wirtschaftsblatt), ist die Tatsache, dass der Fall Babis nun endlich vor Gericht geht, so oder so eine gute Nachricht. "Das beweist, dass die demokratischen Institutionen in der Tschechischen Republik gut funktionieren", so Honzejk auf seinem Twitter-Account. "Auch der Reichste und Mächtigste kann sich nicht sicher sein, dass er mit allem durchkommt."