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Kükenschreddern bleibt erlaubt

Brigitte Osterath20. Mai 2016

Milliarden männliche Hühnerküken werden gleich nach dem Schlüpfen getötet. Die rot-grüne NRW-Landesregierung wollte das verbieten. Das Oberverwaltungsgericht in Münster entschied nun: Die Praxis bleibt erlaubt.

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Küken sitzt auf einer Hand Foto: Peter Endig/dpa
Glück hat, wer weiblich istBild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Man nennt sie Eintagsküken: Küken, die nicht älter als einen Tag sind. Viele von ihnen werden auch nicht älter. Sie werden gleich an ihrem ersten Lebenstag getötet. Weil sie männlich sind und keine Eier legen. Tierschützer forderten ein Verbot dieser Praxis.

Die rot-grüne Landesregierung in NRW hingegen wollte das Kükentöten bereits im Jahr per Erlass 2013 verbieten lassen. Dagegen zogen elf betroffene Brütereien vor die Verwaltungsgerichte. Heute befasste sich das Oberverwaltungsgericht in Münster mit dem Fall. Sein Urteil: Die umstrittene Praxis verstoße nicht gegen das Tierschutzgesetz. Das Tierschutzgesetz erlaube das Töten von Tieren, wenn dafür ein vernünftiger Grund vorliege, teilte der Senat mit. Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken sei für die Brütereien aber mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand verbunden, so die Urteilsbegründung.

Auch im Bundestag hatte ein Antrag (pdf) der Grünen, das Töten von Eintagsküken mit einer angemessenen Übergangsfrist zu untersagen, keinen Erfolg. CDU/CSU und SPD stimmten im März dagegen. "Tierwohl verbessern geht nicht mit der Brechstange und mit Verboten, sondern nur gemeinsam mit den Tierhaltern", sagte der CDU-Abgeordnete Dieter Stier, "sonst verlagern wir die Tierhaltung ins Ausland."

Männliche Küken sind wertlos

Wenn Hühnerküken in den industriellen Brütereibetrieben schlüpfen, sortieren die Angestellten das flinke, flaumige Gewusel nach männlich und weiblich - die Küken werden gesext, wie man sagt. Die Hennen kommen auf das rechte Fließband, werden in Kartons verpackt und an Aufzuchtbetriebe verschickt. Die Hähne dagegen wandern aufs linke Fließband und über eine Stahlrutsche dem sicheren Tod entgegen.

Schuld ist die Spezialisierung in der industriellen Geflügelzucht, erklärt Marius Tünte, Pressesprecher des Deutschen Tierschutzbundes im Interview mit der DW: "Es gibt Masthühner, die viel Fleisch ansetzen, und Legehennen, die besonders viele Eier legen. Die männlichen Küken bei den Legehennenrassen haben also keinen wirtschaftlichen Wert. Deswegen ist man irgendwann dazu übergegangen, die männlichen Tiere zu töten."

Die Hälfte aller geschlüpften Küken sind naturgemäß männlich und damit unerwünscht. Sie zu mästen lohnt sich nicht, da sie nur sehr langsam Fleisch ansetzen. Für die Mast gibt es andere, spezialisierte Züchtungen, die Masthühner. Bei ihnen werden beide Geschlechter gemästet und später geschlachtet.

Die Praxis, männliche Küken zu töten, ist keine Ausnahme. Nach Angabe von Tierschützern und den Grünen sind über 40 Millionen Tiere jedes Jahr in Deutschland dem Tod geweiht. Weltweit sind es etwa 2,5 Milliarden.

Frisch geschlüpfte Hühner-Küken Foto: Aleksandr Kondratuk/RIA Novosti
Die Küken schlüpfen in industriellen Brütereien und werden dann von den sogenannten Sexern sortiertBild: picture-alliance/dpa/A. Kondratuk

Schreddern oder vergasen

Die Küken werden entweder in einer Art Häckselmaschine mit scharfen Messern zerkleinert oder mit Kohlendioxid erstickt.

"Die Tiere haben in beiden Formen Todeskämpfe zu durchstehen", sagt Tünte. "Beim Häckseln überleben immer wieder Tiere schwer verletzt. Und auf Videos von der Begasung sieht man deutlich, wie die Tiere versuchen, noch irgendwie an Luft zu kommen, bevor sie dann sterben."

Die getöteten Küken werden anschließend zu Tiermehl verarbeitet und verbrannt. Einige der vergasten Küken landen als Greifvogelfutter in Zoos - laut Deutschem Tierschutzbund sind das aber nur wenige Prozent.

Bioeier sind auch keine Lösung

Erst nach dem Sortieren in männlich und weiblich entscheidet sich, ob eine Henne in die Käfighaltung kommt oder eine Biohenne aus ihr wird. Auch der Biobauer kauft Legehennen bei den Zuchtbetrieben ein; die Biohöfe können sich dem System also nicht entziehen.

"Es gibt derzeit keine Alternativen am Markt", sagte Gerald Wehde, Pressesprecher des ökologischen Anbauverbands Bioland vor einiger Zeit der DW. "Wir können nur versuchen, das Problem etwas zu entschärfen."

Heutzutage schlachten die Bauern die Legehennen üblicherweise, sobald sie ein Jahr alt sind und das erste Mal in die Mauser kommen. Bioland rät seinen Betrieben, ihre Hühner länger leben zu lassen. Denn nach der Mauser legt eine Henne wieder Eier, wenn auch nicht ganz so viele.

Wenn mehr Hühner eine zweite Legeperiode erleben dürfen, müssen die Bauern weniger neue Legehennen nachkaufen, erklärt Wehde. "So können wir den Kükenmord zwar nicht verhindern, aber zumindest schmälern."

Legehennen vor einem mobilen Bio-Legehennenstall. (Foto: Philipp Schulze dpa/lni)
Auch Biohennen stammen aus industriellen BrütereienBild: picture-alliance/dpa

Verstoß gegen das Tierschutzgesetz?

Nach Paragraph 1 des Tierschutzgesetzes bedarf das Töten von Tieren eines vernünftigen Grundes. Tierschützer, die Grünen und sogar einige Juristen bezweifeln, dass im Falle der Eintagsküken ein solcher vernünftiger Grund vorliegt.

Erlaubt ist die Praxis dennoch - nicht nur in Deutschland. Eine EU-Verordnung regelt sogar, wie das Zerkleinern und Ersticken der Küken genau durchzuführen ist, etwa, dass die Häckselmaschine nicht überladen werden darf und die Küken maximal 72 Stunden alt sein dürfen.

Lösungen in Sicht?

Dass das Töten von Milliarden Küken weder praktikabel noch tierschutzrechtlich in Ordnung ist, haben inzwischen die meisten begriffen - auch die Züchterunternehmen selbst. Sie bebrüten Unmengen Eier pro Jahr umsonst und müssen die getöteten Küken hinterher entsorgen.

"Kein Mensch, auch nicht die Industrie, reißt sich darum, das Töten gesunder männlicher Eintagsküken weiterzuführen", sagte Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Tierärztin und Forscherin an der Universität Leipzig. Sie forscht daran, wie sich das Geschlecht der Hühnerembryonen bereits vor dem Schlüpfen bestimmen lässt. Dann ließen sich nur die weiblichen ausbrüten.

Auf diese Methode setzt auch die Bundesregierung. Mit der Technik solle die Kükentötung bereits im kommenden Jahr aufhören. "Inzwischen ist das Verbundforschungsprojekt weit fortgeschritten. Die Methode soll schnell, möglichst kostengünstig und präzise sein", schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auf seiner Webseite. Einige Experten bezweifeln aber, ob sich die Methode für den hohen Durchsatz in einer Brüterei, in der tausende Küken jede Nacht schlüpfen, eignen wird.

Unzählige Küken auf engstem Raum (Foto: picture-alliance/dpa)
Pro Tag 100.000 neue Küken - in industriellen Brütereien ein normaler DurchsatzBild: picture-alliance/dpa

Bei Rindern und anderen Säugetiere wäre die Lösung einfacher: Dort lässt sich das Sperma nach weiblichen und männlichen vorsortieren und gezielt nur Weibchen erzeugen. Beim Huhn ist das aber nicht möglich, da bei Vögeln nicht das Spermium, sondern die Eizelle über das Geschlecht der Nachkommen entscheidet.

Der beste Ausweg aus Sicht von Hühnerzüchtern und des Tierschutzbundes sind Hühnerrassen, die gleichzeitig beides können: Die Weibchen legen Eier, die Männchen lassen sich mästen - so wie es auch früher, vor 1950, war. Zweinutzungshühner heißen solche Rassen. Dass sich das Sexen von Küken dennoch durchgesetzt hat, ist schlichtweg deshalb, weil die neuen Hochleistungszüchtungen effizienter sind.

In anderen Ländern, wie in Italien oder der Schweiz gibt es das Konzept der Zweinutzungshühner jedoch bereits als Nischenprodukt, in Deutschland steht es kurz vor der Markteinführung.

Bis dahin bleibt Verbrauchern, die das Töten der Küken boykottieren wollen, nur eine Möglichkeit, sagt Tünte, nämlich "auch mal zu verzichten und weniger Eier und Eiprodukte zu essen."