Maas' diplomatisches Fingerhakeln
26. Oktober 2019Was sollte zu den herausragenden Fähigkeiten eines Außenministers gehören? Weit oben auf der Liste steht mit Sicherheit diplomatisches Fingerspitzengefühl. Bei seinem Türkei-Besuch wird Heiko Maas beweisen müssen, wie gut er auf der Klaviatur der Diplomatie spielen kann. Rund zwei Wochen nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien soll der deutsche Außenminister in Ankara nämlich vor allem auf eine dauerhafte Waffenruhe in Nordsyrien dringen.
Der Zorn des Präsidenten
Auf dem Weg dahin liegen einige politische Brocken im Weg. Maas muss nicht nur die unterschiedlichen Positionen der deutschen und türkischen Regierungen möglichst in Einklang bringen, sondern auch die Interessen der europäischen Partner, der NATO sowie den Einfluss des im Syrienkonflikt tonangebenden Akteurs Russland berücksichtigen. Kein Wunder, dass Maas am Donnerstag noch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow telefoniert hat, bevor er dann diesen Samstag in Ankara den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu trifft.
Diese schwierige Mission des Bundesaußenministers könnte durch gute persönliche Beziehungen zu türkischen Regierungsmitgliedern erleichtert werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Einschränkung deutscher Waffenexporte an Ankara und die Aussage des Bundesaußenministers, die türkische Offensive stehe "nicht im Einklang mit dem Völkerrecht", hatten den Zorn des türkischen Präsidenten erregt.
"Du verstehst nichts von Politik, du bist ein politischer Neuling", sagte Recep Tayyip Erdogan, der den Einmarsch mit Selbstverteidigung im Kampf gegen kurdischen Terrorismus begründet. Auf die persönlichen Attacken des türkischen Präsidenten reagierte Maas gelassen. Auf die Beleidigungen wolle er nicht eingehen, sagte der Außenminister. "Im Ergebnis ist es mir allerdings lieber, Herr Erdogan schießt mit Worten als mit Raketen. Wenn wir uns darauf verständigen können, kann er mich gerne weiter beschimpfen."
Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger
In der Bundestagssitzung am Mittwoch verdeutlichte Maas seine Erwartungen an die Gespräche mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu: "Die Waffenruhe muss eingehalten werden und die Zivilbevölkerung muss geschützt werden." Beim Umgang mit Flüchtlingen müsse die Türkei internationales Recht einhalten. Man erwarte von der Türkei wie von allen anderen Beteiligten, "dass sie gerade jetzt den politischen Prozess unter der Ägide der Vereinten Nationen unterstützen". Auf Twitter legte Maas mit ähnlichen Worten nach. Davon fühlte sich offenbar sein türkischer Amtskollege provoziert. Ebenfalls auf Twitter entgegnete Cavusoglu auf Deutsch: "Lieber Heiko Maas, ich freue mich auf Deinen Besuch in der Türkei. Du bist uns immer willkommen. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger."
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), erinnert an die Verpflichtungen der Türkei als NATO-Mitglied. Damit verbunden sei die Erwartung, "dass die Türkei sich auch verhält wie ein NATO-Partner, und für NATO-Partner ist nicht akzeptabel, die Grundregeln des Völkerrechts zu brechen, um eigene politische Ziele zu verfolgen". Die Türkei müsse darum zur Respektierung des Völkerrechts zurückkehren.
Der Bundestagsabgeordnete und Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich nahm die Diskussionen zum Anlass, um das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei in Frage zu stellen: "Richtig und konsequent wäre es, wenn die Europäische Union und Deutschland den Flüchtlingsdeal mit der Türkei aufkündigen. Dann ist man nicht mehr erpressbar."
Auf Seiten der türkischen Regierung wird man wiederum die jüngsten Holprigkeiten in der deutschen Außenpolitik aufmerksam registriert haben. Dass Heiko Maas von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nur per SMS über ihren Vorschlag informiert wurde, eine internationale Schutzzone für Nordsyrien einzurichten, könnte die Position des Außenministers bei den Türkei-Gesprächen schwächen. Auch Maas' Skepsis hinsichtlich der Verwirklichung einer solchen Schutzzone dürfte eine Rolle spielen.
Wesentliche Fragen noch ungeklärt
Entscheidend sei, worauf man sich mit internationalen Partnern verständigen könne, hatte Maas im Bundestag betont. Am Donnerstag sagte er dann in einer Talkshow des Zweiten Deutschen Fernsehens: "Ehrlich gesagt, außerhalb von Deutschland diskutiert im Moment kein Mensch über eine Schutzzone." Sein SPD-Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe äußerte sich noch konkreter: "Annegret Kramp-Karrenbauer macht isolierte, nicht durchdachte Vorschläge. Das hilft niemandem." Es gelte die Menschen in Nordsyrien und darüber hinaus jetzt konkret und realistisch zu unterstützen."
Diplomatisches Gespür wird auch gefordert sein, den möglichen Vorbehalt der Türkei zu entkräften, dass die große Koalition nicht an einem Strang zieht. Zudem gibt es von den europäischen Partnern und der NATO zwar grundsätzlich Zustimmung für die Einrichtung einer Schutzzone, viele wesentliche Details sind jedoch ungeklärt: Welche Bedingungen stellen Russland und die Türkei für ihre Beteiligung an einer solchen Mission? Wie könnte eine langfristige Lösung aussehen? Wer geht gegen die IS-Anhänger und Terror-Sympathisanten vor, die aus den kurdischen Gefängnissen in der Grenzregion geflohen sind?
Ein neues Beziehungs-Kapitel?
Das über die Jahrzehnte gewachsene deutsch-türkische Verhältnis gilt als gleichermaßen schwierig wie eng. Eng, weil rund drei Millionen Türkischstämmige in Deutschland leben. Schwierig, weil die Konflikte zahlreich sind: von EU-Beitrittsgesprächen bis zur Pressefreiheit und Wahlkampf-Auftritten türkischer Politiker in Deutschland. Mit dem Syrieneinsatz der türkischen Armee ist nun ein weiteres problematisches Kapitel in der gemeinsamen Geschichte aufgeschlagen. Es sei denn, Heiko Maas gelingt ein diplomatisches Bravour-Stück.