Türkei-Reise: Merkel soll "hinsehen"
23. April 2016"Wir müssen auch in Zukunft auf allen Ebenen die Postulate von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei in aller Deutlichkeit ansprechen", sagte Justizminister Heiko Maas der Tageszeitung "Die Welt". Der SPD-Politiker forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, bei ihrem Türkei-Besuch die Themen Presse- und Meinungsfreiheit offen anzusprechen. In einem Rechtsstaat seien diese Prinzipien "nicht verhandelbar", betonte Maas, "und wir treten dafür ein, dass unsere Partner das genauso gewährleisten wie wir".
Als Folge der Affäre Böhmermann lägen bereits Pläne der Bundesregierung zur Abschaffung des Paragrafen 103 vor, erklärte Maas weiter. "Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet." In der Regierung sei man sich einig, dass das Delikt der Majestätsbeleidigung "völlig aus der Zeit gefallen ist", so der Minister. Merkel hatte angekündigt, den Paragrafen bis 2018 außer Kraft setzen zu wollen.
"Kein Auge zudrücken"
Auch die Grünen richten ihre Forderungen an die Bundeskanzlerin: Merkel solle "genau hinsehen und dann die Missstände benennen, die in der Türkei in Sachen Menschenrechtsschutz und Bürgerrechte bestehen", forderte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth in der "Rheinischen Post". Die Kanzlerin müsse während ihres Besuchs außerdem den Anschuldigungen nachgehen, wonach die Türkei Flüchtlinge wieder nach Syrien und in den Irak zurückschicke, mahnte die Grünen-Politikerin.
Roth schlug einen Zwischenstopp der Kanzlerin auf der griechischen Insel Lesbos vor, damit Merkel sich dort die "Situation der Flüchtlinge in den Haftlagern" anschauen könne, die durch das Abkommen der EU mit der Türkei entstanden sei. "Dann wird sie erkennen, dass der Deal nicht die Lösung sein kann, sondern das Leid der Menschen nur noch vergrößert", prophezeite Roth.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner forderte Merkel auf, sich aus der Abhängigkeit von Ankara in der Flüchtlingskrise zu lösen. "Ich erwarte, dass die deutsche Bundeskanzlerin bei dem Besuch mit Präsident Erdogan in aller Klarheit über die massiven Einschränkungen der Menschenrechte, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei spricht. Deutschland darf wegen des Beitrags der Türkei bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms kein Auge zudrücken", sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur.
"Unverzichtbare Güter"
Wenn es um Menschenrechte und Werte gehe, könne dies sowohl öffentlich als auch intern angesprochen werden, erklärte Merkel im Vorfeld ihrer Türkei-Reise. "Menschenrechte, Freiheitsrechte, Pressefreiheit sind unverzichtbare Güter", betonte die Kanzlerin.
Merkel reist an diesem Samstag zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise in die Türkei. Am Nachmittag will die Kanzlerin dort Regierungschef Ahmet Davutoglu treffen. Gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans ist darüber hinaus der Besuch eines Flüchtlingslagers im südtürkischen Gaziantep nahe der syrischen Grenze geplant. Der im März zwischen der EU und Ankara ausgehandelte Flüchtlingspakt sieht vor, dass die Türkei alle illegal auf die griechischen Inseln gelangten Migranten zurücknimmt. Für jeden abgeschobenen Syrer nimmt die EU im Gegenzug einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei auf.
Merkel räumt Fehler ein
Der Besuch der Kanzlerin in der Türkei ist umso brisanter, seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Satiriker Jan Böhmermann für ein im Spartenkanal ZDF Neo ausgestrahltes Schmähgedicht angeklagt hatte. Zuvor hatte Merkel eingeräumt, in der Causa Böhmermann einen Fehler gemacht zu haben. Sie ärgere sich, dass sie dessen Gedicht über Erdogan als "bewusst verletzend" bezeichnet habe, erklärte sie in Berlin. Damit sei der Eindruck entstanden, dass ihre persönliche Bewertung von Belang wäre.
Außerdem könnte das den Anschein erweckt haben, Meinungs- und Pressefreiheit seien ihr nicht mehr wichtig. Dem sei nicht so, betonte die Kanzlerin. Für ihre Äußerung zu Böhmermann wurde Merkel in Deutschland teils heftig kritisiert. Viele beanstandeten, sie habe in diesem brisanten Fall eine persönliche Bewertung zu den Grenzen von Satire abgegeben.
Merkel verteidigte zugleich ihre Entscheidung, den deutschen Strafverfolgungsbehörden eine Ermächtigung für Ermittlungen gegen Böhmermann erteilt zu haben. Diese ermögliche, dass deutsche Gerichte korrekt über den Fall entscheiden könnten, erläuterte sie.
nin/gri (dpa, afp, rtr)