Demirtas-Prozess ohne deutschen Botschafter
14. Februar 2018Das Wichtigste in Kürze:
- Der deutsche Botschafter Erdmann darf den Prozess gegen den prominenten Oppositionellen Demirtas nicht im Gerichtssaal beobachten
- Regierungschef Yildirim deutet im Fall des inhaftierten "Welt"-Journalisten Yücel baldige Bewegung an
- Politiker in Deutschland fordern die Bundesregierung zu eindeutigen Worten gegenüber Ankara auf
Die türkischen Behörden haben dem deutschen Botschafter Martin Erdmann und seinen Kollegen aus anderen Staaten den Zugang zum Gericht in Sincan in der Hauptstadt Ankara verweigert. Das teilte die deutsche Botschaft im Kurzbotschaftendienst Twitter mit. In dem Gericht sollte das Hauptverfahren gegen den prominenten Oppositionellen Selahattin Demirtas fortgesetzt werden.
Der ehemalige Vorsitzende der "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) sitzt seit November 2016 in Untersuchungshaft. Im Dezember begann der Prozess. Ihm werden Terrorismus, Propaganda und Mitgliedschaft in der verbotenen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch drohen Demirtas bis zu 142 Jahre Gefängnis. Er gilt als profiliertester Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Der Staatschef wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der PKK zu sein. Erst am Dienstag ließ die Justiz die frühere HDP-Vorsitzende Serpil Kemalbay vor ihrem Haus in Ankara festnehmen. Sie hatte die türkische Offensive im nordsyrischen Afrin kritisiert. Beim Parteitag zwei Tage zuvor hatte Kemalbay ihr Amt als Ko-Vorsitzende an Pervin Buldan abgegeben. Auch zahlreiche weitere Politiker und Funktionäre der Partei sind inhaftiert.
Türkei spricht von Hoffnung im Fall Yücel
Das rigorose Vorgehen der türkischen Behörden gegen zahlreiche Oppositionelle und Erdogan-Kritiker belastet nach wie vor das deutsch-türkische Verhältnis. Im Fall des seit einem Jahr in der Türkei inhaftierten Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Deniz Yücel, nährte Regierungschef Binali Yildirim nun Hoffnung auf baldige Bewegung. In einem Interview der ARD-Tagesthemen, das am Mittwochabend gesendet werden sollte, sagte Yildirim laut einer Übersetzung des Senders: " Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird. Ich bin der Meinung, dass es in kurzer Zeit eine Entwicklung geben wird."
Der türkische Regierungschef wird am Donnerstag zu einem Besuch bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erwartet. Die Bundesregierung fordert die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten.
Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel traf sich nach eigenen Angaben in den "vergangenen Tagen und Wochen" wiederholt persönlich mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu, um über Deniz Yücel zu sprechen.
Roth warnt vor "schmutzigem Deal"
Zum Einlenken der türkischen Regierung sagte der Grünen-Außenpolitiker Omnid Nouripour gegenüber der Deutschen Welle: "Durch den massiven Konflikt mit den USA in Syrien erkennt die Türkei erst jetzt, wie schädlich der Fall Yücel für die Beziehung zu Deutschland ist. Die Haltung wächst, das Problem aus der Welt zu schaffen." Die Grünen-Politikerin Claudia Roth rief die Bundesregierung zu deutlichen Worten gegenüber der Führung in Ankara auf. In der "Frankfurter Rundschau" wandte sie sich gegen einen "schmutzigen Deal" im Fall Yücel. "Die Bundeskanzlerin muss deutlich machen, dass die anhaltende Haft ohne Anklage und der Abbau des Rechtsstaats in der Türkei nicht akzeptabel sind", verlangte die Bundestagsvizepräsidentin.
Konzessionen an Ankara lehnt auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter ab. "In erster Linie dient die andauernde Inhaftierung von Yücel der türkischen Regierung als Faustpfand, um auf anderen Feldern der Zusammenarbeit Zugeständnisse zu erpressen", sagte Kiesewetter der "Heilbronner Stimme".
Eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen ohne rechtsstaatliches Verfahren und Freilassung Yücels sei undenkbar, erklärte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber forderte unter anderem mit Blick auf die bislang nicht begründete Inhaftierung des Reporters ein Ende des EU-Beitrittprozesses.
se/sti (dpa, afp, epd)