1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikTürkei

Türkei: Verbündet mit dem Westen, befreundet mit Russland

24. Oktober 2024

Die Türkei, eines der ältesten NATO-Mitglieder, pflegt unter Präsident Erdogan dennoch eine strategische Freundschaft mit Putin. Will sich das Land vom Westen abwenden oder verfolgt es andere Ziele?

https://p.dw.com/p/4mAK4
Erdoğan und Putin schütteln sich die Hände und lächeln dabei beim BRICS-Gipfel in Kasan
Erdogan und Putin: Eine strategische Partnerschaft?Bild: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa/picture alliance

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war ein besonderer Gast beim 16. BRICS-Gipfel im russischen Kasan. Es war nicht das erste Mal, dass Erdogan an einem BRICS-Gipfel als Beobachter teilnahm, doch dieses Mal wurde seine Anwesenheit vor allem durch das Interesse der Türkei an einer BRICS-Mitgliedschaft besonders bedeutsam. Obwohl der Kreml vor einigen Wochen erklärte, Ankara habe einen formellen Antrag auf Aufnahme gestellt, dementierte die türkische Regierung dies zunächst. Außenminister Hakan Fidan stellte jedoch inzwischen klar: "Wir haben BRICS mitgeteilt, dass wir uns für eine Mitgliedschaft interessieren." Sollte die Türkei wirklich beitreten, wäre sie der erste NATO-Staat in dem nicht-westlichen Bündnis.

Überschattet vom Terroranschlag

Bei dem Gipfel in Kasan hat sich der türkische Präsident mit seinem russischem Amtskollegen Wladimir Putin zu einem bilateralen Gespräch getroffen. Das Treffen Putin wurde allerdings von einem Anschlag auf das türkisches Luft- und Raumfahrtunternehmen TUSAS in Ankara überschattet. Die Türkei macht die in den USA und der EU als Terrororganisation eingestufte PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) für den Anschlag verantwortlich.

Präsident Erdogan und Präsident Putin haben umgehend öffentlich ihre Solidarität gezeigt und den Anschlag gemeinsam verurteilt, wobei Erdogan Putin mehrfach "mein verehrter Freund" nannte. Putin wiederum hob die Rolle der Türkei bei der Bewältigung globaler Probleme hervor.

"BRICS bedeutet nicht 'weg von Europa'"

Innerhalb der NATO hält insbesondere die Türkei die Kommunikation zu Putin offen. Die Türkei ist nicht nur ein wichtiger NATO-Partner, sondern schützt auch die strategisch bedeutende Südostflanke des Bündnisses und stellt die zweitgrößte Armee in der NATO. Präsident Erdogan verfolgt seit Jahren eine zunehmend eigenständige Außenpolitik, die darauf abzielt, die Rolle der Türkei auf der globalen Bühne zu stärken.

"Die Vertiefung der Beziehungen zu Russland ist nur ein Teil der türkischen BRICS-Strategie. Das Gipfeltreffen in Kasan bietet zudem die Gelegenheit, sich mit den Staatschefs Chinas, Indiens sowie der eng mit der Türkei verbundenen Turk-Republiken Usbekistan und Aserbaidschan zu treffen, um regionale Projekte zu besprechen“, erklärt Zaur Gasimov, Experte für türkisch-russische Beziehungen und DAAD-Koordinator an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul.

In einer Rede vor seiner Fraktion machte Erdogan kürzlich deutlich, welche Außenpolitik die Türkei verfolge. Er betonte, dass es angesichts der regionalen Spannungen notwendig sei, ein Gleichgewicht in den internationalen Beziehungen zu wahren. Die Türkei werde weder dem Osten noch dem Westen den Rücken kehren, da dies eine Notwendigkeit für das Land sei.

Im Westen gibt es jedoch Kritik an diesem Ansatz. Viele NATO-Staaten sehen eine Mitgliedschaft in BRICS als potenziellen Konflikt mit den Prinzipien der NATO, da BRICS, insbesondere durch die führenden Mitglieder Russland und China, oft als Gegenpol zum Westen betrachtet wird. Dies wirft Fragen zur Vereinbarkeit einer NATO-Mitgliedschaft mit einer möglichen BRICS-Mitgliedschaft auf​

"Ich würde in einer möglichen BRICS-Mitgliedschaft der Türkei keine vermeintliche Umorientierung des Landes sozusagen 'weg von Europa' sehen", so Zaur Gasimov.  BRICS sei kein Militärbündnis und seine bisherige Infrastruktur liege hauptsächlich im Bankensektor. Zudem gebe es keine Armee oder militärische Übungen innerhalb der Organisation. Es sei daher nachvollziehbar, dass Ankara seine Außenpolitik - und vor allem seine außenwirtschaftlichen Beziehungen - diversifizieren wolle, so der Experte.

Putin lächelt vor dem Logo des Brics-Treffens
Der BRICS-Gipfel hat in Russland stattgefunden, Präsident Putin hat die Teilnehmer begrüßtBild: Alexander Nemenov/Pool via REUTERS

Der Westen wird hinterfragt

Eines der zentralen Argumente der türkischen Regierung bei der Suche nach alternativen internationalen Plattformen ist, dass die Türkei jahrzehntelang erfolglos vor der Tür der EU gestanden habe. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von BRICS, dessen Gründungsmitglieder - darunter Russland, China und Indien - die westliche Weltordnung zunehmend infrage stellen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Stimmung der Türkei wider, wo ebenfalls Zweifel am Westen laut werden.

"Heutzutage kritisiert die türkische Regierung kontinuierlich die EU, und selbst die Opposition verteidigt die EU nicht mehr", erklärt Berk Esen, Politikwissenschaftler an der Sabancı-Universität in Istanbul. Esen weist darauf hin, dass die Zugehörigkeit der Türkei zum Westen zunehmend hinterfragt wird. Zwischen den späten 1990er Jahren und Mitte der 2000er Jahre herrschte eine positive Wahrnehmung der EU in der Türkei vor." Heute sei die Unterstützung für die EU deutlich gesunken. Die USA, so Esen, werden in der Türkei sogar noch negativer wahrgenommen.

Die Türkei gehört… zu sich selbst

Laut Esen befindet sich die Türkei in einer Art "grauer Zone": Dass die Türkei dem BRICS-Bündnis betreten will, "darf nicht als automatische Unterstützung für Länder wie Russland oder China interpretiert werden", betont er. Im Gegensatz zu einigen osteuropäischen Ländern, die sich bewusst von der westlichen Welt abwenden und Russland annähern, verfolgt die Türkei eine andere Strategie. Sie entwickelt zunehmend eine Haltung, dass sie vor allem auf sich selbst vertrauen muss - eine Einstellung, die auf einem alten nationalistischen Sprichwort basiert: 'Der einzige Freund des Türken ist der Türke'."

Modi, Putin und Xi
Modi, Putin und Xi: Ankara liebäugelt schon seit mit möglichen Alternativen zu westlichen Institutionen und BündnissenBild: Alexander Kazakov/SNA/IMAGO

Russland hat nicht das beste Image

Während die Regierung ihre eigene außenpolitische Agenda verfolgt, ist Russland unter den Türken nicht wirklich populär. Laut einer Studie des türkischen Meinungsforschungsinstituts IstanPol von 2022 sehen viele Russland als "Feind" der Türkei im internationalen Kontext - neben den USA, Israel und Griechenland.

Laut einer Umfrage der Istanbuler Denkfabrik EDAM waren 2018 nur 27,4 Prozent der Türken für den Verbleib in der NATO, während diese Zahl 2021 auf 41,1 Prozent stieg. Die Unterstützung für eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland sank im gleichen Zeitraum drastisch von 22,1 Prozent auf nur zwei Prozent.

Auch wenn die Türkei außenpolitisch neue Wege erkundet, bleibt das Interesse vieler Türken an Berlin und London größer als an Moskau oder Beijing. Laut Berk Esen liegt das daran, dass viele Türken Europa und Nordamerika als bevorzugte Ziele für Bildung, Arbeit oder Auswanderung sehen, auch wenn sie die Politik dieser Länder gegenüber der Türkei kritisch betrachten.

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.