NATO-Partnerschaft unter Belastungsprobe
14. Februar 2018Die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Natürlich würde die türkische Armee nicht gezielt auf sie schießen, sagte Staatspräsident Erdogan im Hinblick auf die im nordsyrischen Manbidsch stationierten amerikanischen Soldaten. Bei der Vernichtung der Terroristen würde man aber mit denjenigen anfangen, die direkt neben ihnen stehen, drohte er den Amerikanern unmissverständlich in seiner Rede vor seiner AKP-Fraktion im türkischen Parlament in Ankara.
Mit Terroristen meint Erdogan die Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), die Manbidsch 2016 mit Unterstützung der US-geführten Koalition vom IS erobert hatten und seitdem etwa ein Viertel Syriens kontrollieren. Die amerikanische Unterstützung für die YPG - noch am Montag gab das Pentagon bekannt, in seinem Budget für 2019 mehr als eine halbe Milliarde Dollar für seine Verbündeten in Syrien bereitzustellen - ist der Türkei schon lange ein Dorn im Auge. Denn die Kurdenmiliz gilt als syrischer Ableger der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), mit der sich Ankara seit den 1980er Jahren im Krieg befindet und die in der Türkei, der EU und mehreren anderen westlichen Staaten als Terrororganisation gilt.
Für die Amerikaner hat aber der Kampf gegen den IS oberste Priorität. Deshalb haben sich US-Verteidigungsminister Mattis und Außenminister Tillerson in den vergangenen Tagen wiederholt darüber beklagt, dass die türkische Militäroperation gegen die YPG im nordwestsyrischen Afrin vom Kampf gegen den IS ablenke. Laut Mattis haben die Kurden bereits etwa die Hälfte ihrer Kämpfer aus den Gebieten in Ostsyrien abgezogen, in die sich der IS nach seinen großen Gebietsverlusten zurückgezogen hat.
Grünes Licht für Afrin, rote Karte für Manbidsch
Dabei haben die Amerikaner der türkischen Invasion in Afrin zugestimmt, wenn auch indirekt. Wenige Tage vor Beginn der Militäroperation "Olivenzweig" am 20.01.2018, erklärte Pentagon-Sprecher Major Adrian Galloway gegenüber der türkischen Presseagentur Anadolu, das amerikanische Verteidigungsministerium betrachte die YPG-Einheiten in der kurdische Exklave nicht als Teil der Anti-IS-Operationen, es würde sie weder unterstützen noch stünde es sonst wie mit ihnen in einer Beziehung.
Mit Manbidsch, das etwa 100 km Luftlinie östlich von Afrin liegt, verhält es sich jedoch anders. Bereits vor einem Jahr haben die USA Soldaten in der Gegend stationiert, um einen bevorstehenden Angriff der von der Türkei unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA) auf die von den Kurden kontrollierte Stadt zu verhindern. Bisher mit Erfolg. Die türkische Drohkulisse scheinen die Amerikaner dennoch ernst zu nehmen: Noch vergangene Woche wurde der oberste US-General in der internationalen Koalition gegen den IS, Paul Funk, bei einem Besuch in Manbidsch zitiert, die US-Soldaten würden im Falle eines Angriffs seitens der Türkei hart reagieren.
Dass sie es nicht bei Worten belassen werden, haben die Amerikaner vor einer Woche an einer anderen Front gezeigt: bei einem Angriff von regimetreuen Einheiten auf das lokale Hauptquartier der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) im ostsyrischen Deir as-Sur - die SDF ist eine von den Amerikanern aus Imagegründen geschaffene multiethnische Koalition, die aber zu über 90 Prozent aus Kämpfern der YPG besteht - tötete die US-Luftwaffe im bisher schwersten militärischen Zwischenfall zwischen Washington und Damaskus mehr als 100 Angreifer. Direkt im Anschluss versicherten die USA, sie würden ihre Verbündeten weiter und in anderen Gebieten in Syrien verteidigen. Ein klare Botschaft Richtung Ankara, das mehrmals verkündet hat, sich nicht nur mit Afrin und Manbidsch begnügen zu wollen, sondern mit der YPG entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze aufzuräumen.
Echte Eskalationsbereitschaft oder bloße Rhetorik?
Unklar ist dabei, wie weit jede Seite bereit ist zu gehen, um ihre Interessen durchzusetzen: Die USA wollen eine dauerhafte militärische Präsenz in Syrien sichern, was nur in den von den Kurden kontrollierten Gebieten möglich ist. Im Gegenzug dazu wollen sie die Kurden dabei unterstützen, eine eigene politische Entität in Syrien als vollendete Tatsache durchzusetzen und eine 30.000 Mann starke Armee aufzubauen. Die Türkei hingegen sieht darin eine massive Bedrohung der nationalen Sicherheit, weil sie dadurch eine Befeuerung der Abspaltungstendenzen unter der eigenen kurdischen Bevölkerung fürchtet.
Ob es tatsächlich zu einer militärischen Konfrontation beider NATO-Partner kommen kann, hängt zu einem großen Teil vom Verlauf der türkischen Operation in Afrin ab. In fast einem Monat haben die türkische Armee und ihre Verbündeten von der FSA nur 17 Dörfer in Grenznähe erobert, dabei aber laut der oppositionsnahen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 210 Soldaten und Milizionäre verloren. Im Gegenzug dazu will sie aber mehr als 1500 Kämpfer der YPG neutralisiert haben. Überprüfen lassen sich beide Angaben nicht.
Und auch wenn die türkische Armee ihr schleppendes Vorankommen damit begründet, dass die YPG Zivilisten als Schutzschilde missbrauche und sie selbst darauf achte, Opfer unter Zivilbevölkerung zu vermeiden, hat die syrische Beobachtungsstelle bisher mehr als 70 tote Zivilisten gezählt. Weil die YPG ihre Stellungen in Afrin zwei Jahre lang aufgebaut hatte und gut gerüstet ist, ist davon auszugehen, dass diese Zahlen erheblich steigen werden und die Türkei intern und international unter erheblichen Druck setzen werden. Für diesen Fall existiert auch schon eine Exit-Strategie: Der stellvertretende russische Außenminister Michael Bogdanow schlug laut dem russischen Nachrichtenportal Sputnik vor, die Schaffung einer fünften Deeskalationszone in Syrien in der kommenden Astana-Konferenz zu untersuchen, mit Afrin als Mittelpunkt.