Ankara schwört Treue
3. September 2016Wie ein Dompteur umkreist die EU zurzeit die Türkei: Mit freundlichen Lockrufen und wohldosierten Leckerbissen sucht sie ihren schwierigen Partner zu motivieren, durch den Reifen zu springen. Doch immer winkt da auch die Peitsche. Jetzt hat Ankara sich immerhin in die gewünschte Richtung gedreht. Der türkische Europaminister Omer Celik zeigte sich bei den Außenministern der EU in Bratislava als Partner und versprach, trotz aller Spannungen werde sein Land am Flüchtlingsabkommen festhalten.
Das frühere Grollen, der Pakt könnte platzen, falls die EU die Forderungen vom Bosporus nicht erfülle, sprich: die Visumfreiheit für Türken einführe, scheint vergessen. Das war die gewünschte Antwort auf den Teppich, den die Chefdiplomaten der Europäischen Union ausgerollt hatten, indem sie mit Celik den ersten türkischen Regierungsvertreter seit dem gescheiterten Militärputsch trafen.
"Zu wenig Empathie"
Mehrfach hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sich beklagt, nach dem Umsturzversuch habe es an europäischer Solidarität gefehlt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier räumte nun ein, die EU könnte in der Kommunikation Fehler gemacht haben: "Vielleicht müssen wir selbstkritisch zugeben, dass die Empathie und die Emotionalität dieser Anteilnahme und dieser Solidaritätsbekundung nicht in der notwendigen Intensität in der Türkei angekommen ist."
Doch die roten Linien bleiben - darauf legte auch Steinmeier Wert. Der Putschversuch könne kein Grund sein, auf jegliche Kritik zu verzichten. Er und seine Kollegen mahnten an, bei der Aufarbeitung der blutigen Nacht müsse sich Ankara an rechtsstaatliche Standards halten. Viele Fragen seien offen, fügte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hinzu: "Es sind 130.000 Angestellte, die ihre Arbeit verloren haben, es sind so viele Richter, die nicht mehr im Amt sind, es sind Journalisten im Gefängnis - hier sind die Antworten noch spärlich."
"Sie haben meine Frau als Geisel"
Und dann kommt doch wieder ein leises Grollen von türkischer Seite: Dass seine Regierung zum jetzigen Zeitpunkt die von der EU geforderten Änderungen an den Terrorgesetzen vornehme, sei ausgeschlossen, so Celik. Die Europäische Union ist in Sorge, dass die scharfen Durchgriffsrechte nicht allein auf Terroristen zielen, sondern auch auf Oppositionelle und andere Kritiker der zunehmend autokratisch agierenden Staatsführung. Immer neue Beispiele nähren derlei Befürchtungen.
So teilt der frühere "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar auf Twitter mit, seiner Frau sei der Reisepass abgenommen worden - und sie sei daran gehindert worden, nach Deutschland zu fliegen. "Sie haben meine Frau als Geisel genommen", so Dündar, der wegen eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an Dschihadisten zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden war und sich vermutlich ins Ausland abgesetzt hat. Nach dem Putschversuch vom 15. Juli und der Ausrufung des Ausnahmezustands habe er kein Vertrauen mehr in die Justiz, erklärte der Journalist im August.
"Wir können nicht die Augen zumachen"
Die EU sieht all dies - aber auch, dass die Türkei "ein Schlüsselland" ist, wie Außenminister Steinmeier mit Blick auf die Flüchtlingskrise und den Syrien-Konflikt betonte. Die Europäer hätten "ganz klar gesagt, wir wollen diplomatisch und politisch wieder auf ein normales Gleis kommen", sagte sein Kollege Asselborn. "Wir können aber nicht einfach die Augen zumachen, was die Rechtsstaatlichkeit angeht."
Der türkische Minister Celik ließ bei allen sanften Tönen durchblicken, dass er noch ein Ass im Ärmel habe. Die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens laufe bisher gut, sagte er. Ankara und die EU hatten im März vereinbart, dass die Türkei alle Flüchtlinge zurücknimmt, die auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen und deren Asylanträge abgelehnt wurden. Im Gegenzug lässt die EU für jeden abgeschobenen Syrer auf legalem Wege einen anderen syrischen Flüchtlinge aus der Türkei einreisen.
Sollte sich die Lage in Syrien oder im Irak indes verschlechtern, warnte Celik, dann könnten die bisherigen Vereinbarungen nicht ausreichen - und "noch stärkere Mechanismen zwischen der Türkei und der EU" würden nötig. Ohne die Visa-Liberalisierung werde seine Regierung allerdings nicht darauf erpicht sein, neue Verpflichtungen einzugehen.
Diplomatischer Eiertanz
Die EU versucht - wie zuletzt die Bundesregierung mit ihrer Erklärung zur Armenien-Resolution -, innenpolitisch möglichst wenig Porzellan zu zerschlagen und der Türkei zugleich sanft auf die Sprünge zu helfen, indem man Ankara da und dort einen Schritt entgegengeht. Aber trotz aller diplomatischer Finessen verhält es sich damit ähnlich wie in der Manege: Am Ende entscheidet der Löwe immer selbst, ob er springt.
jj/cw (dpa, afp)