Türken kehren Deutschland den Rücken
30. Oktober 2011Ein kleines Büro am Rande der Hamburger Speicherstadt. Ibrahim Ciftci hat die Beine übereinander geschlagen und die Hände vor der Brust gefaltet: "Wie ich erfahren habe, wollen Sie künftig in der Türkei arbeiten. Was sind ihre Beweggründe?"
Ciftci arbeitet für die Personalberatung "Career Job Agents". Sein Spezialgebiet: Hochqualifizierte ins Ausland und vor allem in die Türkei vermitteln. Vor ihm sitzt Bülent Eren*. Der 34-Jährige arbeitet seit sieben Jahren in einem Unternehmen im Marketing und will sich "weiterentwickeln". Als "beschränkt" schätzt er seine augenblicklichen Möglichkeiten ein und fügt hinzu: "Leider!"
Die Anerkennung fehlt
Eren hat die Hauptschule besucht. Über Fortbildungen und ein Studium hat er es dann bis zum Betriebswirt gebracht. In der Türkei rechnet er sich mit seiner Qualifikation gute Chancen aus. Auch weil er pünktlich und zuverlässig sei.
Rund 4500 deutsche Unternehmen gibt es derzeit in der Türkei, sagt Personalberater Ciftci. Auch er sieht dort für Bewerber Eren gute Möglichkeiten. Frust türkischstämmiger Mitarbeiter über mangelnde Anerkennung in Deutschland sind für ihn keine Seltenheit: "Gut qualifizierte türkische Mitarbeiter kommen hier oft nicht weiter nach oben oder sie werden gar nicht erst eingestellt", stellt er immer wieder fest.
Auswandern trotz schlechterer Bedingungen
Eine aktuelle Studie des Allensbach Instituts scheint Ciftci Recht zu geben. Danach kommen in Deutschland nur sechs Prozent der Topmanager aus dem Ausland. Seit 2006 wandern mehr Türken aus Deutschland aus, als zuwandern. 2010 lag die Differenz bei etwa 6000 Menschen. Er hat nach eigenen Angaben bereits ein Dutzend Hochqualifizierte in die Finanz- und Energiebranche vermittelt.
Auch wenn er von der Personalvermittlung lebt: Auswandern sei ein großer Schritt und sollte wohl überlegt werden, sagt Ciftci, denn in der Türkei sei auch nicht alles besser: "Dort haben die Mitarbeiter nur maximal 15 Urlaubstage, in Deutschland haben wir hier 24." Und auch der Verdienst sei deutlich geringer.
Nicht nur die Gesetze ändern
Bewerber Eren kümmert das wenig. Sein Entschluss steht fest. Er ist ungebunden, flexibel, ehrgeizig und enttäuscht. Zu oft habe er in seinem derzeitigen Unternehmen erlebt, wie Bewerber mit ausländischem Namen aussortiert wurden. "Wenn dort jemand den gleichen Lebenslauf hat, die gleichen Qualifikationen, dann wird eher einer ohne Migrationshintergrund vorgezogen." Eren will nicht von Rassismus sprechen, aber man merkt ihm deutlich an, dass er sich zurückgesetzt fühlt.
Dabei beklagt sich die deutsche Wirtschaft hierzulande ständig über Fachkräftemangel. Zum Teil könnte der ab 2012 mit dem neuen Anerkennungsgesetz von Berufsabschlüssen behoben werden. Das hofft zumindest die Bundesregierung. Das allein wird aus Erens Sicht aber nicht reichen. Auch in den Köpfen müsse sich etwas ändern, sagt er.
*Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Autorin: Kathrin Erdmann
Redaktion: Michael Borgers