Türkische Gemeinde kritisiert Ankara
19. Februar 2017"Die Regierung der Türkei macht eine Kampagne, bei der Gegner der (Verfassungs)-Reform als Staatsfeinde oder Terroristen denunziert werden", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, den Zeitungen der Essener Funke-Mediengruppe. Er appelliere an die Türken in der Bundesrepublik, sich kritisch mit der Reform in der Türkei auseinanderzusetzen und sich die Demokratie der deutschen Verfassung zum Vorbild zu nehmen. Die Türkei erinnere ihn derzeit "eher an eine Autokratie" als an eine Demokratie, sagte Sofuoglu.
Dass Regierungschef Binali Yildirim in Nordrhein-Westfalen auftreten durfte, hält Sofuoglu dennoch für richtig. "Es ist in Ordnung, dass der türkische Ministerpräsident in Deutschland für die Verfassungsänderung wirbt", sagte er. In einer Demokratie müsse dies möglich sein, "auch wenn die geplante Reform in der Türkei das Land noch weiter von einer Demokratie entfernt".
AKP umwirbt Auslandstürken
Zwei Monate vor dem Referendum über die umstrittene Verfassungsänderung in der Türkei hatte Yildirim am in Oberhausen bei einem Auftritt vor tausenden Türken für das Präsidialsystem geworben. Die Veranstaltung, die im Vorfeld für scharfe Kritik in Deutschland gesorgt hatte, stand unter dem Motto "Wer sein Land liebt, sagt Ja".
Mit der Verfassungsreform will Präsident Recep Tayyip Erdogan das parlamentarische System durch ein Präsidialsystem ersetzen. Das neue System würde dem Staatschef mehr Machtbefugnisse einräumen und das Parlament schwächen.
An der Volksabstimmung darüber am 16. April dürfen sich auch knapp 1,5 Millionen in Deutschland lebende türkische Staatsbürger beteiligen. Sie sind damit die größte Wählergruppe außerhalb der Türkei. Erdogan und die AKP konnten bislang auf die Auslandstürken bauen. Bei den Parlamentswahlen im November 2015 stimmten sie mit knapp 60 Prozent für die AKP. Das ist deutlich mehr Zustimmung, als Erdogans Partei damals in der Türkei bekam. Dort lag die Zustimmung bei rund 50 Prozent.
Solidarität mit Yücel
Sofuoglu kritisierte auch die Festnahme des Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Deniz Yücel. "Es ist entsetzlich, dass Journalisten in der Türkei aufgrund ihrer Arbeit verhaftet werden. Jetzt erleben wir, dass diese Verfolgung auch vor deutschen Journalisten nicht Halt macht." Erdogan übe sich gerade in "Trump-Manier", sagte Sofuoglu. Yücel wird unter anderem Terrorpropaganda vorgeworfen. Der 43-Jährige hatte - wie andere auch - über eine Affäre berichtet, in die der Schwiegersohn von Präsident Erdogan verwickelt ist. Yücel hat die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit. Er ist der erste deutsche Journalist, der seit Verhängung des Ausnahmezustandes in der Türkei in Polizeigewahrsam genommen wurde.
qu/jj (apf, epd, dpa)