Journalisten: Anklage wegen "Terror-Propaganda"
4. August 2015Die Staatsanwaltschaft in Istanbul hat mehrjährige Haftstrafen für die 18 angeklagten Journalisten gefordert. Unter den Reportern, die für neun verschiedene Zeitungen arbeiten, ist auch der Chefredakteur der populären Oppositionszeitung "Cumhuriyet", Can Dundar. Ihm und den anderen Journalisten wird "terroristische Propaganda" vorgeworfen, weil sie bei der Geiselnahme von Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz im März ein Foto des Täters veröffentlicht hatten, der seinem Opfer eine Pistole an den Kopf hält.
Geiselnahme im Gericht
Das Verbrechen hatte im Frühjahr über die Grenzen der Türkei hinweg für Aufsehen gesorgt. Mitglieder der verbotenen linksextremen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hatten den Juristen im Gerichtsgebäude in Istanbul in ihre Gewalt gebracht. Nach neun Stunden beendeten Sondereinheiten der Polizei die Geiselnahme. Die Sicherheitskräfte erschossen zwei Kidnapper. Der Staatsanwalt wurde bei den Schusswechseln schwer verletzt und starb kurz darauf im Krankenhaus. Die genauen Umstände wurden nie publik gemacht.
Selim Kiraz hatte wegen des Todes von Berkin Elvan ermittelt: Einem 15-jährigen Jungen, der im Juni 2013 bei den Demonstrationen im Gezi-Park in Istanbul auf dem Weg zum Bäcker von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen wurde. Nach 269 Tagen im Koma verstarb er.
Mehr als sieben Jahre Gefängnis
Den betroffenen Journalisten drohen im schlimmsten Fall siebeneinhalb Jahre Gefängnis. Der in der Türkei prominente Dundar reagierte mit scharfer Kritik auf die hohe Strafforderung der Staatsanwaltschaft. Seine Zeitung sei gegen "jegliche terroristische Organisationen", machte er deutlich. Er verwies darauf, dass türkische Medien Hinrichtungsvideos von Geiseln der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) ausstrahlen könnten, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen zu fürchten hätten. "Aber wenn Sie ein Foto einer Geisel der DHKP-C veröffentlichen, drohen Ihnen siebeneinhalb Jahre Gefängnis", protestierte Dundar.
EU warnt vor Gefährdung des demokratischen Dialogs
Kritiker im In- und Ausland werfen der türkischen Regierung seit längerem vor, die Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit in dem EU-Bewerberland immer enger zu ziehen. Präsident Recep Tayyip Erdogan geht seit seiner Wahl im vergangenen Jahr gerichtlich gegen Journalisten, Aktivisten und Studenten vor, von denen er sich beleidigt fühlt.
Angesichts dieser Entwicklung und angesichts der Eskalation der Gewalt zwischen der Staatsmacht und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat die EU Ankara aufgefordert, den demokratischen politischen Dialog im Land nicht zu gefährden. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn erklärte im Gespräch mit dem türkischen Europaminister Volkan Bozkir, die EU erkenne das Recht der Türkei an, "auf jede Form von Terrorismus zu reagieren". Aber die EU sei auch in großer Sorge angesichts der jüngsten Gewalt, die "eine rein negative Auswirkung auf den Friedensprozess zwischen den Kurden und der Türkei" habe. Bei zwei Anschlägen in der südosttürkischen Provinz Sirnak wurden am Dienstag drei Soldaten getötet. Die Taten werden PKK-Kämpfern zugeschrieben.
se/jj (afp, dpa)