Aktuell: Geheimdienstchef und Staatsanwältin verlieren Job
17. Juli 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj feuert zwei enge Mitarbeiter
- Präsident Selensky will Rückeroberung Schritt für Schritt
- Papst ruft alle Akteure zu Verhandlungen auf
- Getreidewaggons rollen nach Russland
- Bundeskanzler Scholz wirbt für eine "geopolitische Europäische Union"
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj entlässt den Leiter des Staatssicherheitsdienstes und die Generalstaatsanwältin. Eine entsprechende Anordnung wird auf der Webseite des Präsidenten veröffentlicht. Eine Begründung für die Entlassungen liegt bislang nicht vor.
Der Chef des Staatssicherheitsdienstes, Iwan Bakanow, ist ein Jugendfreund Selenskyjs. Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa war für die Verfolgung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine zuständig.
Russisches Militär spricht von Erfolgen
Das russische Militär hat nach eigenen Angaben bei neuen Angriffen in der Ukraine zahlreiche von den USA und anderen NATO-Staaten gelieferte Waffen zerstört. In Odessa am Schwarzen Meer sei ein Depot mit Harpoon-Raketen und im Gebiet Donezk ein von den USA gelieferter Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars vernichtet worden, teilte der Sprecher der russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, in seinem täglichen Briefing mit.
Überprüfbar von unabhängiger Seite waren diese Angaben nicht. Experten weisen darauf hin, dass die Himars-Systeme nur schwer zu orten und zu zerstören sind.
Moskau: Viele ukrainische Soldeten in Charkiw getötet
In der Region Charkiw hätten die russischen Streitkräfte mit der Luftabwehr vom Boden aus einen Kampfjet vom Typ Suchoi Su-25 sowie in der Region Slowjansk im Gebiet Donezk mit einem Jagdflugzeug einen Kampfhubschrauber vom Typ Mi-17 abgeschossen. Im Gebiet Charkiw seien etwa 200 ukrainische Soldaten bei den Angriffen getötet worden, sagte Konaschenkow.
Auch der ukrainische Generalstab in Kiew hatte am Morgen von massivem Beschuss vor allem mit Artillerie berichtet.
Selenskyj will verlorenes Terrain zurückerobern
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Absicht bekräftigt, von Russland besetzte Gebiete seines Landes zurückzuerobern. "Es ist uns bereits gelungen, einen Teil des nach dem 24. Februar besetzten Territoriums zu befreien", sagte Selenskyj in der Nacht zum Sonntag in seiner täglichen Videoansprache. "Nach und nach werden wir auch andere Regionen unseres Landes befreien, die zurzeit besetzt sind."
Knapp fünf Monate nach Kriegsbeginn hatte die Ukraine zuletzt Gegenoffensiven im Süden gestartet und etwa vor einigen Tagen in der Region Cherson ein russisches Munitionslager beschossen.
Selenskyj warf Russland vor, im Krieg gegen sein Land gezielt Falschnachrichten als Waffe einzusetzen. Die Ukrainer bräuchten "eine Art emotionaler Souveränität", um dieses "Informationsspiel" nicht mitzuspielen, sagte er. Unwahrheiten etwa über angeblich vorbereitete Raketenangriffe verfolgten nur einen Zweck: "den Raketen- und Artillerie-Terror gegen unseren Staat durch Informationsterror zu ergänzen".
Russen verstärken Stellungen im besetzten Süden
Das russische Militär verstärkt nach britischen Angaben seine Verteidigungsstellungen in den besetzten Gebieten im Süden der Ukraine. Truppen und Ausrüstung würden zwischen Mariupol und Saporischschia sowie in der Region Cherson aufgestockt, teilt das Außenministerium in London unter Bezug auf den jüngsten Bericht des militärischen Geheimdienstes Großbritanniens mit. Auch in Melitopol würden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.
Raketenbeschuss vom Kaspischen Meer aus
Russland hat die Ukraine nach Angaben aus Kiew von der Region des Kaspischen Meeres aus mit Raketen beschossen. Vier von insgesamt sechs Raketen seien über den Gebieten Dnipro im Osten und Saporischschja im Süden abgefangen worden, teilten die ukrainischen Luftstreitkräfte mit. Zwei weitere seien auf landwirtschaftlich genutztem Gebiet in der zentralukrainischen Region Tscherkassy eingeschlagen. Der Schaden werde noch untersucht.
An das Kaspische Meer grenzen neben Russland unter anderen auch die Südkaukasus-Republik Aserbaidschan und das zentralasiatische Kasachstan. Nach ukrainischer Darstellung sollen bei dem Beschuss Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95 zum Einsatz gekommen sein. Aus Moskau gab es zunächst keine Bestätigung. Russland hatte zuvor allerdings angekündigt, knapp fünf Monate nach Kriegsbeginn die Angriffe auf das Nachbarland wieder ausweiten zu wollen. Nachdem bereits am Freitag zwischenzeitlich in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgelöst worden war, heulten die Sirenen auch am Samstag wieder in fast allen Landesteilen.
Saporischschja weiter unter ukrainischer Kontrolle
Russland hatte nach Beginn des Einmarsches in die Ukraine im Februar schnell den südlichen Teil der Region Saporischschja mit dem dort befindlichen Hafen Berdjansk am Asowschen Meer erobert. Der Vormarsch nach Norden wurde allerdings gestoppt, so dass die Gebietshauptstadt Saporischschja selbst weiterhin unter der Kontrolle Kiews steht. Nach Angaben aus Kiew stecken durch den russischen Angriff und die Seeblockade im Schwarzen Meer mehr als 20 Millionen Tonnen ukrainisches Getreide fest.
Papst ruft zu Verhandlungen auf
Papst Franziskus hat zu Verhandlungen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aufgerufen. "Wie kann man nur nicht verstehen, dass Krieg nur Zerstörung und Tod schafft, das Volk trennt sowie die Wahrheit und den Dialog tötet", fragte das katholische Kirchenoberhaupt nach dem traditionellen Angelus-Gebet vor Gläubigen und Besuchern in Rom. "Ich bete und hoffe, dass alle internationalen Akteure anfangen, die Verhandlungen wiederaufzunehmen und nicht die Sinnlosigkeit des Krieges nähren", sagte der 85 Jahre alte Argentinier weiter.
Der Pontifex plant, wegen des Krieges in die ukrainische Hauptstadt Kiew zu reisen. Einen Termin gibt es dafür allerdings noch nicht.
100 Waggons mit Getreide rollen Richtung Russland
Die prorussische Verwaltung einer Region im Südosten der Ukraine führt nach eigenen Angaben in großem Umfang Getreide aus. "Mehr als 100 Waggons wurden bereits abgeschickt, ein weiterer Vertrag über 150.000 Tonnen wurde mit einem Getreidehändler abgeschlossen", teilte der Chef der russischen Militärverwaltung von Saporischschja, Jewgeni Balizki, auf seinem Telegram-Kanal mit. Die Ukraine wirft Russland bereits seit Monaten Getreidediebstahl vor.
Balizki machte keine Angaben dazu, wohin das Getreide gebracht werden soll. Per Bahn kann das Getreide aber nur nach Russland oder auf die von Russland seit 2014 annektierte Halbinsel Krim transportiert werden. In einem vor Ort typischen Eisenbahnwaggon können ukrainischen Angaben zufolge rund 70 Tonnen Getreide transportiert werden. Laut Balizki ist neben dem Eisenbahntransport aber auch die Verschiffung über den Seeweg geplant. "Etwa 100.000 Tonnen werden über den Seehafen Berdjansk exportiert", kündigte er an.
Scholz will eine "geopolitische Europäische Union"
Bundeskanzler Olaf Scholz setzt sich als Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für eine stärkere und "geopolitische Europäische Union" ein. In einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt der SPD-Politiker, die EU müsse ihre Reihen auf allen Feldern schließen, auf denen sie bisher uneinig gewesen sei: "Bei der Migrationspolitik etwa, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz". Er kündigte dazu konkrete Vorschläge der Bundesregierung "in den nächsten Monaten" an.
Anzeichen für stagnierende Gaspreise?
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sieht Hinweise darauf, dass die Gaspreise vorerst nicht weiter steigen werden. "Es hat in dieser Woche keinen signifikanten Preissprung mehr gegeben, obwohl Nord Stream 1 abgeschaltet wurde", sagte Müller der Zeitung "Bild am Sonntag". Das könne bedeuten, dass die Märkte "den Ausfall russischer Gas-Lieferungen bereits eingepreist und wir ein
Gas-Preis-Plateau erreicht haben". Ob diese höheren Preise, "die wir der russischen Gas-Reduzierung verdanken", kurzfristig weitergegeben werden müssten, sei noch nicht entschieden.
Müller sagte weiter, im Fall einer Gas-Mangellage müsse sich Deutschland seinen Nachbarstaaten gegenüber solidarisch verhalten. Das bedeute, dass im Notfall auch Gas aus deutschen Speichern für die Versorgung der kritischen Infrastruktur in anderen Ländern bereitgestellt werden müsse.
Seit Juni deutlich weniger Gas geliefert
Im Juni hatte der russische Energiekonzern Gazprom die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 in der Ostsee deutlich gedrosselt und dies mit einer fehlenden Turbine begründet, die in Kanada gewartet wurde. Wegen der infolge des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen weigerte sich Kanada zunächst, die Turbine an Russland zurückzugeben. Dann wurde das Aggregat an Deutschland weitergereicht. Der zuständige Siemenskonzern versicherte, man werde die Turbine zügig wieder einbauen.
Seit Montag wird durch Nord Stream 1 wegen turnusmäßiger Wartungsarbeiten kein Gas mehr geliefert. Die Arbeiten sollen bis zum 21. Juli dauern. Mehrere westliche Politiker sind skeptisch, ob Russland anschließend wieder Gas durchleiten wird.
nob/as/se/AR/haz/ack (dpa, rtr, afp, ap)