Ukraine aktuell: Öltanks in Sewastopol unter Beschuss
29. April 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Treibstofftank auf der Krim in Brand
- Wagner-Chef droht mit Abzug aus Bachmut
- Tschechien und Slowakei befürworten EU- und NATO-Beitritt der Ukraine
- Streit in der EU über ukrainische Agrarimporte beigelegt
- Botschafter Makeiev erbittet mehr Waffen
Bei der Explosion eines Treibstofflagers in Sewastopol auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim sind nach Angaben des Militärgeheimdienstes der Ukraine zehn Öltanks zerstört worden. "Ihr Gesamtvolumen beträgt etwa 40.000 Tonnen", sagte Behördensprecher Andrij Jussow. "Das ist Gottes Strafe speziell für die getöteten Bürger in Uman, unter denen fünf Kinder sind", sagte er Bezug nehmend auf einen russischen Raketenangriff in der Nacht zuvor.
Die Explosion in Sewastopol wurde mutmaßlich durch einen ukrainischen Drohnenangriff ausgelöst. Konkret hat die Ukraine die Verantwortung für den Anschlag nicht übernommen. Gleichzeitig betonte Jussow, dass die Explosionen weitergingen. Das Treibstoffreservoir war nach seinen Angaben für die auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte bestimmt.
Das Depot war am Samstagmorgen kurz nach vier Uhr früh explodiert. Der Gouverneur von Sewastopol, Michail Raswoschajew, teilte mit, es sei Feuer auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern ausgebrochen. Der Brand wurde der höchsten Gefahrenstufe zugeordnet. Stundenlang waren Dutzende Löschfahrzeuge im Einsatz, auch ein Eisenbahn-Löschzug und Ressourcen der Schwarzmeerflotte wurden zur Brandbekämpfung eingesetzt. Erst nach 15 Uhr Ortszeit (14 Uhr MEZ) meldete der Gouverneur von Sewastopol, Michail Raswoschajew, dass die Flammen gelöscht seien.
Nach seinen Angaben wurde das Feuer durch eine mit Sprengstoff bestückte Drohne ausgelöst. Eine zweite Drohne sei beim Anflug mit Schusswaffen vom Himmel geholt worden. Ihre Reste seien unweit der Reservoirs gefunden worden.
Die Ukraine hat mehrfach angekündigt, die seit 2014 annektierte Krim von russischer Besatzung zu befreien. In verschiedenen Teilen der Halbinsel kam es im Zuge von Russlands Angriffskrieg gegen das Nachbarland zu Zwischenfällen mit Drohnen, teils mit schweren Schäden, Verletzten und auch Toten.
Russisch besetztes Nowaja Kachowka heftig beschossen
Die von Russland besetzte Stadt Nowaja Kachowka im Süden der Ukraine ist nach Angaben der örtlichen Behörden unter heftigen Beschuss geraten. Die ukrainischen Truppen hätten die Stadt mit "intensivem Artilleriefeuer" angegriffen, woraufhin der Strom ausgefallen sei, teilte die pro-russische Stadtverwaltung mit. Sie appellierte an die Einwohner, "ruhig zu bleiben". Die Arbeiten zur Wiederherstellung der Stromversorgung sollten beginnen, "nachdem der Beschuss aufhört".
Nowaja Kachowka liegt in jenem Teil der Region Cherson, der von Russland kontrolliert wird. Die Stadt befindet sich etwa 85 Kilometer von der gleichnamigen Regionalhauptstadt Cherson entfernt, aus welcher sich die russischen Truppen im November vor einer ukrainischen Gegenoffensive zurückgezogen hatten.
Nowaja Kachowka war von den russischen Truppen bereits am 24. Februar vergangenen Jahres eingenommen worden, dem ersten Tag der Offensive im Nachbarland. In der am Dnipro-Fluss gelegenen Stadt befindet sich eine wichtige Wasserkraft-Talsperre.
Wagner-Chef droht mit Abzug aus Bachmut
Der Chef der russischen Söldnereinheit Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat wegen der hohen Verluste aufgrund mangelnder Versorgung mit dem Abzug seiner Truppen aus der umkämpften Stadt Bachmut gedroht. "Jeden Tag haben wir stapelweise tausend Leichen, die wir in den Sarg packen und nach Hause schicken", sagte Prigoschin in einem Interview mit dem russischen Militärblogger Semjon Pegow.
Die Verluste seien wegen der fehlenden Artilleriemunition fünfmal so hoch wie nötig, klagte er. Er habe einen Brief an Verteidigungsminister Sergej Schoigu verfasst, um schnellstens Nachschub zu erhalten. Werde das Munitionsdefizit nicht beseitigt, seien seine Männer gezwungen sich entweder organisiert zurück zu ziehen oder zu sterben, sagte der 61-Jährige. Vermutlich sei er gezwungen, einen Teil seiner Truppen abzuziehen, doch das würde dann dazu führen, dass die Front auch an anderen Stellen einbreche, warnte er.
Um Bachmut im Osten der Ukraine wird seit Monaten gekämpft. Die Verluste sind beiderseits hoch, zuletzt hielten die ukrainischen Verteidiger nur noch einen kleinen Teil im Westen der Stadt unter ihrer Kontrolle. Die ukrainische Armee sei zur Gegenoffensive bereit. Sie warte nur noch auf besseres Wetter, damit der weiche Boden sie nicht am Vorwärtskommen hindere. Prigoschin prognostiziere einen Beginn der Offensive bis zum 15. Mai. Zugleich erneuerte er seine scharfe Kritik an der Führung des russischen Militärs. Dem fehle es an Disziplin und Organisation. Prigoschin kann sich die Kritik erlauben, weil er als Vertrauter von Russlands Präsident Wladimir Putin gilt.
Prag und Bratislava stärken Kiew den Rücken
"Die Mitgliedschaft der Ukraine in EU und NATO ist für uns keine Frage des Ob, sondern des Wann", teilte Tschechiens neuer Präsident Petr Pavel mit - nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Präsidentin der Slowakei, Zuzana Caputova, versicherte: "Es ist mir eine Ehre, Ihnen unsere Unterstützung auszudrücken." Mit der Ukraine verbinde man eine gemeinsame Zukunft.
Neben Kiew hatten die beiden auch vom Krieg stark betroffene Vororte der ukrainischen Hauptstadt besucht. In Butscha sagte Pavel dem tschechischen TV-Sender CT24, er zweifele nicht daran, dass Russland absichtlich zivile Ziele angreife. "Navigationsfehler oder fehlerhafte Zieleingaben kann es manchmal geben. Aber bei so einer großen Zahl ist das einfach kein Fehler mehr. Da steckt eindeutig ein Plan dahinter: Chaos und Schrecken in der Zivilbevölkerung auslösen, damit sie Druck auf die Regierung zum Nachgeben ausübt." Die Ukrainer und ihre Verbündeten hätten sich aber dadurch nicht beugen lassen, sagte Pavel.
Streit in der EU über ukrainische Agrarimporte beigelegt
Die EU-Kommission hat sich eigenen Angaben zufolge mit fünf osteuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Streit über Agrarimporte aus der Ukraine geeinigt. Die EU-Kommission habe mit Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei "eine grundsätzliche Einigung über Agrar- und Lebensmittelprodukte aus der Ukraine erzielt", so EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Die Kommission wolle damit sowohl die Bedenken der Ukraine als auch die der benachbarten EU-Länder "ausräumen".
Polen, Ungarn, die Slowakei und Bulgarien hatten Mitte April Einfuhren von Getreide und anderen Agrarprodukten aus der Ukraine untersagt. Sie begründeten den Schritt mit dem Schutz ihrer heimischen Produzenten.
Das Abkommen sieht die Aufhebung der "einseitigen Maßnahmen" einiger Länder gegen ukrainische Agrarprodukte vor. Die Ukraine kann somit auch weiterhin seine Produkte in Drittländer exportieren. Die Mitgliedstaaten einigten sich darauf, die Einfuhr bestimmter ukrainischer Produkte ohne mengenmäßige Beschränkungen sowie ohne Zoll- und amtliche Kontrollen zuzulassen.
Im Gegenzug sollen für Produzenten von Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkernen in Osteuropa "außergewöhnliche Schutzmaßnahmen" greifen. Zudem profitieren betroffene Landwirte von einem 100-Millionen-Euro-Unterstützungspaket. Das Abkommen bewahre "sowohl die Exportkapazität der Ukraine, damit sie weiterhin die Welt ernähren kann, als auch die Lebensgrundlage unserer Landwirte", so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einer ersten Reaktion.
Botschafter Makeiev erbittet mehr Waffen
Kurz vor der erwarteten Frühjahrsoffensive ist die Ukraine nach Aussage des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Oleksii Makeiev, vor allem auf Flugabwehrwaffen angewiesen. Weitere Flugabwehrsysteme wie Iris-T, Patriot und Gepard werden am dringlichsten benötigt", sagte Makeiev der Funke-Mediengruppe.
Für die Offensive brauche man aber auch gepanzerte Fahrzeuge, Panzer und Artilleriesysteme. Je professioneller die ukrainische Armee ausgestattet sei, desto mehr Zivilisten könnten gerettet und desto schneller könne die russische Armee aus den besetzten Gebieten verdrängt werden, betonte der Botschafter. "Russlands Niederlage ist eine Garantie für ein normales Leben in Europa."
Zugleich lobte er die bisherigen Waffenlieferungen aus Deutschland. Deutschland hat unter anderem 18 Kampfpanzer Leopard 2A6 mit Munition an die Ukraine geschickt. Hinzu kamen 40 Marder-Schützenpanzer sowie 34 Gepard-Flakpanzer, außerdem die Flugabwehrsysteme Patriot und Iris-T. Der Gesamtwert der Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern beträgt knapp 2,8 Milliarden Euro.
Mindestens 26 Tote bei russischen Raketenangriffen
Die Zahl der Todesopfer durch die erste größere russische Angriffswelle in der Ukraine seit Wochen ist auf mindestens 26 gestiegen. Am schwersten von den Raketenangriffen am Freitag getroffen wurde die Stadt Uman im Zentrum des Landes. Dort wurden nach Behördenangaben mindestens 23 Bewohner eines Hochhauses getötet, darunter vier Kinder. In dem zerstörten Wohnhaus in Uman suchen Rettungskräfte weiter nach Verschütteten.
Auch die Stadt Dnipro wurde von Marschflugkörpern getroffen. Hier wurden laut Behördenangaben eine junge Frau und ein dreijähriges Kind getötet. Zum ersten Mal seit Monaten wurde auch die Hauptstadt Kiew mit Marschflugkörpern beschossen, hier gab es keine Opfer. Aus der südukrainischen Region Cherson meldeten Behördenvertreter einen Angriff auf das Dorf Biloserka. Dabei seien eine 57-jährige Frau getötet und drei weitere Menschen verletzt worden.
Präsident Selenskyj verurteilte die Angriffe und zeigte sich überzeugt, dass diese Russland dem "Scheitern und der Bestrafung" näherbringen. Sein Berater Mychailo Podoljak schrieb auf Twitter: "Wenn ihr nicht wollt, dass sich das in der Welt verbreitet, gebt uns Waffen. Viele Waffen. Und erweitert die Sanktionen." Das russische Verteidigungsministerium gab an, "temporäre Aufmarschpunkte von Reserveeinheiten der ukrainischen Streitkräfte" mit "hochpräzisen Waffen" bombardiert zu haben. "Alle zugewiesenen Ziele wurden getroffen."
Der Armee zufolge wurden über der Hauptstadt elf Marschflugkörper und zwei Drohnen abgeschossen. Insgesamt wurden landesweit nach Armeeangaben 21 von 23 russischen Marschflugkörpern unschädlich gemacht. Die Raketenabwehr der Ukraine war zuletzt durch die Lieferung hochmoderner Abwehrsysteme durch die westlichen Verbündeten massiv verstärkt worden.
Selenskyj bittet Xi um Hilfe für Rückholung verschleppter Kinder
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den chinesischen Staatschef Xi Jinping gebeten, bei der Rückführung verschleppter ukrainischer Kinder aus Russland zu helfen. "Wir müssen alle einbeziehen, um Druck auf den russischen Aggressor und die Terroristen auszuüben, die so viele unserer Kinder entführt haben", sagte Selenskyj in Kiew. Die Bemühungen der Vereinten Nationen und anderer Akteure hätten nur "dürftige Ergebnisse" erzielt.
Nach Angaben aus Kiew hat Russland seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 mindestens 20.000 Kinder aus der Ukraine verschleppt. Nur rund 360 von ihnen konnten demnach in ihre Heimat zurückgeholt werden. Mitte März hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wegen der Verschleppungen Haftbefehl gegen Kreml-Chef Wladimir Putin und die "Kinderrechtsbeauftragte" des russischen Präsidenten, Maria Alexejewna Lwowa-Belowa, erlassen.
Xi und Selenskyj hatten am Mittwoch zum ersten Mal seit Kriegsbeginn miteinander telefoniert. Der chinesische Staatssender CCTV meldete danach, Xi habe Selenskyj mitgeteilt, dass "Gespräche und Verhandlungen der einzige Ausweg" aus dem Krieg seien. Um in dem Konflikt zu einer "politischen Einigung" zu kommen, will die Regierung in Peking eine hochrangige Delegation in die Ukraine schicken. China bezeichnet sich als neutral in dem Konflikt und hatte im Februar einen Zwölf-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukraine-Kriegs vorgestellt.
Politikexperte: "Komplexe Probleme verzögern ukrainische Offensive"
Die erwartete Offensive der ukrainischen Streitkräfte wird nach Ansicht des Politikexperten András Rácz durch eine Verknüpfung mehrerer Probleme gebremst. Dazu gehörten die russischen Befestigungen, der Munitionsmangel in der Ukraine, die mangelnde Erfahrung der Ukraine bei der Koordinierung einer solchen Offensive und der monatelange Dauerregen, sagte Rácz der Deutschen Welle. Er ist Senior Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Die Gegenoffensive muss noch abgewartet werden", resümierte er mit Blick auf die Bedingungen vor Ort.
Auf die Frage nach den Erfolgsaussichten einer solchen Offensive betonte er, dass es "eine beträchtliche Chance" dafür gebe. Jedoch hänge viel "von den Brigadekommandeuren, den Bataillonskommandeuren und der Art und Weise ab, wie diese kombinierte Waffenoperation durchgeführt wird".
Der Grund für die russischen Angriffe auf die Zivilbevölkerung sei "wahrscheinlich das Ziel, die Moral der Ukraine zuerst zu brechen". Rácz führte aus, dass die Führung in Moskau damit auch strategische Zwecke verfolge. Sie wolle Kiew zwingen, "seine Luftverteidigungsressourcen zu teilen und auch die kaum vorhandene Munition für die modernen Luftverteidigungssysteme abzufeuern". Sobald jedoch der ukrainische Vormarsch beginne, "wird Russland all seine Ressourcen, all seine Waffen konzentrieren, um die Gegenoffensive zu stoppen, darunter natürlich auch Langstreckenraketen und Marschflugkörper", so der Forscher.
Borrell: "Versuche, Moldau zu destabilisieren"
Angesichts von Spannungen zwischen Russland und Moldau haben die EU-Länder einen gesetzlichen Rahmen für Sanktionen gegen Personen geschaffen, die Moldau offenkundig destabilisieren wollen. Dabei gehe es etwa um Aktivitäten, die die Souveränität und Unabhängigkeit des Landes bedrohten, erklärte der Europäische Rat. Als Beispiel nannte das Gremium etwa eine Behinderung demokratischer Prozesse wie Wahlen oder den Versuch, die staatliche Ordnung auch mit Gewalt zu stürzen. Mögliche Sanktionen sind demnach Einreiseverbote in die EU und das Einfrieren von Vermögen.
Man sehe "zunehmende und andauernde Versuche, Moldau zu destabilisieren", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Der Sanktionsrahmen sei ein "wichtiges politisches Signal der EU-Unterstützung für Moldau in dem derzeitigen schwierigen Kontext".
Im Februar war Natalia Gavrilita überraschend als Ministerpräsidentin Moldaus zurückgetreten. Sie warf der Regierung in Moskau vor, ihre Regierung untergraben zu wollen. Die pro-europäische Präsidentin Maia Sandu hatte damals vor möglichen Umsturzversuchen gewarnt. Auch internationale Beobachter haben Russland vorgeworfen, die Lage in dem EU-Beitrittskandidatenland destabilisieren zu wollen. Das Außenministerium in Moskau wies die Vorwürfe zurück.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
uh/AR/as/jj/kle/wa (afp, rtr, dpa)