Ukraine: Die Leopard-2-Entscheidung ist verschoben
20. Januar 2023"Sie haben noch keine Entscheidung zu den Leoparden getroffen", sagt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Ende des eintägigen Treffens in Ramstein. Und meint damit die deutsche Regierung und deren Zurückhaltung gegenüber der Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine. Allerdings, antwortet Austin auf eine Journalisten-Frage: "Deutschland tut sehr viel", das Land sei für ihn ein verlässlicher Verbündeter.
Zu diesem Zeitpunkt hat der polnische Verteidigungsminister Marius Blaszczak den Medien bereits in die Notizbücher diktiert, dass er überzeugt sei, dass es zu einer europäischen Lieferkoalition für den Kampfpanzer aus deutscher Produktion für die Ukraine kommen werde. Vor dem Treffen hatten Warschau und andere Verbündete fast täglich den Druck auf Berlin immer mehr erhöht, Kampfpanzer-Lieferungen zuzustimmen.
Also: Entscheidung verschoben, auch bei diesem mittlerweile achten Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf der US-Militärbasis im deutschen Ramstein. Eine enttäuschende Nachricht für Kiew. Die von dort seit März 2022 so dringend geforderte Lieferung deutscher Leopard-2-Kampfpanzer müsse wohl überlegt sein, sagte der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius: "Dies ist eine neue Art von Maßnahme, die wir damit wählen würden."
Keine Einigkeit der Unterstützer
Es könne zwar in Kürze eine Entscheidung, in die eine oder andere Richtung geben - aber nicht an diesem Tag in Ramstein. Das Meinungsbild der 54 Unterstützer-Länder der "Ukraine-Kontaktgruppe", ob die Regierungen der europäischen Leopard-2-Nationen gemeinsam den Panzer an die Ukraine abgeben würden, sei "nicht einheitlich", sagt Pistorius.
Welche Unterstützer-Nationen genau zu diesem uneinheitlichen Bild beitragen, sagte der Deutsche nicht. Deutschland wird - einmal mehr - von den meisten als Bremser wahrgenommen. Allerdings hatte kurz vor dem Treffen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verlautbart, Deutschland könnte den Leopard 2 in die Ukraine abgeben, wenn die USA ihrerseits den schweren Kampfpanzer Abrams in die Ukraine schickten.
Erst tags zuvor hatte Großbritannien in einer gemeinsamen Erklärung in der estnischen Hauptstadt Tallinn mit Estland, Lettland, Litauen, Polen, Dänemark, der Tschechischen Republik, den Niederlanden und der Slowakei Kampfpanzer für die Ukraine gefordert. "Das neue Niveau der erforderlichen Kampfkraft wird nur durch Kombinationen von Kampfpanzergeschwadern mit Luft- und Raketenabwehr erreicht", heißt es in der Erklärung von Tallinn, "die zusammen mit Artilleriegruppen der Divisionen operieren, sowie durch weitere Präzisionsfeuer, die es ermöglichen, russische Logistik- und Kommandoknoten in den besetzten Gebieten anzugreifen."
Selenskyj: Keine Zeit zu verlieren
Zum Auftakt des Ramstein-Treffens verband der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj seinen Dank für die geleistete und nun neu versprochene, weitere Militärhilfe für sein Land mit einer Forderung: "Hunderte von Danksagungen sind keine Hunderte von Panzern."
Die Menschen in seinem Land hätten keine Zeit zu verlieren. "Der Terror lässt keine Diskussion zu", so Selenskyj. "Der Terror, der eine Stadt nach der anderen niederbrennt", während den "Verteidigern der Freiheit die Waffen gegen ihn ausgehen." Der ukrainische Präsident appellierte an die Unterstützernationen, schneller zu werden, und meinte damit die Lieferung von Kampfpanzern - und die Regierung in Berlin.
Kiew und die meisten westlichen Militärbeobachter sind überzeugt, dass Russland seine Streitkräfte auf eine neuerliche Offensive vorbereitet: Durch Mobilisierung weiterer Soldaten und das Hochfahren der Waffenproduktion, vor allem von Munition. Die größte Gefahr für die Ukraine stellt nach Ansicht der US-Denkfabrik "Institute for the Study of War" (ISW) ein möglicher Angriff auf den Norden des Landes aus dem benachbarten Belarus dar.
Kampfjets aus den Niederlanden?
Dabei stecken in dem neuerlichen Hilfspaket noch ganz andere, womöglich nicht weniger entscheidende Waffen für die Ukraine: Zwei Patriot-Luftabwehr-Systeme jeweils aus den USA und Deutschland. Schweden will mit seinem "Archer" ein weiteres Artilleriesystem abgeben, dazu "tausende neue Artilleriemunition", sagt der US-Verteidigungsminister nach dem Ramstein-Treffen.
Die Niederlande kündigen indes an, die Lieferung von F16-Kampfjets zu prüfen - es wäre der erste westliche Kampfjet für die Ukraine. Alles mit dem Ziel, Zivilisten und die Infrastruktur vor den russischen Raketen-Angriffen zu schützen. Zudem sollen noch mehr ukrainische Soldatinnen und Soldaten trainiert werden. Vor allem durch die USA auf ihrem Stützpunkt im deutschen Grafenwöhr, gibt der US-Generalstabschef Mark Milley in Ramstein bekannt.
Es ist ein weiterer qualitativer Sprung an Qualität und Masse an Militärgerät für die Ukraine. Das zeigt sich besonders am Beispiel einer Rakete, die erst im vergangenen Herbst überhaupt auf den Rüstungsmarkt gekommen ist. Gemeinsam mit dem US-Konzern Boeing hat die schwedische Rüstungsschmiede Saab eine Artillerie-Rakete entwickelt, die nur einen Bruchteil des Preises vergleichbarer US-amerikanischer Boden-Luft-Raketen kosten soll. In Ramstein wurde beschlossen, dass die Ukraine dieses Waffensystem erhält.
Die Rakete habe eine Reichweite von 150 Kilometern und könne sowohl stationäre als auch bewegliche Ziele angreifen, schreibt der britische Rüstungsinformationsdienst "Janes Defence". Laut dem schwedischen Hersteller könne sie von einer Vielzahl von Abschussvorrichtungen und Konfigurationen aus gestartet werden. Also offenbar auch von den Artilleriesystemen, die der Westen bislang in die Ukraine gegeben hat.
Vorbereitung für Angriffe auf die Krim?
Bei einer Reichweite von 150 Kilometern könnte die ukrainische Armee von der Frontlinie aus gesehen Ziele in etwa bis zur Mitte der von Russland annektierten Halbinsel Krim erreichen. Die russischen Streitkräfte bombardieren - auch von ihren Stützpunkten auf der Krim - die zivile Infrastruktur der Ukraine. Nach einem Bericht der "New York Times" soll US-Präsident Joe Biden seine Zurückhaltung aufgegeben haben, die Ukraine mit durchschlagsstarken Waffen auszurüsten, mit denen die Krim-Halbinsel dauerhaft angegriffen werden kann.
In Moskau reagiert der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf diesen Bericht im Vorfeld des Ramstein-Treffens und warnt: "Dies würde bedeuten, den Konflikt auf eine neue Ebene zu heben, die nicht gut für die europäische Sicherheit sein wird", berichtet die Nachrichtenagentur Reuters aus einem Gespräch mit Putin-Sprecher Dmitri Peskow.
Mit diesen Raketen könnte die ukrainische Armee zudem eine eigene Offensive in das Gebiet südlich der Großstadt Saporischschja vorbereiten und die Rückgewinnung der von Russland im Frühjahr 2022 eroberten Landbrücke zur Krim über die russisch besetzte Stadt Melitopol vorbereiten.
Mit den jetzt vereinbarten Waffenlieferungen des neuen Ramstein-Pakets ist klar, dass sich die Verbündeten der USA in der Ukraine-Kontaktgruppe entschlossen haben, dem angegriffenen Land auch modernste und womöglich entscheidende westliche Waffen zu liefern. Damit die Ukraine einem neuerlichen massiven Angriff Russlands wie im Frühjahr 2022 widerstehen und weitere Landesteile befreien kann.
US-General bremst Erwartungen
Allerdings bremst in Ramstein der oberste US-Militär, Generalstabschef Mark Milley, zu hohe Erwartungen. "Ich behaupte nach wie vor, dass es in diesem Jahr sehr, sehr schwierig wäre, die russischen Streitkräfte militärisch aus jedem Zentimeter der russisch besetzten Ukraine zu vertreiben", sagt Milley.
"Es bedeutet auch nicht, dass es nicht passieren wird, aber es wäre sehr, sehr schwierig." Er gehe für das zweite Kriegsjahr in der Ukraine davon aus, dass die bestehende Front stabilisiert werde und, dass die Ukraine "eine bedeutende taktische oder sogar operative Offensivoperation" durchführen könne, um "so viel ukrainisches Gebiet wie möglich" zu befreien. An ein schnelles Ende des Krieges glaubt offenbar auch Milley nicht - trotz des nun in Ramstein vereinbarten Militärpakets für die Ukraine.