Sahra Wagenknecht - umstritten und unnahbar
Veröffentlicht 10. Juni 2024Zuletzt aktualisiert 1. September 2024Am Ende waren es nur ein paar Farbspritzer. Bei einem ihrer letzten Wahlkampfauftritte vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen wurde Sahra Wagenknecht von einem 50-jährigen Mann in Erfurt attackiert. Er hatte rote Farbe in Richtung Rednerpult gesprüht. Doch der Angriff lief glimpflich ab, der Mann wurde von Sicherheitspersonal überwältigt und die 55-jährige Politikerin konnte ihren Auftritt nach kurzer Unterbrechung fortsetzen.
Sahra Wagenknecht polarisiert wie kaum eine andere Person in der deutschen Bundespolitik. Wer ist die Frau?
Kleiner Apparat mit großer Wirkung
Sahra Wagenknecht ist in Deutschland bekannt. Einst war sie das Gesicht der Partei Die Linke. Sie ist im vergangenen Jahr ausgetreten und führt seit Januar eine neue Partei an, die sich noch immer im Aufbau befindet. Der Name ist gleichzeitig Programm: "Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW). Die Partei, in der sie großgeworden ist, hat sie hinter sich gelassen, auch bei den Wahlergebnissen. Die Linke liegt in Umfragen auf Bundesebene mittlerweile unter der Fünf-Prozent-Marke - die müsste sie schaffen, um in den Bundestag einzuziehen. Wagenknecht schickt sich an, die deutsche Parteilandschaft zu verändern - mit einem Parteiapparat, der nur über sehr wenige Mitarbeitende und Mitglieder verfügt.
Besonders im Osten Deutschlands hat das BSW viel Anklang gefunden. Bei den letzten Umfragen vor den Landtagswahlen erreicht die Partei rund 18 Prozent der Wählerstimmen in Thüringen, zwölf in Sachsen. Damit belegt sie jeweils Platz drei hinter CDU und AfD.
Die Ein-Frau-Partei
"Das BSW hat eine Leerstelle besetzt: eine links gerichtete Sozialpolitik und eine rechts gerichtete gesellschaftliche Politik", sagt Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek der Deutschen Presse-Agentur. Zum Beispiel streitet das BSW für höhere Renten in Deutschland und einen höheren Mindestlohn, bremst aber beim Klimaschutz und der Aufnahme von Geflüchteten.
Die lange in Deutschland gefeierte Willkommenskultur für Flüchtlinge, 2015 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) initiiert, hält Sahra Wagenknecht für "hochproblematisch". Nicht, weil man diesen Menschen kein besseres Leben gönne, wie sie betont. "Sondern weil unser Land dadurch einfach überfordert wird." Diese Mischung sei für Deutschland neu, so der Forscher.
Hinzu komme der populistische Ansatz. Wagenknechts Rhetorik gegen "die da oben" stilisiere sie zu einer "Anwältin der kleinen Leute". Sie nenne die regierenden Parteien gefährlich, dumm, verlogen oder heuchlerisch. Einen Tag nach der Europawahl im Juni, bei der ihr BSW bereits 6,2 Prozent der Stimmen erhalten hatte, sagt Wagenknecht: "Wir sind da für die Menschen, die den Glauben an die Demokratie verloren haben." Eine Partei für "Verzweifelte", ergänzt die Politikerin.
Keine eindeutige Abgrenzung zur AfD
Eine Koalition mit der rechtspopulistischen AfD lehnt Wagenknecht zwar ab - nicht jedoch eine Zusammenarbeit. In einem sind sich AfD und BSW sogar sehr nah - nämlich in der Russlandpolitik. So hat sich das BSW gegen Waffenexporte in die Ukraine ausgesprochen und auch gegen Sanktionen. Für den Konflikt solle eine diplomatische Lösung gefunden werden. Solche Ansichten sind in Ostdeutschland populär.
Für einen besonderen Eklat sorgte die noch junge Partei beim jüngsten Deutschlandbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Juni. Während seiner Rede im Bundestag blieben Wagenknecht und ihre Parteikollegen gemeinsam mit großen Teilen der AfD seiner Rede demonstrativ fern, angeblich "aus Solidarität mit all jenen Ukrainern, die sich einen sofortigen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung wünschen", wie es ein Parteimitglied formulierte. CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte das später als "einen Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments".
Von der Internationalen zur personalisierten Partei
Die junge Sahra Wagenknecht war Kommunistin und blieb das auch nach dem Ende der DDR noch lange. Ab 2007 prägte die aus Jena im Bundesland Thüringen stammende Politikerin für viele Jahre das Bild der Partei Die Linke - meistens im Streit um den vermeintlich richtigen Kurs.
Ihr Ehemann ist der ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Oskar Lafontaine. Er verließ die Partei im Streit, ging zur Linken und unterstützte rund zwei Jahrzehnte später die Gründung des BSW, der Partei seiner Frau Sahra Wagenknecht.
"Eiskönigin" mit Falschbehauptungen
Beispiellos ist aus Sicht von Jan Philipp Thomeczek auch die Personalisierung der neuen Partei. "Sahra Wagenknecht kennt jeder, das ist ungewöhnlich", sagt der Wissenschaftler von der Universität Potsdam. "Sie polarisiert, sie hat viele Kritiker, aber eben auch viele Fans."
In deutschen Polit-Talkshows im Fernsehen ist sie oft zu Gast. Dabei tritt sie stets teuer und elegant gekleidet auf, wirkt aber immer auch kühl, distanziert, unnahbar und wenig empathisch. Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" verglich die Politikerin im vergangenen Jahr sogar mit Disneys "Eiskönigin".
Politiker und Anhänger ihrer ehemaligen Partei Die Linke sowie der Sozialdemokraten und Grünen kritisiert Wagenknecht gleichzeitig gerne als "Lifestyle-Linke". Diese kümmerten sich ihr zufolge immer weniger um soziale Themen und immer mehr um Fragen des Lebensstils, des Konsums und der moralischen Haltung.
Kritiker bemängeln bei Sahra Wagenknecht und ihrem BSW, dass diese es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nähmen. Viele Behauptungen gründeten auf verdrehten Fakten oder verkürzten Zitaten, bei denen entscheidende Details einfach weggelassen würden. Insbesondere zu den Kriegen in der Ukraine und in Gaza wartete die Politikerin wiederholt mit streitbaren Aussagen auf - die bereits mehrfach durch Faktenchecks widerlegt worden sind.
Sprungbrett für die Bundestagswahl?
Ihrer Popularität tut dies keinen Abbruch. Insbesondere in Thüringen werden dem BSW nach den Wahlen gute Chancen für eine Regierungsbeteiligung eingeräumt. Für Wagenknecht selbst ist das nur ein Zwischenschritt. Sie schielt längst schon auf die Bundestagswahlen im September 2025. Auch da will Sahra Wagenknecht eine gewichtige Rolle spielen - womöglich sogar als Kanzlerkandidatin ihrer Partei.
Dieser Artikel erschien zunächst am 10.06.2024 und wurde zuletzt am 01.09.2024 aktualisiert.