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Santos Cruz: "Unmöglich, alle Zivilisten zu beschützen"

Marina Estarque, Jan D. Walter (Übersetzung)4. Juni 2014

Seit einem Jahr ist der Brasilianer Carlos Alberto dos Santos Cruz Truppenkommandeur der UN-Mission im Kongo. Im DW-Interview erzählt er von den Erfolgen und den Problemen der größten und teuersten UN-Friedensmission.

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Carlos Alberto dos Santos Cruz Foto: Dirke Köpp
Bild: Dirke Köpp

DW: Vor einem Jahr haben Sie das Kommando über die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo, die MONUSCO, übernommen. Wie beurteilen Sie die Erfolge in dieser Zeit?

Carlos Alberto dos Santos Cruz: Die größte Errungenschaft seit Juni 2013 war das Ende der M23-Bewegung in Goma. Die Liste der Verbrechen, die diese Rebellengruppe verübt hat, ist lang und sie war bereits sehr fest in der Stadt verankert. Die Niederlage der M23 war eine große Erleichterung für die Bevölkerung Gomas - in der Stadt leben mehr als eine Million Menschen. Auch im Umland, in den Gebieten von Kiwanja, Rutshuru und Bunagana, konnten fast 100.000 Menschen in ihre Häuser zurückkehren und ihre Felder bestellen. Das hat die kongolesischen Soldaten mit großem Stolz erfüllt, denn es war vor allem ihr Verdienst. Wir als UN-Truppe haben sie bei der Offensive gegen die M23 ja nur unterstützt.

Als Sie das Kommando im Sommer 2013 übernahmen, war die MONUSCO sehr umstritten. Glauben Sie, dass Sie mit dem Sieg in Goma die Glaubwürdigkeit der Mission wiederhergestellt haben?

Wenn sich die Bevölkerung beschwert und eine Mission für ineffizient hält, hat sie recht. Das Volk urteilt sehr gerecht. Ich war nicht dabei, deshalb werde ich kein Urteil fällen. Aber man muss der Bevölkerung eben auch Ergebnisse präsentieren. Insofern habe ich keinen Zweifel daran, dass unsere Arbeit im Verbund mit den kongolesischen Streitkräften zu einer besseren Bewertung der Mission geführt hat.

Die M23 war nur eine von vielen Rebellengruppen, die den Osten des Kongo unsicher machen. Vor welchen Herausforderungen steht die MONUSCO jetzt?

Das Wichtigste ist meines Erachtens, zu erreichen, dass alle Akteure - die internationalen eingeschlossen - an einem Strang ziehen. Es braucht ein gemeinsames politisches Interesse, die Gewalt ein für allemal zu ersticken und die bewaffneten Gruppen zu eliminieren. Man müsste ernsthaft daran arbeiten, den Waffenhandel im Kongo zu bekämpfen. Aber es sind sehr viele Menschen darin verwickelt, sonst gäbe es nicht diese Masse von Waffen und Munition. Man müsste den Abbau von Bodenschätzen und den illegalen Handel damit viel strenger kontrollieren. Und schließlich müsste man die Präsenz des Staates ausbauen und die Korruption bekämpfen.

Welcher bewaffneten Gruppe gilt nun das Hauptaugenmerk der UN-Mission?

Die kongolesische Regierung hat entschieden, als nächstes die ADF, die "Allied Democratic Forces", zu bekämpfen. Diese Rebellengruppe richtete ihre Aktionen zunächst gegen die Regierung von Uganda, inzwischen besteht sie aber zu 40 Prozent aus Kongolesen. Die ADF ist sehr radikal und fundamentalistisch und sie hat offenbar Unterstützung von terroristischen Gruppen aus anderen Ländern. Der Kampf gegen sie ist daher sehr schwierig. Momentan sieht es aber danach aus, dass die Regierungstruppen auf dem Weg zum Sieg sind.

Warum nimmt man die ADF vor der FDLR, der radikalen Hutu-Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", in den Fokus?

Die Reihenfolge legt die kongolesische Regierung fest. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Einer davon ist der religiöse Fundamentalismus und die Brutalität der ADF, die in den letzten zwei Jahren bis zu 800 Menschen entführt hat. Es könnten aber auch politische Gründe sein. Wir müssen diese Entscheidung respektieren und unterstützen.

Die FDLR ist militärisch nicht so stark, dafür ist ihr politisch Einfluss recht groß und komplex. Durch die Verbindung von militärischer mit regionalpolitischer Einflussnahme betrifft das Problem auch die Nachbarländer.

Man könnte sagen, dass sich der Kampf gegen die ADF in der finalen Phase befindet. Der gegen die FDLR befindet sich noch am Anfang. Es wäre sehr schwierig, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen.

UN-Soldaten auf einem Panzer im Kongo Junior D. Kannah/AFP/Getty Images
Bild: Junior D. Kannah/AFP/Getty Images

Die kongolesischen Streitkräfte haben selbst zahllose Menschenrechtsverletzungen begangen. Wie ist das Verhältnis der UN-Mission zu ihnen?

Das operative Verhältnis ist sehr gut. Sie sind sehr mutig. Bei Logistik und Ausrüstung besteht noch viel Verbesserungsbedarf. Und es gibt das Problem der Menschenrechtsverletzungen, das in manchen Einheiten häufiger vorkommt als in anderen. 2009 haben sich viele bewaffnete Kämpfer im Zuge der Bemühungen der Regierung um eine nationale Einheit in die kongolesische Armee eingliedern lassen. Aber das funktioniert nur auf dem Papier. In der Praxis hat der Kongo keine Streitkräfte, sondern eine deformierte Armee mit einem Haufen Krimineller darin. Wir zahlen den Preis dieser fehlgeschlagenen Integration. Deshalb arbeiten wir nur mit Truppen zusammen, von denen keine Menschenrechtsverletzungen bekannt sind.

Anfang des Jahres gab es ein Massaker mit 70 Toten in Masisi, nahe Goma. Hat die MONUSCO dazu beitragen können, dass solche Verbrechen weniger werden?

Die Demokratische Republik Kongo ist eines der größten Länder der Erde. Die Orte, an denen es zu Übergriffen kommt, liegen teilweise fast 2000 Kilometer auseinander. Es ist unmöglich, alle Zivilisten immer und überall zu beschützen. Außer den Massakern geschehen viele andere Verbrechen, von denen nicht berichtet wird, meist in sehr abgelegen Regionen.

Wie könnte man den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern? Sind zu wenige Blauhelme im Kongo?

Es ist fundamental, ein besseres Informationssystem zu entwickeln. Eine noch so große Blauhelmtruppe bringt nichts, wenn man nicht weiß, wo sie eingreifen muss. Das müssen wir deutlich verbessern.

2013 entsandte die UNO zum ersten Mal eine Eingreiftruppe mit einem sogenannten robusten Mandat ins Land. Hat das die Sicherheitslage seitdem verbessert?

In dem Gebiet, in dem sie agiert, ohne Zweifel. Aber das sind nur 3000 von 20.000 Soldaten. Man kann nicht alle Verantwortung auf sie abwälzen.

Die Provinz Katanga hat eine lange Reihe bewaffneter Konflikte und Unabhängigkeitskämpfe hinter sich. Welche Rolle spielt Ihre Mission dort?

Wir haben nur 450 Mann in Katanga, einem Gebiet so groß wie Spanien. Die Regierungstruppen sind mit 11.000 Soldaten präsent. Sie haben also die weitaus größere Verantwortung. Wir ziehen uns da nicht ganz raus, aber es gibt so viele Probleme auf einer so großen Fläche, da muss man Prioritäten setzen.

Der General Carlos Alberto dos Santos Cruz führt seit Mai 2013 die Truppen der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo. Er stammt aus Brasilien.

Das Interview führte Marina Estarque.