UNESCO: Schutz für immaterielles Kulturerbe
16. Dezember 2011Deutsche Welle: Gerade ist - neben anderen Kultur-Traditionen - der Fado zum immateriellen Kulturerbe erklärt worden. Eine populäre portugiesische Musikrichtung, die traurig und sehnsüchtig ist und die oft Liebeskummer thematisiert. Welchen Sinn hat das?
Dieter Offenhäußer: Erstens entsteht öffentliche Aufmerksamkeit. Ein zweiter erwünschter Effekt sollte der sein, dass Maßnahmen zum Erhalt und zum Fortbestand solch lebendiger Traditionen ergriffen werden.
Braucht der Fado solche Maßnahmen?
Darüber kann man lange debattieren. Man ist in Portugal sehr stolz darauf, dass er von einer internationalen Organisation so anerkannt wird. Aber der Fado hätte es eigentlich nicht nötig gehabt. Er ist nicht nur verankert in Kreisen, in denen er gesungen wird, sondern er wird auch kommerziell verwertet. Es gibt ganz andere Dinge, die vielleicht den Schutz der UNESCO nötiger hätten.
Es gibt seit kurzem neu zur UNESCO-Liste hinzugekommene Traditionen, die weit weniger populär sind. Etwa ein Weisheits-Ritual in Mali, das international kaum bekannt ist. Wie fallen denn Entscheidungen für Gebräuche und Traditionen, die keine internationale Reputation haben?
Eigentlich geht es genau um solche Dinge. Noch ein Beispiel: Im Grenzgebiet zwischen Peru und Ecuador gibt es einen Stamm, dessen Sprache schon existierte, als Kolumbus Amerika angeblich entdeckt hatte. Dort gibt es nur noch fünf Menschen, die diese alte Sprache sprechen. In ihr ist das gesamte Wissen des Amazonas aufgehoben: das klimatische und naturkundliche Wissen, das Wissen um die Gesundheit. Da gibt es ein Gefährdungspotential, das nur durch internationale Solidarität und durch die Anerkennung durch die UNESCO ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden kann.
Das Bewusstsein ist dann sicher eine Weile lang da. Aber kann das mehr sein als Symbolpolitik? Auch die UNESCO wird eine Sprache nicht retten können, wenn es nur noch fünf Sprecher gibt.
Darum geht es auch gar nicht. Auch nicht darum, alles zu musealisieren und künstlich Traditionen am Leben zu erhalten. Dennoch sollte man sich darum bemühen, das in solchen Sprachen aufgehobene Wissen zu bewahren und zu dokumentieren. Es geht auch darum, dass wir uns in Deutschland beispielsweise fragen: Was steckt etwa hinter einer traditionellen Tracht – sei es in Laos oder bei den Sorben im Osten Deutschlands.
Als Wertschätzung und Respekt gegenüber einer Kultur?
Genau darum geht es, dass man sich der kulturellen Vielfalt auf diesem Globus bewusst wird. Da wird man sehr vieles entdecken. Was die UNESCO selbst überrascht, ist die Akzeptanz und der weltweite Drang auf die Liste. Das ist aber auch mit Risiken verbunden.
…etwa mit der Gefahr, dass diese Liste ad infinitum zu erweitern wäre, wenn man jeden Brauch, jedes Volksfest unter "Naturschutz" stellt. Wie kann man denn sinnvolle Kriterien definieren?
Das ist extrem schwierig. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob die UNESCO im Augenblick Herr der Lage ist angesichts von 230 Einträgen innerhalb weniger Jahre. Die erste Gefahr ist, dass es inflationär wird. Das Problem ist natürlich auch, dass ein solches Programm entgegen der ursprünglichen Absichten instrumentalisiert und als Marketing-Instrument im Tourismus genutzt wird. In Laos etwa gibt es Tanzgruppen, die am Königshof angesiedelt waren und einmal im Jahr oder sogar nur einmal im Leben einen ganz bestimmten Tanz nach besonderen Riten aufgeführt haben. Das können Sie sich jetzt dort Montags, Mittwochs und Freitags von 18 bis 20 Uhr im Hotel anschauen. Danach ziehen die Tänzer ihre Jeans an und fahren nach Hause.
Das heißt, sobald die UNESCO ihr Gütesiegel draufklebt, wird etwas popularisiert und damit auch entwertet?
Das ist im Augenblick eine Tendenz. Sie existiert schon weltweit, und das ist genau das Gegenteil von dem, was die UNESCO eigentlich bewirken will. Sie will eigentlich dazu beitragen, dass lebendige Traditionen von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Wie kann man dafür sorgen?
Die UNESCO kann eine internationale Expertengemeinde mobilisieren, die ein wachsames Auge auf solche Traditionen wirft und dafür sorgen kann, dass die politischen Rahmenbedingungen bestehen. Dass Staaten selbst in ihrer Kulturpolitik auf Traditionen von Minderheiten und auf das immaterielle Erbe insgesamt achten. Aber man darf nicht den ökonomischen Antrieb unterschätzen, solche Manifestationen auch rein für den Tourismus zu nutzen.
Das Gespräch führte Aya Bach
Redaktion: Gudrun Stegen
Dieter Offenhäußer ist Stellvertretender Generalsekretär und Pressesprecher der Deutschen UNESCO-Kommission