Außenminister Szijjártó auf Luxusyacht
27. August 2020"Mehr Balaton, weniger Adria!" - diese Parole gab Ungarns Premierminister Viktor Orbán im Juli aus. Es war ein Aufruf an die Bürger Ungarns, wegen der Corona-Pandemie auf einen Urlaub im beliebten Kroatien zu verzichten und die Ferien statt dessen am heimischen Plattensee zu verbringen. Kurz darauf postete Orbán tatsächlich eigene Urlaubsfotos vom Balaton.
Nun stellt sich allerdings heraus: Was Orbán öffentlich predigt, gilt nicht für seine Regierungsmitglieder und wohl auch nicht für ihn selbst. Das Investigativ-Portal "Átlátszó" veröffentlichte vergangene Woche Fotos, die Außenminister Péter Szijjártó bei einer Adria-Kreuzfahrt auf einer Luxusyacht zeigen. Auch Orbán selbst soll in diesem Sommer auf einem Segelschiff in kroatischen Adria-Gewässern geurlaubt haben. Das behauptet zumindest die kroatische Tageszeitung "Jutarnji List", die vergangenen Montag einen entsprechenden Bericht mit einem unscharfen Bild von Orbán veröffentlichte.
Für Orbáns angeblichen Kroatien-Urlaub gibt es bisher keine Belege. Auf Anfrage der DW sagte ein Sprecher der ungarischen Regierung, man könne zum privaten Programm des Ministerpräsidenten keine Auskunft geben. Szijjártó hingegen bestätigte seinen Yachturlaub inzwischen - indem er sich über die Verletzung seiner Privatsphäre beschwerte.
Unangenehm ist der Adria-Trip des Außenministers nicht nur wegen Orbáns "Mehr-Balaton"-Aufruf. Während Szijjártó mit seiner Familie auf der Luxusjacht entspannte, postete er auf seiner Facebook-Seite mehrere Bürofotos, die ihn beim Telefonieren zeigen, dazu Texte, mit welchen europäischen Außenministern er aktuell über die Krise in Belarus beraten habe - Aufnahmen, die suggerieren, er befinde sich am Arbeitsplatz im Ministerium.
Mehr als nur Peinlichkeiten
Bis hierhin eher Peinlichkeiten und Pikanterien. Schwerwiegender an der Affäre ist ihr Korruptionsaspekt. Die 42 Meter lange und 21 Millionen Euro teure Luxusyacht, auf der Szijjártó weilte, gehört dem ungarischen Unternehmer László Szijj. Szijj ist dank üppiger staatlicher Aufträge in den vergangenen Jahren zu einem der reichsten Ungarn aufgestiegen und zählt zum Kreis der sogenannten "Orbán-Oligarchen".
Der wöchentliche Mietpreis einer Yacht wie Szijjs "Lady MRD" liegt nach Schätzungen ungarischer Medien bei mindestens 170.000 Euro. Das übersteigt die persönlichen finanziellen Möglichkeiten Szijjarártós bei weitem, sein Monatsbruttoverdienst als Minister und Parlamentsabgeordneter beträgt umgerechnet etwa 8.500 Euro. Sollte er den Urlaub jedoch auf Einladung des Yachteigentümers Szijj verbracht haben, wäre das ein Verstoß gegen ungarische Antikorruptionsregeln. Denen zufolge darf ein Abgeordneter keine Geschenke annehmen, deren Wert höher liegt als eine monatliche Abgeordnetendiät. Szijjártó weigerte sich jedoch bisher zu erklären, wie er den Urlaub bezahlt hat.
Es ist längst nicht die erste Luxusaffäre in Orbáns Regierung und Führungszirkel. Orbán selbst nutzt bei privaten Reisen zu Fußballspielen häufig einen Bombardier-Luxusjet, dessen Eigentümer unbekannt ist, aber im Kreis von Orbáns Oligarchen vermutet wird. Ungarns Premier sieht in solchen Reisen kein Problem. 2018 sagte er dazu bei einer Parlamentsdebatte knapp, er sei jedesmal privat eingeladen; er sei schon immer so gereist und werde es auch weiterhin so tun. Gern verweist Orbáns Regierung darauf, dass solche Reisen kein Steuergeld kosten - ohne zu erwähnen, dass die Einladungen von Geschäftsleuten kommen, die durch Staatsaufträge reich geworden sind.
Andere Luxusaffären betrafen den ungarischen Vizepremier Zsolt Semjén und Orbáns ehemaligen Kanzleichef János Lázár, die mit teuren Jagdausflügen und Übernachtungen in Luxushotels auffielen. Orbáns derzeitiger Kabinettschef Antal Rogán machte 2016 mit einer Luxus-Helikopterfahrt zu einer Celebrity-Hochzeit Schlagzeilen. Konsequenzen hatten die Affären bisher für niemanden. Auffallend hingegen: Einige der Medien, die diese Affären aufdeckten, wurden von Mittelsmännern der ungarischen Regierung gekauft, auf Regierungslinie gebracht oder geschlossen.
"Postkommunistischer Mafiastaat"
Denn Orbán und sein Regime stören sich nicht an politischer Kritik, sondern an Enthüllungen zu Korruption und zum luxuriösen Lebenswandel der Führungs-Elite. Offiziell pflegt Orbán das Image des guten Landesvaters, der allen einfachen Ungarn hilft. In Wirklichkeit leben viele Ungarn in prekären Verhältnissen, Kinderarmut ist ein gravierendes Problem. In der Elite herrscht hingegen ein Stil protziger Selbstherrlichkeit, der viele Ungarn empört.
Dabei geht es nicht nur um Korruptionsaffären, wie sie auch für andere mittel- und südosteuropäische Länder charakteristisch sind. Orbán hat vielmehr ein ganz eigentümliches System geschaffen. So sind politische Ambitionen für Oligarchen tabu, Orbán fordert von ihnen bedingungslose Loyalität. Andernfalls stürzen sie tief wie Orbáns einstiger Jugendfreund Lajos Simicska, der vor wenigen Jahren noch zu den reichsten Ungarn gehörte, sich aber dann mit Orbán zerstritt und inzwischen zurückgezogen von seinem Restvermögen lebt. Orbáns Oligarchen erinnern faktisch an Strohmänner, die nominell ein Milliardenvermögen verwalten, über das aber Orbán und sein Führungszirkel bestimmen.
Der ungarische Soziologe und ehemalige liberale Politiker Bálint Magyar vertritt deshalb die These, dass Korruption und mafiotische Strukturen in Ungarn kein normabweichendes Phänomen, sondern Kennzeichen und Komponente des Systems seien. Er nennt Orbáns Ordnung einen "postkommunistischen Mafiastaat".
Das vielgelesene Portal 24.hu übersetzte diese These im Fall Szijjártós auf geistreiche Weise: Die Luxusyacht "Lady MRD" habe zwar einen Eigentümer, sei aber praktisch das staatliche Erholungsheim der Orbán-Ordnung und ihrer Spitzenkader. Aktuell habe eben der Außenminister samt Familie den Urlaubsberechtigungsschein erhalten.