Ungeheuer-Suche in Schottland: Auf der Jagd nach Nessie
29. Mai 2024Im Sommer 1934 stellte der schottische Baron Sir Edward Mountain ein 20-köpfiges Team zusammen, um ein für alle Mal die Wahrheit über das Monster von Loch Ness herauszufinden. Er postierte Beobachter mit Ferngläsern und Kameras rund um den See in den Highlands, um das sagenumwobene Wesen aufzuspüren. Nicht weniger als 21 Mal soll Nessie damals gesichtet worden sein, doch keine der Foto- und Filmaufnahmen war wirklich überzeugend. Die Ergebnisse wurden der Linnean Society of London (Anm. d. Red: eine gemeinnützige Organisation, die sich mit der Wissenschaft der Naturgeschichte beschäftigt) vorgelegt, die Mitglieder hielten die Sichtungen eher für Otter oder sogar einen Killerwal.
Größte Suchaktion aller Zeiten
Seit dieser ersten Suche wurden mehr als 1.156 Sichtungen des Ungeheuers verzeichnet, die im offiziellen Register der Sichtungen des Ungeheuers von Loch Ness eingetragen sind. "Erst im vergangenen Jahr haben wir die Welt mit einer der größten Suchaktionen nach Nessie in Atem gehalten, an der Teilnehmer aus Amerika, Kanada, Frankreich, Italien, Japan und anderen Ländern teilnahmen", sagt Paul Nixon, Direktor des Loch Ness Centre. Anlässlich des 90. Jahrestages organisiert das Zentrum vom 30. Mai bis 2. Juni eine noch größere Suchaktion mit dem Namen "The Quest". Man sei fest entschlossen, "mehr über das schwer fassbare Ungeheuer von Loch Ness herauszufinden".
Im August 2023 hatten Dutzende Nessie-Enthusiasten den See zwei Tage lang beobachtet, auch die Kellys harrten wie viele andere stundenlang bei teilweise strömendem Regen an dem See in den schottischen Highlands aus. "Es gibt so viele Berichte von Einheimischen", sagt Scott Kelly. "Ich bin mir sicher, dass etwas Unbekanntes im See lebt." Und Nessie-Sucher Steve Feltham ergänzte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "Es ist eine organisierte Beobachtung von Loch Ness, das ist großartig. Je mehr Augen auf das Wasser gerichtet sind, desto besser." Der Mann sucht seit mehr als 30 Jahren nach dem Ungeheuer - wahrscheinlich länger als jeder andere.
Mit Infrarotkameras rückte man Nessie auf den Leib, denn auch ein Seeungeheuer strahlt Wärme ab, wie jedes andere Lebewesen - so zumindest die Annahme der Forscher. Drohnen filmten die Wasseroberfläche von Loch Ness, um noch die kleinste Bewegung aufzuzeichnen. Ein Hydrophon zeichnete damals ungewöhnliche Unterwassergeräusche auf, deswegen soll bei der jetzt anberaumten Suche auch die NASA ihr Fachwissen beisteuern.
Nessie - ein uraltes Monster
Die großangelegte Aktion wird vom Loch Ness Centre in Drumnadrochit, einen Ort am Westufer des Sees, organisiert. Nessie verdankt ihren Namen dem See Loch Ness im schottischen Hochland , den sie seit Jahrhunderten angeblich bewohnt: Ja richtig, seit Jahrhunderten, denn schon im Jahr 565 soll der irische Wandermönch Columban von Iona am Fluss Ness auf das "Wasserungeheuer" gestoßen sein.
In einem Buch berichtet der Abt von Iona, wie der Mönch einen Mann rettete, der von der Bestie angegriffen worden war. "Columban machte das Kreuzzeichen in die Luft und rief den Namen Gottes an, während er dem wilden Tier befahl: Keinen Meter weiter! Berühre ihn nicht! Zieh dich sofort zurück!: Als das Tier die Worte des Heiligen hörte, floh es vor Angst, als ob es von Seilen von dort weggezogen würde, obwohl es nur eine kurze Entfernung vom Mann entfernt gewesen war."
1100 Jahre später soll Nessie zwar drei Männer getötet haben, aber ansonsten war das Seeungeheuer erstaunlich friedlich. Eines steht nach diesen Sichtungen jedenfalls fest: Nessie hat schon viele Jahre auf dem Buckel. Das bedeutet auch, dass sie genug Erfahrung gesammelt hat, um ihre Jäger in dem bis zu 230 Meter tiefen See abzuschütteln. Und die haben sich schon mehrfach auf ihre Fährte gesetzt - spätestens seit sie im Medienzeitalter endgültig zur Berühmtheit wurde.
Nessie als Mediensensation
1933 stürmte die Hotelmanagerin Aldie Mackay in eine Bar und verkündete den erstaunten Gästen, sie habe in Loch Ness soeben ein "Ungeheuer" gesehen, das Wasser des Sees sei sehr aufgewühlt gewesen. Die schottische Regionalzeitung "Inverness Courier" griff die Geschichte von der mysteriösen Kreatur dankbar auf - und sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Aus London reisten zahlreiche Reporter an, und ein Zirkus bot 20.000 Pfund für das Einfangen des Monsters. Kurz darauf schilderte ein Motorradfahrer, wie die Kreatur vor ihm die Straße überquerte. Sie soll sich auf Schwimmflossen vorwärts bewegt und ein Schaf im Maul getragen haben. Kaum habe sie den See erreicht, sei sie untergetaucht. Nun gab es für die Nessie-Mania kein Halten mehr.
Der Beweis: ein Foto des Ungeheuers
Am 19. April 1934 veröffentlichte die Boulevardzeitung Daily Mail das erste Foto von Nessie. Der angeblich von einem renommierten Londoner Arzt stammende Schnappschuss, der als "the surgeon's photograph" (Chirurgen-Foto) in die Geschichte einging, zeigte eine Art urzeitlichen Plesiosaurier. Eine Sensation - niemand zweifelte an der Echtheit des Fotos.
Der Großwildjäger Marmaduke Wetherell war von der Daily Mail beauftragt worden, das Loch-Ness-Monster zu suchen. Und er lieferte: Von seinem Stiefsohn Christian Spurling, einem versierten Modellbauer, ließ er das Ungeheuer aus einem Spielzeug-U-Boot konstruieren, Kopf und Hals waren aus Plastik modelliert. Der Arzt, der das Beweisfoto angeblich geschossen hat, hatte seine diebische Freude, bei dem Schwindel mitzumachen - es sollte der Geschichte mehr Glaubwürdigkeit verleihen, dass ein Unbeteiligter fotografiert hatte - bis das Bild 60 Jahre später als Schwindel entlarvt wurde.
Systematische Untersuchungen des Sees ohne Befund
Die Nessie-Jäger hielt das das nicht davon ab, weiter nach Beweisen ihrer Existenz zu suchen. Immer wieder gab es neue Fotos, die in Laboren des britischen Verteidigungsmuseums und der NASA auf ihre Echtheit überprüft wurden - und oft schienen Fälschungen ausgeschlossen.
1972 wurde der See unter der Leitung des Loch Ness Investigation Bureaus systematisch abgesucht, das die Existenz dieses prähistorischen Wesens nachweisen wollte - erfolglos. 1987 wollte man dem Geheimnis schließlich mit Sonar-Booten auf die Spur kommen. Bei der "Operation Deepscan" fuhren 24 Boote in einer Kette die gesamte Breite des Sees ab und scannten dabei die Unterwasserwelt des 56km² großen Sees. Mehrfach reagierte das Sonar stark auf große Objekte, doch Nessie wurde nicht entdeckt. 2019 versuchte ein internationales Wissenschaftlerteam, alle lebenden Arten in Loch Ness zu katalogisieren, indem sie aus Wasserproben DNA extrahierten. Ihre Erkenntnis: Eine große Art lebt nicht nicht im See, bei den Sichtungen könne es sich allenfalls um gigantische Aale handeln.
Nessie-Leugner und Nessie-Gläubige
Unzählige Vermutungen über Nessies wahre Identität wurden im Laufe der Jahre angestellt: Sie sei ein Grönlandhai, ein Wels oder gar eine Urzeitechse. Skeptiker versuchten, die angeblichen Sichtungen des Ungeheuers mit Robben, springenden Fischen, Wasservögeln, schwimmenden Hirschen, treibenden Baumstämmen oder Luftspiegelungen zu erklären.
Doch allen Leugnern zum Trotz lassen sich die Nessie-Enthusiasten auch im 21. Jahrhundert nicht davon abhalten, das Monster zu suchen. "Wir sind die Hüter dieser einzigartigen Geschichte und investieren nicht nur in die Schaffung eines unvergesslichen Erlebnisses für die Besucher, sondern setzen uns auch dafür ein, Geheimnisse zu lüften, die unter dem Wasser des berühmten Lochs liegen", erklärte Paul Nixon, Geschäftsführer des Loch Ness Centre der Daily Mail.
Natürlich könnte man das Ganze auch für einen Marketinggag halten, denn Nessie lockt zahlreiche Touristen nach Schottland. Und eine großangelegte Suchaktion kurbelt das Geschäft noch einmal kräftig an.
Sollten ihre Fans Nessie tatsächlich aufspüren, muss sie sich keine Sorgen machen: Bereits 1934 wurde sie vom schottischen Parlament unter Artenschutz gestellt. Damals hatte die Brauerei Guinness ein Kopfgeld von 500.000 Pfund auf das Ungeheuer ausgesetzt - und Nessie soll auch für künftige Generationen erhalten bleiben.
Dieser Artikel wurde am 28.05.2024 aktualisiert.