UNRWA: Das Palästinenser-Hilfswerk in der Kritik
Veröffentlicht 15. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 29. Januar 2024Nach Vorwürfen gegen Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA haben zehn Geberländer ihre Zahlungen vorübergehend eingestellt: Deutschland, die USA, Australien, Japan, Italien, die Niederlande, Kanada, Finnland, Schweiz und Großbritannien.
Hintergrund sind die Vorwürfe einer möglichen Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitern an den Terrorattacken der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023. Das Hilfswerk hat dazu bereits Untersuchungen aufgenommen. Die Hamas wird auch von Deutschland als Terrororganisation eingestuft.
UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini appellierte an die Geldgeber, ihre Entscheidung zu überdenken. "Die UNRWA ist der wichtigste Akteur für humanitäre Hilfe in Gaza", erklärte der schweizerisch-italienische Diplomat in einem offiziellen Statement. Über zwei Millionen Menschen könnten ohne diese Hilfe im Gazastreifen nicht überleben. "Wir betreiben Unterkünfte für über eine Million Menschen und versorgen die Bevölkerung mit Nahrung und der nötigsten medizinischen Versorgung."
Doch was genau sind die Aufgaben und Verpflichtungen des internationalen Hilfswerks mit dem langen Namen (auf Englisch: United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East)? Ein Überblick.
Warum wurde UNRWA geschaffen?
Das Palästinenserhilfswerk wurde am 8. Dezember 1949 von der UN-Generalversammlung gegründet und nahm am 1. Mai 1950 seine Arbeit auf. Ziel war es, den mehr als 700.000 Palästinensern Hilfe zu leisten, die im Zuge des Konflikts mit Israel aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Israel hatte am 14. Mai 1948 seine Unabhängigkeit erklärt. Anschließend rückten Armeeeinheiten einer Allianz von Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und dem Irak in das ehemalige britische Mandatsgebiet ein und griffen Israel an.
UNRWA ist laut UN-Definition eine humanitäre Organisation mit dem Auftrag, palästinensischen Flüchtlingen Hilfe und Schutz zu gewähren, bis eine dauerhafte politische Lösung für ihre Notlage gefunden ist. Das Tätigkeitsspektrum des Hilfswerks umfasst Bildung, medizinische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, die Infrastruktur der Flüchtlingslager, Mikrokredite und Nothilfe für palästinensische Flüchtlinge.
Die Hälfte seines Budgets investiert das Palästinenser-Hilfswerk nach eigenen Angaben in Bildung. Es unterhält über 700 Schulen und ist damit die einzige UN-Organisation, die ein vollwertiges Schulsystem betreibt, wie es in einer Pressemitteilung vom Mai 2023 hieß.
Wie finanziert sich UNRWA?
Das Hilfswerk erhält fast sein gesamtes Budget aus freiwilligen Spenden von UN-Mitgliedsstaaten. Zuletzt stellten die USA den größten Teil der UNRWA-Unterstützung, gefolgt von Deutschland, der Europäischen Union und Schweden (siehe Grafik).
2023 wurde ein Budget in Höhe von 1,745 Milliarden Dollar veranschlagt (siehe Grafik), allerdings wurden erst 44 Prozent der benötigten Gelder bisher zugesagt. 2022 beliefen sich die Zusagen auf insgesamt 1,17 Milliarden US-Dollar, davon rund die Hälfte von EU-Staaten.
Schon seit einem Jahrzehnt ist das Palästinenser-Hilfswerk unterfinanziert. Anfang 2023 betrugen die Schulden etwa 80 Millionen Euro. Ein Grund sind nicht nur die zunehmenden Krisen und Konflikte in der Region, sondern auch die wachsende Zahl der palästinensischen Flüchtlinge.
Wer gilt als palästinensischer Flüchtling?
Laut Definition der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1952 sind palästinensische Flüchtlinge "Personen, deren normaler Wohnort in der Zeit vom 1. Juni 1946 bis zum 15. Mai 1948 Palästina war und die infolge des Konflikts von 1948 sowohl ihr Zuhause als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben."
Nach internationalem Recht und dem Grundsatz der Einheit der Familie genießen nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch deren Kinder und Nachfahren den Flüchtlingsstatus. Dieser Grundsatz gilt, wie von den Vereinten Nationen festgelegt, für alle und nicht nur für palästinensische Flüchtlinge. Und zwar solange, bis die Fluchtgründe entfallen.
Was ist der Unterschied zwischen UNWRA und UNHCR?
Sowohl das Flüchtlingskommissariat UNHCR (United Nations High Commissioner on Refugees) als auch das UNRWA wurden 1949 von der UN-Vollversammlung gegründet.
Das UN-Flüchtlingskommissariat kümmert sich um Flüchtlinge weltweit und kann gemäß der Genfer Konvention von 1951 Personen den Flüchtlingsstatus zuerkennen. Zu seinem Mandat gehören außerdem sowohl die Neuansiedlung von Flüchtlingen als auch die Rückführung in deren Herkunftsländer.
UNRWA hingegen ist eine humanitäre Organisation, die selbst keinen Flüchtlingsstatus gewährt, sondern Hilfe für Personen erbringt, die dazu eine Berechtigung haben. Das UNRWA-Mandat erstreckt sich auf Hilfsleistungen für palästinensische Flüchtlinge in seinen fünf Einsatzgebieten: Westjordanland (einschließlich Ostjerusalem), Gaza, Syrien, Libanon und Jordanien.
Wie lautet die Kritik an UNRWA?
Die Kritik, die Politiker aus Israel und anderen Staaten wiederholt vorgebracht haben, bezieht sich vor allem auf die Definition palästinensischer Flüchtlinge (siehe oben). Weil auch Nachfahren als Flüchtlinge gelten, hat Israels Premier Benjamin Netanjahu das Hilfswerk eine "Flüchtlings-Verstetigungs-Behörde" genannt. Diese Aufgabe solle nicht in der Verantwortung der Vereinten Nationen liegen, so der Regierungschef.
Ein immer wieder geäußerter Vorwurf ist außerdem die Verbreitung von Hass und Gewalt in UNWRA-Schulbüchern. Deutschland, Israel, die USA und andere Länder werfen dem Hilfswerk vor, dass seine Lehrer den Terror der Hamas bejubelten und in den Schulbüchern Judenhass gepredigt würde. Das israelische Institut Impact-SE, das sich seit Jahren mit der UNRWA beschäftigt, kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass in Unterrichtsmaterialien "die Delegitimierung und Dämonisierung des jüdischen Staates" dominieren und Gewalt glorifiziert würde.
Schwer wiegen die jüngsten Vorwürfe Israels, zwölf Mitarbeiter des Palästinenserhilfswerks hätten der Terrororganisation Hamas beim Angriff auf Israel am 7. Oktober geholfen oder sie in den Tagen danach unterstützt. Bei dem Angriff wurden nach israelischen Angaben rund 1200 Menschen in Israel getötet und etwa 240 entführt und nach Gaza gebracht.
Laut UNRWA-Chef Philippe Lazzarini wurden die Verträge der beschuldigten Mitarbeiter aufgekündigt und eine Untersuchung eingeleitet. UN-Generalsekretär António Guterres will das Hilfswerk "unverzüglich und umfassend" überprüfen lassen.
Dieser Artikel wurde am 15.10.2023 erstmals veröffentlicht und letztmals am 31.01.2024 aktualisiert.