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"Unsere Kinder sorgen sehr gut für uns" - die Reform der Sozialsysteme in China

19. Dezember 2008

Chinesische Senioren werden traditionell von ihren Kindern versorgt. Doch was ist, wenn der Wirtschaftsboom denen dafür keine Zeit mehr lässt? Die nötige Sozialreform stellt China vor enorme Herausforderungen.

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Senioren in chinesischem AltenheimBild: DW / Bölinger

Zeitvertreib im Altenheim von Nanshan
Zeitvertreib im Altenheim von NanshanBild: DW / Bölinger

"Ich will hier gar nicht mehr weg", sagt eine der vier alten Damen, die vergnügt im Aufenthaltsraum eines Altersheims in Qingdao um einen Mahjongg-Tisch sitzen. Sie erzählen, dass sie sich nie hätten vorstellen können, eines Tages im Altersheim zu wohnen. Schließlich hätten sie Kinder, aber die seien viel zu beschäftigt mit ihrer Arbeit.

Wer kümmert sich um die Alten?

Die alten Damen haben Glück. Millionen Senioren in China blicken einem Alter in Armut entgegen- obwohl sie ein Leben lang hart gearbeitet haben. Die Gesellschaft hat sich in kurzer Zeit so rasant verändert, dass die Renten- und Sozialsysteme nicht mehr recht passen wollen.

Altenheim in China
Gymnastik im AltenheimBild: DW / Bölinger

Traditionell ist die Altersversorgung in China die Aufgabe der Kinder gewesen. Doch der Wirtschaftsboom fordert soviel Flexibiliät und Mobilität von den Erwerbstätigen, dass sie immer weniger in der Lage sind, ihre eigenen Eltern zu versorgen.

Als Antwort auf den Versorgungsengpass sind in den Städten in letzter Zeit einige Betreuungseinrichtungen für Senioren entstanden. Bei weitem nicht genug. Die chinesische Gesellschaft altert rasant. Wohin mit all den Senioren? Und: wer zahlt für sie? Das chinesische Rentensystem basiert - wie in Deutschland - darauf, dass das Geld der Beitragszahler auf die Empfänger umgelegt wird. Bei immer mehr Alten und immer weniger Erwerbstätigen geht die Rechnung irgendwann nicht mehr auf.

Keine Rente auf dem Land

Von einer Rente - und sei sie noch so gering - können die Menschen auf dem Land nur träumen. Denn die ländliche Bevölkerung hat keine Ansprüche auf eine Rente. Ihre Versorgung wurde bislang von der eigenen Familie sichergestellt. Doch inzwischen gehen so viele junge Leute in die Städte, um Arbeit zu finden, dass sich der Staat nicht mehr darauf verlassen kann, dass die Alten tatsächlich versorgt werden.

Gesundheitscheck im Dorf Wangjiacao
Gesundheitscheck im Dorf WangjiacaoBild: DW / Bölinger

In Wangjiacao, einem Dorf in der Nähe von Qingdao, sitzen einige Rentnerinnen zusammen und unterhalten sich. Sie nehmen an einem Pilotprojekt der Regierung teil und testen, wie ein Rentensystem für die Landbevölkerung aussehen könnte. Wie viel Geld können die Bauern selbst beisteuern und wie viel muss der Staat zuschießen? Im Moment werden fast alle Kosten von der Gemeinde getragen. Die Rentner bekommen nicht mehr als umgerechnet zwanzig Euro vom Staat. Doch für die alten Frauen, ist das mehr, als sie jemals erwartet hätten. "Unsere Kinder sorgen sehr gut für uns. Wir sind zufrieden"“, erklärt Huang Pifeng, die seit vier Jahren eine Rente bezieht.

Überbleibsel aus der Planwirtschaft

Dass Land- und Stadtbevölkerung von den Sozialsystemen unterschiedlich behandelt werden, hat historische Wurzeln. Zur Zeit der Planwirtschaft hatten Städter Anspruch auf einen Arbeitsplatz, mit dem eine medizinische Versorgung, Rente und Wohnung verbunden waren. Die Landbevölkerung hingegen hatte ein Recht auf Ackerland. Von ihr wurde dafür erwartet, dass sie sich selbst ernährt.

Viele der sozialen Probleme Chinas sind Überbleibsel dieses Systems. So schlossen die Städte Kinder von ländlichen Zuwanderern kategorisch vom Besuch städtischer Schulen aus. Die Wanderarbeiter gründeten daraufhin eigene, illegale Schulen. Inzwischen weicht die strenge Trennung auf. Doch noch stehen nicht genügend Plätze für die Kinder der Wanderarbeiter zur Verfügung. Städte wie Peking sind deshalb dazu übergegangen, Privatschulen für Wanderarbeiter zu unterstützen. "Doch das Ziel muss sein, dass die Kinder in den städtischen Schulen unterrichtet werden", fordert Huang He.

Erste Wanderarbeiter-Schule in Peking

Der Pädagoge geht über den Hof seiner Schule. Dreimal wurde sie von den Behörden geschlossen, bevor sie im Jahr 2004 eine Lizenz bekam. Huang He ist ein energischer Mann, der einen Posten als Universitätsdozent aufgegeben hat, um sich um die Wanderarbeiterkinder zu kümmern. "Wir waren die erste Wanderarbeiterschule in Peking, die anerkannt wurde", erzählt er stolz.

Wie die Wanderarbeiter in die Städte integriert werden können, wie China ein flächendeckende Alters- und Gesundheitsversorgung sicherstellen kann, und wie kann die Alterung der Gesellschaft, zu der nicht zuletzt die Geburtenplanungspolitik beigetragen hat, von den Sozialsystemen aufgefangen werden – das sind die Fragen vor denen China in den nächsten Jahren steht.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Peter Koppen