Unterstützung für belarussische Folkband
31. August 2021Unter dem Hashtag #FreeIrdorath läuft auf Social Media seit einigen Wochen eine Solidaritätskampagne zur Unterstützung der belarussischen Mittelalter-Folkband Irdorath. Deutsche Künstlerinnen und Künstler wenden sich an ihre Fans, werben für Unterstützung und sammeln Spenden. Die Mitglieder der Band wurden am 2. August während einer Geburtstagsfeier verhaftet. Die Musiker und Musikerinnen feierten im Freundeskreis in einem Ferienhaus in der Nähe von Minsk den Geburtstag der Sängerin Nadeschda Kalatsch, als vermummte Einsatzkräfte mit Maschinengewehren hereinplatzten und alle Anwesenden wahllos verhafteten. Gegen sechs Bandmitglieder wurden Strafverfahren eingeleitet, weil sie angeblich "Gruppenaktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, organisiert oder aktiv daran teilgenommen haben".
Protestsong mit Dudelsäcken
Die Musiker der Band Irdorath beteiligten sich im August 2020 an den Demonstrationen in Minsk gegen Lukaschenko und die umstrittene Präsidentschaftswahl. Mit ihren Dudelsäcken sorgten sie ordentlich für Stimmung. Besonders beliebt unter den Protestierenden war ein Kult-Song aus der Perestroika-Zeit. Das Lied "Peremen" ("Veränderungen") des Sängers Viktor Zoi wurde in den letzten Jahren der Sowjetunion zu einer Rock-Hymne der Jugend, die es satt hatte, in einer totalitären Gesellschaft zu leben. "Dafür sind sie bestraft worden", meint Karsten Liehm von der deutschen Mittelaltermusik-Band Corvux Corax im Gespräch mit der DW. Seine Band gilt als "Rolling Stones des Mittelalters".
Am 16. August hat Corvux Corax eine Solidaritätsdemo zur Unterstützung von Irdorath vor der belarussischen Botschaft in Berlin-Treptow veranstaltet. Der Soundtrack für die lautstarke Solidaritätsaktion war schnell gefunden: "Peremen", der Perestroika-Song. "Als wir erfuhren, was mit unseren Freunden passiert ist, war schnell klar: Wir gehen vor die Botschaft und spielen da Dudelsack, um einfach aufzurütteln. Innerhalb eines Tages haben wir dieses Lied gelernt. Leider haben wir den russischen Text nicht geschafft - also mitsingen konnten wir nicht", gesteht Karsten Liehm.
Erinnerungen an die DDR
Die Nacht vor der Solidaritätsbekundung hätte er nicht geschlafen, so Liehm; er dachte an seine belarussischen Freunde von der Band Irdorath und erinnerte sich an seine Jugend. Denn auch der in der DDR aufgewachsene Berliner Musiker erlebte den Zynismus und die Brutalität eines Polizeistaates. Zu Karsten Liehms persönlicher Lebenserfahrung gehört ebenfalls, dass seine eigene Freundin ihn als Stasi-IM bespitzelte. "Das habe ich erst viel, viel später erfahren. Die wurde mir also von der Staatssicherheit ins Bett gesetzt. Die hat mich ausgehorcht - und ich dachte, das war die große Liebe meines Lebens. Zu sowas sind nur solche üblen und schlechten Systeme fähig, aber das kann ja nicht überleben."
Große Sorge bereiten den deutschen Musikerinnen und Musikern zahlreiche Berichte über Misshandlungen in den belarussischen Gefängnissen. "Wir hoffen alle, dass sie nicht gefoltert werden und mit anderen Menschen kommunizieren dürfen, denn autoritäre Systeme nutzen viele verschiedene Möglichkeiten, um Druck auf die Menschen auszuüben und die Leute fertigzumachen. Und um dies zu verhindern, versuchen wir die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen", erzählt Karsten Liehm.
Die Solidaritätskampagne von Corvus Corax haben auch andere Promis in Deutschland unterstützt. Darunter Oliver Satyr, Musiker und Mitgründer der deutschen Pagan-Folk-Gruppe Faun: Er spricht von "schreiender Ungerechtigkeit". "Wir überlegen gerade, ob wir auch T-Shirts oder Taschen herstellen und das Lied auch nochmal aufnehmen. Natürlich können wir von Deutschland aus nicht viel machen. Der einzige Weg, den wir im Moment sehen, ist eine Organisation zu unterstützen, die mit Anwälten in Belarus arbeitet. Das Einzige, was wir tun können, ist dann, Spenden zu sammeln, damit wir möglichst gute Anwälte finden, die vor Ort helfen können", erklärt Oliver Satyr im DW-Gespräch den Zweck der laufenden Spendenkampagne.
Solidarität mit Irdorath
Die Fantasy-Folkband Irdorath ist seit vielen Jahren in Mittelalterfolk-Kreisen in Deutschland und anderen Ländern Europas bekannt. Sie war die erste Band aus Belarus, die beim Wacken Open Air in Deutschland auftrat.
Die Nachricht über die Festnahme der Minsker sei ein riesiger Schock gewesen, erzählt Simon Erichsen von der Band Mr. Hurley & Die Pulveraffen. "Auf einmal ist es so nah dran. Man hat es ja über die sozialen Netzwerke mitbekommen, dass dort berechtigterweise große Proteste stattgefunden haben. Aber dass da plötzlich Menschen, die so nah an einem dran sind, so ein Schicksal erfahren müssen, das war eine fürchterliche Nachricht. Es wird realistisch und echt irgendwie und schwappt so in den eigenen Lebensraum über", so Simon Erichsen.
Betroffen zeigt sich im DW-Interview auch Max Copella von der Band Coppelius. "Soweit wir wissen, ist das noch kein Verbrechen, Dudelsack zu spielen und damit friedlich zu protestieren. Dafür einfach eingesperrt zu werden, ist eine seltsame Sache", sagt der deutsche Musiker. Lautstarke Proteste in Belarus - und sei es mit Dudelsäcken - findet Copella durchaus berechtigt.
Die deutschen Kolleginnen und Kollegen von Irdorath wollen auch die Politik in Berlin auf das Schicksal von politischen Gefangenen in Belarus aufmerksam machen. "Ich kann und will nicht wahrhaben, dass es nicht möglich ist, für diese Menschen auf politischer Ebene etwas zu tun. Ich bitte Heiko Maas und ich bitte das Auswärtige Amt: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und helfen Sie diesen Menschen", appelliert die Berliner Autorin, Musikerin und Produzentin Luci van Org, ehemals "Lucilectric".
Die deutschen Musikerinnen und Musiker hoffen, dass die Social-Media-Kampagne #FreeIrdorath immer mehr Leute erreicht. Damit wollen sie auf die Menschenrechtslage in Belarus aufmerksam machen. Denn neben der Band Irdorath gibt es in Belarus viele andere politische Gefangene, die ebenfalls Unterstützung brauchen. Als Zeichen der Solidarität wird nicht nur um Spenden gebeten. Auch Briefe an die Gefangenen sollen zeigen, dass sie nicht vergessen werden.