Unvergessliche Momente aus 60 Jahren Fußball-Bundesliga
22. August 2023Der Pfostenbruch vom Bökelberg
Am 3. April 1971 fällt beim Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen ein Tor. Allerdings fällt es im wahrsten Sinne des Wortes, weil ein hölzerner Torpfosten gebrochen ist. "Ich höre ein Krachen, und schon kippt der Pfosten zur Seite", erinnert sich Gladbachs Herbert Laumen später. Er war beim Versuch, eine Flanke mit dem Kopf zu erwischen, im Tornetz gelandet. "Wenig später lag ich wie ein Fisch im Netz, ich kam alleine gar nicht mehr raus." Ein Ersatztor gibt es nicht, Reparaturversuche mit Nägeln scheitern ebenfalls, schließlich kommt es zum ersten Spielabbruch in der Geschichte der Fußball-Bundesliga. Das Spiel wird im Nachgang mit 2:0 für Bremen gewertet, obwohl es zum Zeitpunkt des Pfostenbruchs 1:1 stand. Außerdem sind Holztore in der Bundesliga fortan verboten und werden durch solche mit Stangen aus Aluminium ersetzt.
Der Kutzop-Elfmeter
1986 ist Werder Bremen auf bestem Weg, die Meisterschaft zu gewinnen. Am 33. Spieltag benötigen die Bremer im Duell gegen Verfolger Bayern München nur einen Sieg, um den Titel unter Dach und Fach zu bringen. Lange Zeit steht es 0:0, bis der Schiedsrichter in der 89. Minute auf Handelfmeter für Werder entscheidet. Zu Unrecht, denn Bayern-Verteidiger Sören Lerby ist eigentlich im Gesicht getroffen worden. Die Bayern schießen wütend den Ball weg, und Bremens Elfmeter-Spezialist Michael Kutzop muss lange warten, bis ein Ersatzball da ist. "Vielleicht hatte ich zu viel Zeit zum Nachdenken", erinnert er sich später. "Die Bayern-Spieler sagten mir nette Sachen ins Ohr und traten mir auf die Füße, aber das gehört ja irgendwie dazu."
Schließlich tritt er zum Strafstoß an, verlädt Bayern-Torhüter Jean-Marie Pfaff, doch der Ball geht nur an den Außenpfosten - das Spiel endet 0:0. Eine Woche später ist Bayern dank der besseren Tordifferenz Meister, weil Bremen sein letztes Saisonspiel in Stuttgart verliert und den Titel doch noch verspielt. "Noch heute höre ich den Ball am Pfosten", sagt Kutzop noch Jahre nach der vergebenen Chance. Das Bittere an der Geschichte: Michael Kutzop schießt in seiner Fußball-Karriere 40 Elfmeter. 39 davon gehen rein, nur der eine gegen den FC Bayern nicht.
Schalkes Vier-Minuten-Meisterschaft
Erst im Freudentaumel, dann am Boden zerstört - durch diese Gefühlsachterbahn geht der FC Schalke 04 am 19. Mai 2001. Schalke gewinnt sein letztes Saisonspiel, und als Tabellenführer FC Bayern in der Schlussminute beim Hamburger SV in Rückstand gerät, liegen plötzlich die Schalker auf Rang eins. Fälschlicherweise wird die Nachricht verbreitet, das Spiel in Hamburg sei aus und Schalke nach 43 Jahren wieder deutscher Meister. Euphorisch stürmen die Fans den Platz und feiern mit der Mannschaft die Meisterschaft. Doch dann wird die Videoleinwand eingeschaltet und zeigt das Livebild vom Spiel der Münchener.
Fassungslos müssen zehntausende Schalker miterleben, wie Patrick Anderson einen indirekten Freistoß durch die Mauer hindurch zum 1:1 ins Tor schießt und die Bayern doch zum Meister macht - vier Minuten und 38 Sekunden nachdem auf Schalke der Meisterjubel losgebrochen war. "Ich glaube nicht mehr an den Fußball-Gott", sagt Schalke-Manager Rudi Assauer anschließend. Schalke wartet bis heute auf den ersten Meistertitel seit 1958, darf sich aber dank der bundesweiten Anteilnahme nach der "Vier-Minuten-Meisterschaft" von 2001 "Meister der Herzen" nennen.
Das Zeitgefühl von Schiri Ahlenfelder
Ein Fußballspiel dauert in der regulären Spielzeit 90 Minuten, unterteilt in zwei Halbzeiten à 45 Minuten, so ist es in den Regeln festgelegt. Dass eine Halbzeit auch schon nach 32 Minuten zu Ende sein kann, beweist Bundesliga-Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder am 8. November 1975, als er im Spiel Werder Bremen gegen Hannover 13 Minuten zu früh zur Pause pfeift. Offenbar ist der Unparteiische bei seinem dritten Bundesliga-Einsatz nicht ganz nüchtern.
"Ein Bier und ein Malteser [Branntwein-Marke - Anm. d. Red.] zum Mittagessen, das wird doch wohl erlaubt sein", sagt Ahlenfelder später. "Wir sind Männer und trinken keine Fanta [Limonaden-Marke]." Als die Spieler protestieren, pfeift er wieder an und lässt von den fehlenden 13 wenigstens noch elf Minuten bis zur Pause spielen. Ein Nachspiel hat der Fall für Ahlenfelder nicht. Der DFB erklärt, der Schiedsrichter sei krank gewesen und habe Hustensaft genommen. Ahlenfelder leitet noch bis 1988 Bundesliga-Spiele. Gerüchten zufolge kann man bis heute in Kneipen rund um das Bremer Stadion einen "Ahlenfelder" bestellen. Man bekommt dann: ein Bier und einen Malteser-Schnaps.
In den Hintern gebissen
Das Revierderby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 am 6. September 1969 ist eh schon hitzig, da mischt sich auch noch ein Hund ein. Als Schalker Fans nach dem 1:0-Führungstreffer ihres Teams auf den Platz rennen, bricht Chaos aus, und der Hund eines Ordners verliert die Kontrolle: Schäferhund Rex beißt wild um sich und erwischt Schalkes Spieler Friedel Rausch am Po.
"Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Plötzlich rief einer: 'Vorsicht, die Hunde sind los', da kamen schon die Höllenschmerzen", erzählt Rausch später. Da damals noch nicht gewechselt werden darf, muss er nach einer Tetanusspritze weiterspielen. Die Partie endet 1:1, Rausch erhält 500 Mark Schmerzensgeld und einen Blumenstrauß von der Borussia. "Die nächsten Nächte konnte ich nur auf dem Bauch schlafen", erinnert sich Rausch. Auf die Frage, was passiert wäre, wenn der Hund statt hinten vorne zugebissen hätte, sagt er nur: "Dann hätte er alle Zähne verloren."
Drei Phantomtore, ein Wiederholungsspiel
Ob der Ball im Tor ist oder nicht, kann heute dank technischer Hilfsmittel einwandfrei festgestellt werden. Das ist 1994 noch nicht der Fall, als Bayerns Verteidiger Thomas Helmer am 32. Spieltag in Nürnberg den Ball nach einem Eckstoß am Pfosten vorbeistochert.
Weil der Linienrichter den Ball drin gesehen hat, entscheidet der Schiedsrichter auf Tor: 1:0 für den FC Bayern, der am Ende 2:1 gewinnt. Da die Fernsehbilder den Fehler eindeutig belegen, legt Abstiegskandidat Nürnberg Protest ein. Allerdings gewinnen die Bayern das Wiederholungsspiel klar mit 5:0, und der 1. FC Nürnberg steigt am Saisonende ab. Bei zwei anderen Phantomtoren der Liga-Geschichte landet der Ball tatsächlich im Tor, jedoch gelangt er auf illegalem Weg dorthin: 1965 trifft Dortmunds Reinhold Wosab gegen Karlsruhe nur das Außennetz, doch durch ein Loch im Netz gelangt er ins Tor. Gleiches passiert 2014 bei einem Kopfball von Leverkusens Stefan Kießling in Hoffenheim. Beide Male zählt der Treffer, und es gibt - trotz Protesten - kein Wiederholungsspiel.