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Unwissende Probanden

Carla Bleiker15. Mai 2013

Westdeutsche Pharmaunternehmen sollen Medikamente an Patienten in der DDR getestet haben. Für die ostdeutsche Regierung war es ein lukratives Geschäft, um westliches Geld ins Land zu holen.

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Krankenschwester im Universitätsklinikum Jena 1962 (Foto: FSU-Fotozentrum)
Medikamentenversuche in der DDRBild: picture alliance/dpa/Universität Jena/FSU-Fotozentrum

Es klingt wie aus einem schlechten Film: Westdeutsche Pharmaunternehmen sollen bis zum Mauerfall 1989 neue Medikamente an Krankenhauspatienten in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) getestet haben - und zwar ohne deren Wissen. Wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, haben Konzerne wie Bayer und Novartis rund 600 medizinische Studien in mehr als 50 Kliniken in der DDR in Auftrag gegeben. Das war den Arzneimittelherstellern bis zu 800.000 Westmark (umgerechnet 409.000 Euro) pro Studie wert.

Getestet wurden unter anderem Herzmedikamente und Mittel, die in der Chemotherapie verwendet werden. Auch an früh geborenen Babys seien nach Angaben von "Der Spiegel" neue Medikamente ausprobiert worden. Im Laufe einiger Testreihen kam es zu Todesfällen. Eine der bekanntesten involvierten Kliniken ist die angesehene Berliner Charité.

Charité-Hochhaus (Foto: Arno Burgi)
Auch die Charité Klinik in Berlin ist in den Medikamententest-Skandal verwickeltBild: picture-alliance/ZB

Versuche ohne Einverständnis

Die Vorwürfe sind nicht neu. Bereits Ende 2012 berichtete die Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel", sie habe Informationen, wonach westdeutsche Pharmaunternehmen Medikamente an DDR-Bürgern ausprobiert habe. Die Zeitung hatte nach eigenen Angaben Informationen zu mindestens sieben Fällen, in denen Patienten berichten, in eigener Unkenntnis mit neuen Medikamenten behandelt worden zu sein.

Dabei schrieben die Standards schon damals in der DDR, genau wie in der Bundesrepublik, vor, dass Probanden informiert werden und ihre schriftliche Einverständniserklärung zu den Tests geben müssen, berichtete die Zeitung.

Keine Patientenunterschrift - mündliche Information reichte aus

Eine Behauptung, der Susan Knoll, Geschäftsführerin im Bereich Kommunikation des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), widerspricht. "Seit 1964 gibt es die sogenannte Deklaration von Helsinki, die legt die ethischen Grundsätze für medizinische Forschung am Menschen fest", erklärt Knoll im Gespräch mit der DW. Nach den Regeln in der Erklärung muss der Patient informiert werden, wenn er Teil einer medizinischen Studie werden soll. "Seit 1996 müssen die Patienten selbst unterschreiben, dass sie über alles aufgeklärt worden sind. Bis dahin reichte es aber, wenn der Arzt unterschrieb, dass er das dem Patienten gesagt hatte."Die Pharmaunternehmen hätten also nicht falsch oder gar strafbar gehandelt, wenn unter der Einverständniserklärung eines Medikamententests in den 1980ern keine Patientenunterschrift zu finden sei, sagt Knoll. Auch den Ärzten könne keine böse Absicht unterstellt werden, wenn beim Informationsfluss mal etwas schief gegangen sei, betont sie: "Ich will gegen niemanden einen Vorwurf erheben, ob ein Patient es falsch verstanden hat, ob der Arzt es nicht richtig gesagt hat oder ob sie aneinander vorbeigeredet haben." Dass "Der Spiegel" die medizinischen Studien für einige Todesfälle verantwortlich macht, findet Knoll nicht in Ordnung. Man könne keinen direkten Zusammenhang beweisen. Sollte tatsächlich etwas falsch gelaufen sein, so die Sprecherin des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller - in dem auch Bayer und Novartis Mitglied sind - sei man aber selbstverständlich bereit, bei der Aufklärung zu helfen.

Schwester in der Frauenklinik der Universität Jena 1967 (Foto: FSU-Fotozentrum)
Verabreichte medizinisches Personal Mittel an Patienten, ohne dass diese es wussten?Bild: picture alliance/dpa/Universität Jena/FSU-Fotozentrum

Entschädigung für die Opfer

Ronald Lässig will Missverständnisse nicht als Entschuldigung akzeptierten. Der Vorsitzende des DDR-Opferhilfe-Vereins ist überzeugt davon, dass in Ostdeutschland mit voller Absicht Menschenversuche durchgeführt worden sind. "Das war im Grunde eine Erniedrigung für den Menschen, dass Leute, die sich hilfesuchend an Ärzte wandten, derart missbraucht wurden", sagt er gegenüber der Deutschen Welle über die medizinischen Studien.

Ronald Lässig, Vorsitzender der DDR-Opfer-Hilfe e.V. (Foto: Ronald Lässig/ www.ddr-opfer-hilfe.de)
Lässig: "Studien sind eine Erniedrigung"Bild: Ronald Lässig

Lässig fordert eine unabhängige Untersuchungskommission, die ermitteln soll, was damals genau passiert sei. Außerdem verlange er, dass Geschädigte und Hinterbliebene Entschädigungszahlungen erhalten sollen. Schließlich hätten die beteiligten Pharmakonzerne, aber auch die ostdeutschen Kliniken, erhebliche Profite durch die Tests erwirtschaftet. "Das zeigt die Notlage, in der sich die DDR wirtschaftlich befand", sagt Lässig. "Offensichtlich war kein Mittel zu schlecht, um an Westgeld zu kommen."

Stasi-Akten (Foto: dpa)
Deutschlands Stasi-Akten lagern in der Stasi-Unterlagenbehörde in BerlinBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Langwierige Aufklärung

Das sieht auch Dagmar Hovestädt so, die Pressesprecherin der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (Stasi). "Der Job der Stasi war es, diese neue Deviseneinnahmequelle, die der Staat sich überlegt hatte, sprudeln zu lassen", sagt Hovestädt.

Um den Aufklärungsprozess zu unterstützen, wird ihre Behörde die Unterlagen zur Verfügung stellen, die die Stasi zur Überwachung der Studien angelegt hatte. Die Pressesprecherin ist aber überzeugt, dass man, um den Fall vollständig aufzurollen, die Krankenakten der damaligen Patienten brauche. Nur die seien spezifisch genug, um herauszufinden, was wirklich passiert sei, sagt Hovestädt.

Sie legt großen Wert darauf, dass die Menschen verstehen, in was für einem Umfeld die Versuche stattgefunden haben und warum niemand mögliche Untaten gemeldet hat. "Diese Tests haben im System einer Diktatur funktioniert, wo Bürger, eine kritische Öffentlichkeit und auch die Meinungsfreiheit eingeschränkt waren", erklärt Hovestädt. "Insofern ist es da einfacher, bestimmte Regeln zu umgehen."