Ursula von der Leyen als EU-Kommissionschefin gewählt
16. Juli 2019Am Ende wurde es für Ursula von der Leyen doch noch eng: Sie vereinigte 383 Ja-Stimmen auf sich - nur neun Stimmen mehr als für die absolute Mehrheit nötig. Es gab 327 Nein-Stimmen und 22 Enthaltungen. Ein Stimmzettel war ungültig. In einer ersten Reaktion sagte die scheidende Bundesverteidigungsministerin wörtlich: "Ich fühle mich so geehrt".
Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach der künftigen EU-Kommissionspräsidentin eine enge Zusammenarbeit. "Auch wenn ich heute eine langjährige Ministerin verliere, gewinne ich eine neue Partnerin in Brüssel", erklärte sie.
In den Stunden vor der Wahl hatten immer mehr EU-Abgeordnete ihre Zustimmung für von der Leyen signalisiert: Zuerst hatte die Fraktion der Liberalen im europäischen Parlament angekündigt, für sie votieren zu wollen, und kurz vor der Abstimmung sickerte durch, dass auch die zweitgrößte Fraktion, die Sozialdemokraten, von der Leyen mehrheitlich zur neuen EU-Kommissionschefin wählen wollten.
"Lang lebe Europa!"
Vor der Abstimmung hatte die Deutsche mit einer flammenden Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg für sich geworben und sich als überzeugte Europäerin präsentiert. "Wer [...] dieses Europa schwächen, spalten oder ihm seine Werte nehmen will, der findet in mir eine erbitterte Gegnerin", rief sie den Abgeordneten zu. Sie sei als Europäerin geboren worden und habe erst später gelernt, "dass ich auch Deutsche und Niedersächsin bin", so die Tochter des früheren EU-Beamten Ernst Albrecht, der in Brüssel seine Karriere begann und später Ministerpräsident von Niedersachsen wurde.
Vor den EU-Abgeordneten nannte von der Leyen eine Reihe von Projekten, die sie in einer fünfjährigen Amtszeit als Kommissionspräsidentin angehen will. So versprach sie ein CO2-neutrales Europa bis 2050 und kündigte einen "Green deal" für Europa an, für den sie eine Senkung der Treibhausgasemissionen um mindestens 50 Prozent bis zum Jahr 2030 in Aussicht stellte. "Unsere drängendste Aufgabe ist es, unseren Planeten gesund zu halten", so von der Leyen.
Die CDU-Politikerin versprach, sich für national definierte Mindestlöhne und für die vollständige Gleichberechtigung von Männern und Frauen einzusetzen. Große Internetkonzerne sollen nach ihrem Willen in Europa stärker besteuert werden. Die 60-Jährige sagte zudem den vollen Einsatz der Kommission für die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu. "Lang lebe Europa", mit diesen Worten schloss von der Leyen ihre auf Französisch, Englisch und Deutsch gehaltene Rede.
"Gute Rede, unbestritten"
Die Grünen-Fraktion im EU-Parlament hatte sich nach einer Befragung von der Leyens entschieden, diese nicht zu unterstützen. Dennoch äußerten sich einige Grünen-Abgeordnete nach ihrem Auftritt positiv. "Schöne Rede", kommentierte etwa Fraktionschefin Ska Keller. Auch Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer meinte: "Gute Rede, unbestritten". Er betonte, bei den Grünen gebe es "Meinungsfreiheit". Nach der Wahl gratulierte die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner der CDU-Politikerin. "Wir Grünen sind dabei, wenn sie es ernst meint mit Klimaschutz und Rechtsstaatlichkeit", sagte Brantner der Deutschen Welle. "Jetzt auf, an die Arbeit!"
Ebenfalls im Vorfeld hatten Linke und Rechte ihre Ablehnung klar gemacht. Kommentar von der Leyens gegenüber dem deutschen AfD-Politiker Jörg Meuthen dazu: "Ich bin geradezu erleichtert, dass ich von Ihnen keine Stimme bekomme."
EU-Parlament springt über seinen Schatten
Die 28 EU-Staats- und Regierungschefs hatten die Deutsche vor zwei Wochen - an den von den Parteien für die EU-Wahl aufgestellten Spitzenkandidaten vorbei - als EU-Kommissionspräsidentin nominiert. Dieses Vorgehen war bei den Parlamentariern gar nicht gut angekommen. Doch viele von ihnen sprangen schließlich über ihren Schatten.
Nun steht also mit von der Leyen zum ersten Mal in der Geschichte der EU eine Frau an der Spitze der Kommission. Sie kann am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker antreten. Der bislang einzige Kommissionspräsident aus Deutschland war von 1958 bis 1967 der CDU-Politiker Walter Hallstein - damals noch in der EU-Vorläuferinstitution Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) .
cw/jj (afp, dpa, rtr)