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Aus den Dokumenten von Bin-Laden

20. Mai 2015

Vier Jahre nach der Tötung von Osama bin Laden haben US-Geheimdienste über hundert Dokumente freigegeben. Die Schriftstücke des Al-Kaida-Chef s zeigen tiefe Risse innerhalb des Terrornetzwerks.

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Osama bin Laden (Foto: AP)
Bild: AP

Bis zum Schluss wollte er die USA mit einer neuen, groß angelegten Attacke aus der muslimischen Welt vertreiben: Al-Kaida-Chef Osama bin Laden. Jetzt haben die #link:http://www.dni.gov/index.php/resources/bin-laden-bookshelf:US-Geheimdienste# mehr als hundert Dokumente für die Öffentlichkeit freigegeben, die sie in Osama bin-Ladens pakistanischem Versteck gefunden haben. Die bisher als englische Übersetzung vorliegenden Texte gewähren überraschende Einblicke in seinen Gemütszustand und seine Ziele und zeigen tiefe Risse in dem Terrornetzwerk.

Der Fokus der Al-Kaida-Aktivitäten "sollte darauf liegen, die US-Bevölkerung und ihre Vertreter zu ermorden und zu bekämpfen", heißt es in einem Dokument. Die einzige Möglichkeit, die US-Außenpolitik zu beeinflussen, seien Angriffe, schreibt er an anderer Stelle. Dadurch sollten die USA gezwungen werden, "die Muslime in Ruhe zu lassen".

Angst vor Spionage

Die Angst, von US-Spionen in seiner Villa entdeckt zu werden, trieb Bin Laden zu äußerster Vorsicht. Dass er mit seiner Familie in einer Falle saß, war ihm vollkommen klar. So gab er an seine Familie und sein Umfeld die Anweisung: "Unsere Sicherheitssituation erlaubt es nicht, zu Ärzten zu gehen. Also gebt acht auf Eure medizinischen Bedürfnisse, vor allem Eure Zähne."

Seinen zahlreichen Anordnungen verhalf Bin Laden mit einer Liste getöteter Al-Kaida-Kader zu Nachdruck. Hinter jedem Namen oder jeder Gruppe war jeweils der Fehler angeführt, der zu ihrer Entdeckung geführt hatte. So wurde eine Gruppe bombardiert, nachdem sie ein Satellitentelefon benutzt hatte. Eine weitere Al-Kaida-Zelle wurde getötet, nachdem sie mit pakistanischen Geheimdienstagenten Kontakt aufgenommen hatte. Einer dritten wurde eine Ansammlung mehrerer Autos zum Verhängnis, als ein US-Kampfflugzeug am Himmel war.

Pakistan 3 Bin Laden Witwen verurteilt Haus in Islamabad (Foto: dapd)
Am 2. Mai 2011 stürmten Sicherheitskräfte die Villa von Osama bin-Laden in AbbottabadBild: dapd

"Uneinigkeit des globalen Dschihads"

Seine meist arabischen Verbündeten rief er dazu auf, die pakistanische Amtssprache Urdu zu lernen. Dies sei unter Sicherheitsgesichtspunkten "von höchster Wichtigkeit". In einigen Dokumenten versucht Bin Laden seine Statthalter davon zu überzeugen, dass eine globale Terrororganisation nicht per E-Mail gesteuert werden kann. Für allgemeine Nachrichten könne das Internet genutzt werden. "Aber die Geheimhaltungspflicht der Mudschaheddin erlaubt die Nutzung (des Internets) nicht. Kuriere sind der einzige Weg." Seine rechte Hand Atijah Abd al Rahman wendet ein: "Die Sache ist sehr kompliziert. Wie können wir mit unseren Brüdern in Algerien, im Irak, im Jemen und Somalia korrespondieren?" Manchmal gebe es einfach keine Alternative zu einer E-Mail. Doch Bin Laden ist unerbittlich - was ihm letztlich zur Falle wurde: Angeblich war es nämlich ausgerechnet ein Kurier, den die CIA in Abbottabad aufspürte und der die Agenten dann zu seinem Versteck führte.

Heftig gestritten wurde auch über die strategische Ausrichtung von Al-Kaida. So forderte Bin Laden, die Terrorattacken sollten sich auf den größten Feind USA konzentrieren: "Wir sollten Einsätze gegen die Armee und Polizei in allen Regionen stoppen, außer im Jemen", schrieb er. Ein ranghoher US-Geheimdienstanalyst mutmaßte aus dieser Formulierung, bin Laden sei besorgt, "eine Uneinigkeit des globalen Dschihad könnte den Niedergang der Bewegung einleiten."

Bin Laden und seinem damaligen Vize Ayman al-Zawahri brachte scharfe Kritik ein, dass die Organisation Al-Kaida im Irak, ein Vorläufer der Miliz Islamischer Staat (IS), im Irak einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten anheizte. Dass Bin Laden die in seinem Namen angerichteten "Skandale" und das Blutvergießen nicht verurteile, dafür werde er von Gott zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb die Gruppe Dschihad- und Reformfront in einem Brief von 2007. "Wenn Du es noch kannst, ist es Deine letzte Chance, den Zusammenbruch des Dschihad im Irak aufzuhalten." Heute hat der IS Al-Kaida in den Schatten gestellt.

Aiman az-Zawahiri Videobotschaft (Foto: Reuters/SITE)
Bin-Ladens Vize: Ayman al-ZawahriBild: Reuters/SITE

Details aus Politik und Wirtschaft

Sein schwindender Einfluss zeigt sich auch in taktischen Differenzen. So warb Bin Laden in den Dokumenten bis zu seinem Tod für groß angelegte Terrorattacken. Einige seiner Stellvertreter finden dies hingegen angesichts der permanenten Gefahr durch US-Drohnen zu schwer zu organisieren. In einem schon vor kurzem freigegebenen Dokument aus der damaligen Zeit wird Al-Kaida-Veteran Abu Mussab al-Suri mit der Haltung zitiert, kleinere Anschläge seien der bessere Ansatz. Er setzte sich mit seinem Konzept des "individuellen Dschihad" durch: Nach Bin Ladens Tod rief die neue Al-Kaida-Führung ihre Anhänger auf, als Einzelkämpfer Anschläge zu verüben.

Unter den Dokumenten finden sich auch Texte mit Bezug zu Deutschland. Sie enthalten Details zu Politik und Wirtschaft und geben auch Handlungsanweisungen zu Tabuthemen: "Vermeiden Sie es, mit Deutschen über die Juden und Palästina zu reden. Dies ist in Deutschland ein sehr sensibles Thema und wird unserem Ziel abträglich sein", heißt es dort. Und weiter: "Ich glaube, wenn wir angeben, dass wir an Deutschlands Seite stehen und nur im Sinn haben, sie aus Afghanistan herauszubekommen, werden sie unsere Position verstehne." Wer diese Texte verfasste und an wen sie gerichtet waren, ist nicht bekannt.

pab/stu (dpa, afp, rtr)